Machtkampf in der AfD
Nach Veröffentlichung geheimer Chatprotokolle droht der AfD in NRW eine Neuwahl ihrer Landesliste für die Landtagswahl im kommenden Mai. Vor allem der NRW-Vorsitzende Marcus Pretzell steht unter Druck. Ihm wird die Kontrolle der Listenbesetzung durch Mauschelei und Manipulation vorgeworfen. In einem Gegenangriff teilt Pretzell aus. Er wirft einer Wahlhelferin Wahlbetrug vor, weil diese Stimmzettel verschwinden ließ. Gleichzeitig droht er der Frau juristische Maßnahmen an.
Eigentlich sollte es eine geruhsame Fortsetzung der Landeswahlversammlung in Rheda-Wiedenbrück geben. Über das Wochenende wollte die AfD in NRW ihre Kandidatenliste komplettieren, mit der sie im kommenden Landtagswahlkampf in NRW antreten wollte. Doch nun eskaliert das Chaos in der Partei. Die Rechtmäßigkeit der bisherigen Listenwahl wird von führenden AfD-Politikern angezweifelt.
Es geht um viel: Jeder Kandidat, der es in den Landtag schafft, kann auf Bruttoeinnahmen von rund 500.000 Euro hoffen. Die AfD kann bei dem bisherigen Stimmungsbild bei der kommenden Landtagswahl im Mai 2017 mit etwa zehn Prozent der Stimmen auf knapp 30 Sitze hoffen. Grund genug für viele AfD-Funktionäre, mit harten Bandagen um jeden aussichtsreichen Platz zu kämpfen.
So haben bislang geheime WhatsApp-Protokolle, die der Stern veröffentlicht hat, die rüden Methoden offengelegt, mit denen eine Gruppe um den Landeschef Marcus Pretzell das Abstimmungsverhalten der Delegierten auf den bisherigen zwei Landeswahlversammlungen in Soest und in Werl im September steuerte. Sie besetzten Mikrofone, damit Konkurrenten nicht zu Wort kamen, manipulierten Fragen und versuchten Wettbewerber auszugrenzen. Parteimitglieder wurden als „Vollpfosten“ und „Pappnasen“ bezeichnet. „Demokratie ist halt nur gut, wenn sie einem nützt“, heisst es in den Nachrichten.
Drückerkolonne aus dem Pretzell-Lager
Zwei Mitglieder aus der Zählkommission gehörten zur Drückertruppe und nutzten die Informationen bei der Auszählung für Manipulationen. „Holt eure Leute in den Saal. Das wird sonst knapp für Jan!!!!“, heisst es da.
Die AfD in NRW ringt nun mit sich und ihrem NRW-Vorsitzenden Marcus Pretzell darum, wie es weitergehen soll. Wird die Wahl wiederholt? Wird die ganze Liste neu gewählt? Müssen Kandidaten, muss Pretzell abtreten?
In diesem Streit geht es nicht nur um die Verhältnisse im AfD-Landesverband in NRW. Auf den Wahlversammlungen in den westfälischen Kleinstädten wird der bundesweite Machtkampf in der AfD ausgetragen. Anfänglich nur hinter der Hand – und nun in offener Intrige.
Denn in NRW liegt der Schlüssel zur Macht in der AfD. Nur wer NRW beherrscht, kann Mehrheiten in der AfD bundesweit organisieren. Und da steht bislang Marcus Pretzell als Chef des mitgliederstärksten AfD-Landesverbandes treu an der Seite seiner Lebenspartnerin, der AfD-Chefin Frauke Petry.
Doch Petry ist seit einiger Zeit angeschlagen. Sie gilt als isoliert im Bundesvorstand und hat kaum Rückhalt bei den anderen Landesfürsten.
Ihr Co-AfD-Chef Jörg Meuthen, sowie der Chef der AfD in Brandenburg, Alexander Gauland, sowie der AfD-Politiker Björn Höcke aus Thüringen wollen Frauke Petry stürzen.
Bislang konnte sich Petry in der Auseinandersetzung auf ihre Beliebtheit unter den Mitgliedern stützen – und auf die Hilfe ihres Lebensgefährten aus NRW.
Und genau hier setzt nun der Angriff an. Wenn Pretzell in NRW fällt, ist Petry kaum noch zu halten.
Der Frontalangriff aus dem Osten
Björn Höcke aus Thüringen und Alexander Gauland aus Brandenburg gingen deshalb nach dem Bekanntwerden der WhatsApp-Protokolle aus der Deckung. In einer gemeinsamen Erklärung bezeichneten sie die Protokolle als Zeichen eines „tief gespaltenen Landesverbandes“. Unter „Inkaufnahme unlauterer Mittel“ werde in NRW ein Machtkampf ausgefochten. Gauland und Höcke fordern den Einsatz der Schiedskommission zur Überprüfung der bisherigen Wahlvorgänge.
Der Landeschef von NRW Pretzell schlägt über einen Facebookpost zurück. Er weist die Verantwortung für die Chatgruppe zurück. Er sei „weder Mitglied“ der Gruppe, noch sei sie von ihm „gesteuert“. Zudem glaube er nicht, dass sich die AfD-Mitglieder von Chatgruppen beeinflussen ließen.
Dann greift er Gauland und Höcke von den ostdeutschen „Kleinverbänden“ an. Pretzell will offenbar die Kleiderordnung in der AfD zu Recht rücken. NRW habe doppelt so viele Mitglieder wie Brandenburg und Thüringen zusammen, schreibt Pretzell, „es reicht, liebe Kollegen, Ihrer beider öffentliches Wirken schadet der Partei“.
Höcke ist der Führer des völkischen Flügels in der AfD. Er bezeichnet Angela Merkel als „Kanzlerdiktatorin“ und sieht den Flüchtlingszuzug als Bedrohung für das deutsche Volk. Eine angebliche gesteuerte „Multikulturalisierung“ setzt er mit Völkermord gleich.
Allerdings hat der Machtkampf in der AfD kaum inhaltliche Gründe. Petry und Pretzell unterscheiden sich inhaltlich kaum von Höcke. Petry will beispielsweise den Nazibegriff „völkisch“ wieder rehabilitieren. Es geht nur um Pfründe und Macht.
Und hier wird es nun eng für Pretzell.
Wahlfälschung bei der Listenaufstellung?
Denn der Chef der AfD-NRW bestätigt eine Wahlmanipulation bei der Listenaufstellung. Eine Wahlhelferin hatte Wahlzettel verschwinden lassen. Pretzell beschimpfte die Helferin. Sie habe den „Wahlgang gefälscht und damit das wichtigste untergraben, was die AfD hat: Innerparteiliche Demokratie!“ Er kündigte an, die Staatsanwaltschaft einzuschalten und die Wahlhelferin aus der Partei zu entfernen. „Solche Leute brauchen wir in der AfD nicht.“
Die angesprochene AfD-Wahlhelferin wehrt sich gegen den Vorwurf der Wahlfälschung.
Im Gespräch mit correctiv.ruhr sagt sie, dass sie als neues Mitglied bei der Wahlversammlung in Soest nur „als Gast“ teilgenommen habe. Sie hätte sich nützlich machen wollen und sei in die Zählkommission gewählt worden.
Sie sagt, bei einem Wahlgang habe der Wahlleiter das Ergebnis der Wahl im Saal verkündet. Am nächsten Tag sollte die Wahl fortgesetzt werden. Da sei aufgefallen, dass einige Stimmzettel in der Urne übersehen worden seien. Ein anderes Mitglied der Zählkommission hätte ihr diese Stimmzettel in die Hand gedrückt und gesagt, diese seien nicht wichtig. Am Abend habe sie die Stimmzettel dann vernichtet. Allerdings habe sie später ein schlechtes Gewissen bekommen und sich einem Parteifreund anvertraut.
Die Wahlhelferin sagt, dass sie nicht absichtlich geschummelt habe, sondern aus Unachtsamkeit und Unerfahrenheit. Die Vorwürfe von Pretzell seien verletzend und sie ginge gerichtlich dagegen vor. Pretzell suche nur einen Sündenbock für die verbockte Wahl.
Aus Absicht oder nicht, die Vernichtung von Wahlzetteln stellt die Rechtmässigkeit der bisherigen Listenaufstellung der AfD unter erhebliche Zweifel.
Neuwahlen könnten für Pretzell das Ende werden
Sollte die bisherige Listenwahl ungültig werden, wäre das für Pretzell ein Desaster.
Bei der Wahl zum Spitzenkandidaten der AfD-Landesliste kam Pretzell in Soest Anfang September nur mit einer Blamage auf den ersten Platz. Er erhielt nur 53 Prozent der Stimmen gegen einen blassen Gegenkandidaten. Pretzell und die Bundessprecherin Frauke Petry, die ebenfalls anwesend war, machten damals AfD-Politiker aus dem Bund für das schlechte Abschneiden verantwortlich, da diese den Gegenkandidaten offen unterstützt hätten. Und tatsächlich: Zwei AfD-Bundesvorstandsmitglieder des Anti-Petrylagers in der AfD waren Gast bei Pretzells Gegenkandidaten. Es handelt sich um Beatrix von Storch und Alice Weidel.
Der damalige Chef des AfD-Rhein-Sieg-Kreises und Mitglied der völkisch-patriotischen Plattform Thomas Matzke gab zu, an der Wahlblamage für Pretzell mitgewirkt zu haben. NRW sei ein gespaltener Landesverband, sagte Matzke. Pretzell würde die verschiedenen Strömungen der Partei nicht integrieren, sondern sie gegeneinander kämpfen lassen. Die nun durch den „stern“ veröffentlichten WhatsApp-Protokolle bestätigen diese Sicht. Pretzell-Getreue versuchten alle aussichtsreichen Listenplätze mit eigenen Kandidaten zu besetzen.
Matzke stellt nun die Rechtmässigkeit der Wahlen in Frage.
Insider der AfD sagen, wenn es zu einer Neuwahl der Liste kommen sollte, könnte Pretzell gestürzt werden. Und damit im nächsten Schritt Frauke Petry. Diese Sicht der Dinge wird durch das ohnehin knappe erste Wahlergebnis von Pretzell glaubhaft. Zudem steht ein möglicher Nachfolger für Pretzell bereits in den Startlöchern. Roger Beckamp wurde mit großer Mehrheit auf Platz zwei der Landesliste der AfD in NRW gewählt. Es heißt, er könne mit beiden Lagern.
In seiner Rede nutze Beckamp Zitate von Götz Kubitschek, einem der geistigen Führer der neuen Rechten in der AfD.
Mit Beckamp würde die AfD noch weiter nach rechts außen wandern.