Neue Rechte

Rache ist Blutwurst

AfD-Chef Jörg Meuthen hat mächtig geärgert, dass seine Kollegin Frauke Petry sich in die inneren Kämpfe seiner Baden-Württemberg-Fraktion eingemischt hat. In NRW hat jetzt Petrys Lebensgefährte Marcus Pretzell jede Menge Gegner, die offenbar angestachelt werden von Beatrix von Storch und Alice Weidel, die beide zum Meuthen-Lager zählen – großes Kino für Freunde des Intrigantenstadls.

von Matthias Kamann , Marcus Bensmann

© Jörg Meuthen von Metropolico.org unter Lizenz CC BY-SA 2.0

Die Recherche erscheint in Kooperation mit der Tageszeitung „Die Welt“.

Die Spitzenpolitiker der AfD liefern sich derzeit eine heftige Schlacht um die Macht in der Partei. Zuletzt war das in der Spaltung der baden-württembergischen Landtagsfraktion zu sehen. Während aber dort jetzt nach der vorläufigen Fraktionseinigung unter dem alten und neuen Fraktionschef Jörg Meuthen Ruhe einkehrt, entsteht in Nordrhein-Westfalen ein neuer Kampfplatz – vermutlich zur heimlichen Freude Meuthens.

In Baden-Württemberg sahen die Vorzeichen so aus, dass Meuthen, der auch AfD-Bundessprecher ist, unter erheblichen Druck der anderen Bundessprecherin Frauke Petry geriet. Petry trieb Meuthen durch ihre Einmischung in den Stuttgarter Streit in die Defensive und schwächte damit Meuthens Lager, dem Parteivize Alexander Gauland sowie der Thüringer Partei- und Fraktionschef Björn Höcke und zahlreiche Mitglieder des Bundesvorstands zuzurechnen sind.

Aber jetzt in NRW gerät Petrys Lager in die Defensive, in Gestalt von Marcus Pretzell. Der ist Petrys Lebensgefährte, Europaabgeordneter und Vorsitzender des NRW-Landesverbandes. Was Pretzell derzeit erlebt, weist mehrere Parallelen zu Baden-Württemberg auf.

Die Parallelen beginnen mit einer Wahl. Anfang September wurde Pretzell in NRW auf einem AfD-Landesparteitag zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahlen im Mai 2017 gewählt – mit dramatisch schlechtem Ergebnis. Für Pretzell stimmten von den in Soest versammelten AfDlern gerade mal 54 Prozent. Den Grund dafür sieht Pretzell in Einmischungen von außen: „Einige Spitzenpolitiker der AfD im Bund haben versucht, meine Aufstellung als Spitzenkandidat zu hintertreiben“, sagt Pretzell.

Frauke Petry sitzt neben ihrem Lebensgefährten Marcus Pretzell auf dem AfD-Landesparteitag ist Soest – beide lächeln, obwohl ihre innerparteilichen Gegner die Messer wetzen.

Am besten lächeln: NRW-Landeschef Marcus Pretzell mit seiner Lebensgefährtin Frauke Petry, die zugleich Bundessprecherin der Partei ist.

Marcus Bensmann

Beweise gibt es nicht. Aber zwei AfD-Bundesvorstandsmitglieder aus dem Anti-Petry-Lager, nämlich Beatrix von Storch und Alice Weidel, waren im Sommer zu Gast bei Pretzells Gegenkandidat. Der heißt Thomas Röckemann und durfte Ende Juli in Ahlen Beatrix von Storch begrüßen, am 22. August in Gütersloh Alice Weidel. Röckemann kam dann auf dem Parteitag in Soest trotz eines blassen und rhetorisch schwachen Auftritts auf satte 44 Prozent.

Dass somit Pretzell Probleme mit einem Gegenkandidaten hatte, der aus dem Meuthen-Lager umworben wurde, ähnelt mit umgekehrten Vorzeichen einem baden-württembergischen Vorgang aus den letzten Tagen. Kurz bevor sich nämlich dort die beiden zerstrittenen Fraktionen auf einer Klausurtagung im Schwarzwald wieder vereinigten, tauchte plötzlich ein neuer Kandidat für das Amt des künftigen Fraktionschefs auf. Der AfD-Abgeordente Rainer Podeswa war dieser Gegenkandidat zu Meuthen. Und in Meuthens Lager hieß es, Podeswa sei von den Petry-Anhängern angestiftet worden.

Meuthen und Pretzell sind gerupfte Sieger

Indes, Meuthen hat’s überstanden, und geschafft hat es in NRW auch Marcus Pretzell gegen seinen dortigen Konkurrenten Röckemann, wenn auch sehr knapp. „Gescheitert“, so Pretzell, sei der Versuch, seine Wahl zum Spitzenkandidaten zu hintertreiben.

Aber der Kampf in NRW geht weiter. Denn der Landesverband hat ja eine ganze Landesliste für die Wahl aufzustellen. „Mindestens 40 Leute“ müssen laut Pretzell angesichts der gegenwärtigen AfD-Umfragewerte (13 Prozent mit steigender Tendenz) auf die Liste gewählt werden. Aber bis jetzt stehen da erst 22 Leute – und das nach schon zwei Wahlversammlungen, der ersten in Soest und einer zweiten eine Woche später im benachbarten Werl. Ein dritter Parteitag Ende November ist nötig, um die Liste zu vervollständigen.

Zwar führt Pretzell diese Hängepartie darauf zurück, „dass Vorstellungen, Fragerunden und Wahlgänge für so viele Kandidaten viel Zeit in Anspruch nehmen“. Mit den bisherigen 22 Kandidaten sei er „sehr zufrieden“, man sei „auf gutem Wege“ zu einer Liste, „die die Kompetenzen in der nordrhein-westfälischen AfD widerspiegelt“.

Aber es gibt auch ganz andere Stimmen. Als „gespalten“ bezeichnen AfD-Leute in NRW den Landesverband. Spaltung klingt nach Baden-Württemberg.

In NRW gibt es offene Kritik an der Führung: „Ein ausgesprochenes Demokratieproblem“ habe der Landesverband, Kandidaten würden „diffamiert“, und das zeitraubende Wahlverfahren ziele darauf ab, „Mitglieder aus der Liste fernzuhalten“. Geschrieben hat dies Erwin Elsen, Vize-Sprecher der Mülheimer AfD, in einem Offenen Brief an – Jörg Meuthen.

NRW-AfDler bittet Meuthen um Hilfe

Ausgerechnet ihn bittet Elsen um Einmischung. Es sei „erforderlich“, so Elsen, dass „eine Abordnung des Bundesvorstandes“ die Wahlversammlungen der NRW-AfD „begleitet“ und dort nach dem Rechten sieht. Dass Petry zum Soester Parteitag gekommen war, sei in dieser Hinsicht nicht zielführend gewesen, da an Petrys „Objektivität bei den Vorkommnissen in NRW doch Zweifel angebracht sein könnten“.

Das ist die nächste Parallele zu Baden-Württemberg. Dort hatte Meuthen während der Spaltung der Landtagsfraktion Petry und indirekt Pretzell vorgeworfen, sich eingemischt zu haben. Jetzt wird Meuthen aus NRW aufgefordert, Pretzell an Rhein und Ruhr in die Parade zu fahren.

Denn dort versuche Pretzell, so meint Elsen, „die Hälfte der Mitglieder aus dem Wahlkampf zu vertreiben“. Gemeint sind die Anhänger von Pretzells Gegenkandidat Röckemann. Diese Leute würden durch eine „vermutlich gekungelte Wahl“ (Elsen) verdrängt, da man ihnen kaum Plätze zugestehe. Vielmehr trete „in jedem Wahlgang jemand aus dem Pretzell-Lager an“.

Aber Pretzells-Anhänger erheben ebenfalls Vorwürfe und wittern hinter dem schleppenden Wahlvorgang eine Verschwörung des rechten Flügels. Genannt wird Thomas Matzke. Der ist Chef des großen Kreisverbandes Rhein-Sieg und zählt zu den führenden Köpfen der AfD-Rechtsaußengruppe „Patriotische Plattform“.

Matzke führt Dossieres über Parteimitglieder

Matzke, der Elsens Offenen Brief umgehend auf Facebook postete, macht aus seiner Gegnerschaft zu Pretzell keinen Hehl. Pretzell sei zwar rhetorisch geschickt, aber mit seinem Amt „überfordert“. Er höre, so Matzke, „auch aus anderen Landesverbänden Unverständnis über die chaotische Wahlprozedur in NRW“. Den Vorwurf, dass er selbst für die Verzögerung der Wahlversammlungen die Strippen gezogen habe, empfindet Matzke nicht als „Beleidigung“. Er wirke natürlich „auf Prozesse“ ein. Matzke führt nach eigenen Angaben „Dossiers“ über Parteimitglieder und betreibe Politik gerne „systematisch“. Er sei für seine „organisatorischen Fähigkeiten“ bekannt.

Immer wieder soll Matzke bei den Listenplatzwahlen versucht haben, so werfen es ihm Pretzell-Anhänger vor, Leute vom rechten Parteiflügel durchzudrücken. Gelungen ist ihm das bei vier Leuten mit großen Sympathien für den Parteirechten und Petry-Gegner Höcke.

Hiermit ergibt sich eine weitere Parallele zu Baden-Württemberg. Dort im Südwesten hatte Meuthen bei der Fraktionsspaltung wegen des Antisemitismusstreits um den Abgeordneten Wolfgang Gedeon besonders hart mit sehr rechten AfDlern zu kämpfen. Und in NRW steht jetzt Pretzell aus dem Petry-Lager unter Druck von Parteirechten um Matzke. Diesen Matzke übrigens beehrte die Petry-Gegnerin Beatrix von Storch schon Ende Januar mit einem gemeinsamen Auftritt in Hangelar bei Bonn.

Matzke Junior und das Heinrich-Heine-Denkmal

Matzke und die Seinen versuchen ihre Position in NRW auszubauen. Zumal dadurch, dass sie mehr Rechte auf der Landesliste unterzubringen versuchen. So wurde die zweite Versammlung in Werl durch einen Antrag des Matzke-Lagers verzögert, die Kandidatur um Listenplatz Sieben zu wiederholen. Und gleich vier Mal kandidierte – vergebens – der Parteirechte David Eckert, ein Student aus Düsseldorf, den Pretzell-Anhänger als „Matzke Junior“ bezeichnen. Eckert war bekannt geworden, als er im Mai an der Uni Düsseldorf das Heinrich-Heine-Denkmal mit einer Burka verhüllte.

Dass die Hängepartie bei die Listenwahlen das Image von Pretzell beeinträchtigt und Zweifel an seinen Führungsqualitäten weckt, kann dem rechten AfD-Flügel in NRW um Matzke nur recht sein. Und noch einen Vorteil hat für Matzke die Verzögerung: Bis zur nächsten Wahlversammlung im November ist genügend Zeit, Truppen für die weiteren Plätze zu sammeln. Matzke lässt offen, ob er selbst kandidiere wolle. Es könne auch sein, so sagt er, dass man das ganze Prozedere anfechte.

Eine mögliche Handhabe hierfür sieht Matzke in einer Gegenattacke auf ihn. Auf der Wahlversammlung in Werl nämlich kursierte ein Brief aus dem Bezirk Wuppertal, der „Ordnungsmaßnahmen“ gegen Matzke und dessen Parteiausschluss verlangt. In dem Brief an den Landesvorstand der AfD wird Matzke vorgeworfen, die Wahl Pretzells zum Spitzenkandidat hintertrieben zu haben. Matzke solle deshalb wie ein „fauler Zahn“ gezogen werde.

Durch diesen Brief aber, so nun wiederum Matzke, würden seine Chancen als potenzieller Kandidat unzulässigerweise geschmälert. Das könne ein Grund zur Wahlanfechtung sein. Gut möglich also, dass das AfD-Chaos in NRW ein juristisches Nachspiel hat.

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