GEHEIME SPENDEN
Wie Parteispenden über Deutschland verteilt werden – und warum wir mehr darüber wissen sollten
von Miriam Lenz, Max Donheiser,
Jonathan Sachse und Jonas Halbe
6. Juli 2021
Die meisten Parteispenden gehen in die Kommunalpolitik und nicht an den Bund: Rund 850 Kreisverbände geben erstmals an, wie viel Geld sie erhalten haben. Nur von der Union und AfD schweigen fast alle. In unserer neuen Datenbank können Sie Ihren Kreisverband durchsuchen.
Der Wahlkampf um das Amt des Regensburger Oberbürgermeisters im Jahr 2014 war sehr ungewöhnlich. Fast zwei Jahrzehnte hatte die CSU die Stadt regiert. Dann trat der langjährige Amtsinhaber nicht mehr an. Der neue CSU-Kandidat Christian Schlegl und sein SPD-Konkurrent Joachim Wolbergs lieferten sich ein erbittertes Duell – und eine Materialschlacht. Überall in der Stadt hängten die beiden Parteien teure Plakate auf, die sie regelmäßig mit neuen Motiven austauschten.
Es war ein knappes Rennen, das eine Stichwahl und noch mehr Wahlkampfbudget erforderte. Am Ende gewann der SPD-Kandidat Wolbergs.
Die Wahlkämpfe kosteten hunderttausende Euro. Zu einem großen Teil finanziert über Spenden, die direkt in die kommunalen Parteikassen flossen.
Sieben Jahre später zeigte sich teilweise sogar kriminelle Energie hinter der Wahlkampfschlacht. Die Staatsanwaltschaft Regensburg ermittelte gegen mehr als ein dutzend Personen wegen Korruptionsvorwürfen im Zusammenhang mit der „sogenannten Spendenaffäre“, wie die Staatsanwaltschaft Regensburg sie selbst bezeichnet. Im Zentrum der Ermittlungen standen die Spendenflüsse an die SPD und CSU für den Kommunalwahlkampf 2014, die unterschiedlich abliefen. Wolbergs musste sich in zwei Strafverfahren vor Gericht verantworten. Im Juni 2020 verurteilte ihn das Landgericht Regensburg wegen „Bestechlichkeit im Zusammenhang mit Parteispenden“. Ein Jahr später wird sein damaliger Widersacher Christian Schlegl wegen „Beihilfe zur Steuerhinterziehung“ schuldig gesprochen. Noch ist keine Entscheidung rechtskräftig, da in allen drei Fällen Revisionen eingelegt wurde.
Die CSU war nicht in „illegale Parteispenden“ verwickelt, schreibt CSU-Politiker Schlegl auf Anfrage von CORRECTIV.Lokal. Er habe eine Geldstrafe erhalten, weil sein persönliches Kontrollsystem bei der nicht rechtmäßigen Abwicklung von Rechnungen versagte. „Ich möchte zu keinem Zeitpunkt in einem Atemzug oder irgendeinen Zusammenhang mit der Korruptionsaffäre des ehemaligen Oberbürgermeisters Wolbergs genannt werden.“ Wolbergs selbst ließ einen Fragenkatalog unbeantwortet.
Die Kommunalwahl 2014 in Regensburg ist ein extremer Fall. Gleichzeitig ist sie ein Warnzeichen. Spenden spielen vor Ort in den Wahlkämpfen eine wesentliche Rolle. Wer Oberbürgermeisterin werden möchte, in den Landtag oder in den Bundestag einziehen will, braucht Geld. Die Partei kann helfen. Die finanzielle Unterstützung ist aber gerade bei Kommunalwahlkämpfen begrenzt. Wer mehr möchte, muss aus der eigenen Tasche zahlen oder Spenden eintreiben. Aber gerade auf dieser lokalen Ebene erfährt die Öffentlichkeit kaum, woher das Geld kommt und an welche Verbände es geht. Die Parteispenden werden nur gebündelt aufgeführt, wenn sie mit zwei Jahren Verspätung auf der Internetseite des Bundestages veröffentlicht werden. Es ist damit für die Bürgerinnen und Bürger nicht nachvollziehbar, in welche Parteiverbände besonders viel gespendet wird und welche Personen davon besonders profitieren.
Erstmals sind nun Parteispenden auf kommunaler Ebene transparenter geworden. CORRECTIV.Lokal hat zusammen mit seinem Netzwerk aus Lokaljournalistinnen und -journalisten in den vergangenen Monaten alle Parteien angefragt, ihre Parteispenden kommunal aufzuschlüsseln. Rund 850 Kreisverbände haben daraufhin erstmals offengelegt, wie viele Parteispenden in den Jahren 2016 bis 2019 flossen. Allein für das Jahr 2019 lassen sich dadurch 7,6 Million Euro zuordnen. Und wir sehen, welche Kreisverbände und Parteien lieber schweigen.
Besonders transparent sind die Linken und die Grünen. Die Grünen haben als einzige Partei für alle ihre Kreisverbände offengelegt, wie viele Spenden sie in den Jahren 2016 bis 2019 bekommen haben. 14 der 16 Landesverbände der Linken haben ebenfalls die Spendeneinnahmen ihrer Kreisverbände transparent gemacht. Die SPD hat immerhin für rund 120 Kreisverbände mitgeteilt, wie viel Geld sie aus Spenden erhalten haben. Die restlichen Parteien schwiegen in den meisten Fällen.
Die Blackbox: Union und AfD schweigen zu ihren Parteispenden
Die Unionsparteien geben sich zugeknöpft und wollten keine Auskunft leisten. Das ist besonders brisant, weil sie die meisten Spenden bekommen. 2019 waren es zusammen knapp 36 Millionen Euro. Fast 80 Prozent davon gingen an die unteren Parteiebenen. Also Ortsvereine, Kreis- und Bezirksverbände.
Wie sich das Geld auf die einzelnen Kreisverbände verteilt – dazu will die Union nichts sagen. Gemeinsam mit Lokalreporterinnen aus ganz Deutschland hat CORRECTIV.Lokal neben den Landesverbänden mehr als 100 Kreisverbände der CDU und CSU direkt angefragt. Gerade einmal sechs legten offen, wie viele Spenden sie in den vergangenen fünf Jahren bekommen haben. Allein für das Jahr 2019 bleiben mehr als 28 Millionen Euro Spenden im Verborgenen.
Die anderen Kreis- und Landesverbände schickten uns und den Lokalreportern vor Ort fast alle die wortgleiche Absage. Man befolge die gesetzliche Veröffentlichungspflicht und gehe nicht darüberhinaus. Aufgrund des Datenschutzes könne man auch nicht mitteilen, an welche Parteigliederung Großspender ihr Geld überwiesen . Eine diskussionswürdige Argumentation. Schließlich werden solche personenbezogenen Daten bereits in den Rechenschaftsberichten der Parteien genannt, sobald mehr als 10.000 Euro gespendet werden.
Nicht nur die Union schweigt. Auch die FDP und insbesondere die AfD gaben kaum Auskunft auf unsere Anfragen. Im aktuellen Wahlkampf ist die FDP die Partei, die in diesem Jahr bisher in der Summe die höchsten Großspenden erhalten hat. Die AfD steht seit Jahren wegen verschiedener Parteispenden-Affären in der Kritik. In mindestens einem Fall ging es dabei auch um illegale Spenden an einen AfD-Kreisverband.
Das müssen die Parteien (nicht) veröffentlichen
In Deutschland müssen Parteien Spenden erst ab einer Summe von mehr als 10.000 Euro im Rechenschaftsbericht mit der Herkunft der Spende veröffentlichen – und dies auch erst mit einer Verzögerung von zwei Jahren. Der Transparenzverein Lobbycontrol veröffentlicht diese Spenden alljährlich in einer Datenbank. Ob Spenden an einen Landes- oder Kreisverband der Partei fließen, ist nicht ersichtlich. Im Mai berichtete CORRECTIV, wie eine umfangreiche Gesetzesreform an der Union scheiterte.
Wie unterschiedlich Parteien vor Ort von Spenden profitieren
In Regensburg fanden im vergangenen Jahr wieder Kommunalwahlen statt. Sechs Jahre nach der Materialschlacht und den nachfolgenden Strafverfahren gingen CSU und SPD hier neue Wege. Die SPD veröffentlicht nun die Namen aller Spender auf ihrer Internetseite, die mehr als 1.000 Euro spenden. Sie geht damit weit über die gesetzliche Verpflichtung hinaus. Zudem dürfen Spenden nur noch direkt an den Kreisverband fließen und nicht mehr an kleinere Gliederungen wie Ortsvereine.
Unter dem ehemaligen Oberbürgermeister Wolbergs flossen die Spenden noch an einen SPD-Ortsverein, sodass nur wenige Personen Einblick in die Parteikasse hatten. Auf dem Konto des Kreisverbandes Regensburg-Stadt ging mehrere Jahre lang keine einzige Spende ein. Wäre das damals schon bekannt gewesen, hätte es sicherlich Fragen gegeben.
CORRECTIV.Lokal hat auch in Regensburg die Kreisverbände der größten Parteien angefragt. Außer der AfD haben hier sämtliche Parteien Auskünfte zu ihren Spenden gegeben, die sie rund um den Kommunalwahlkampf 2014 bis ins Jahr 2020 erhalten haben.
Regensburg-Stadt ist der einzige der 104 Kreisverbände der CSU, der CORRECTIV.Lokal und seinen Medienpartnern Auskunft zu den Parteispenden gab. Allerdings ließ der Kreisverband die entscheidenden Jahre aus, die von den Ermittlungsbehörden untersucht werden. Der damalige OB-Kandidat Schlegl beziffert das Budget auf rund 400.000 Euro für den Kommunalwahlkampf 2014.
In Regensburg sei „die Zeit der großen Parteispenden vorbei“, sagt Astrid Freudenstein mit Blick auf die vergangene Spendenaffäre. Seit 2020 ist die CSU-Politikerin Zweite Bürgermeisterin der Stadt Regensburg. Sie wechselte zurück ins Kommunale, nachdem sie mit Unterbrechungen sieben Jahre Bundestagsabgeordnete war. Zunächst dachte Freudenstein, sie würden nach der Spendenaffäre gar keine Spenden mehr bekommen. Das bereitete ihr Sorgen: „Ein Kernproblem im Kommunalen ist, dass Wahlkämpfe selber finanziert werden müssen.“ Dann seien doch mehrere Parteimitglieder auf sie zugekommen. Am Ende kamen 34.000 Euro zusammen. Keine andere Partei bekam in der Domstadt mehr Spenden. Freudenstein findet, die Öffentlichkeit solle „ab einer gewissen Höhe“ auch wissen, wer gespendet hat. Korruption blühe im Lokalen einfach mehr. „Am Ende ist es eine Typfrage, ob man dafür empfänglich ist.“
Fast 400 Kilometer nordwestlich von Regensburg hatte ein anderer Wahlkampf offensichtlich einen unmittelbaren Einfluss auf Parteispenden. Im Jahr 2018 wurden der Landtag und Landräte in Hessen neu gewählt und die Kreisverbände Limburg-Weilburg von der SPD und der CDU konnten sich über höhere Spenden als üblich freuen. Mindestens eine der Spenden hatte einen Beigeschmack, wie Recherchen von CORRECTIV.Lokal zeigen.
Die konkrete Parteispende: Wo Interessenkonflikte sichtbar werden
Die SPD in Limburg-Weilburg erhielt nach Recherchen von CORRECTIV.Lokal eine bisher unbekannte 10.000-Euro-Spende von einem regionalen Bauunternehmer. Auffällig ist: Der Spender erhielt seit Jahren Aufträge von einer SPD-geführten Gemeinde in der Region. Einen Zusammenhang zwischen der Spende und den Grundstücksgeschäften weisen der SPD-Kreisverband vor Ort und ein Bürgermeister von sich. Doch genau wegen solcher potenziellen Interessenkonflikte fordern Expertinnen seit Langem mehr Transparenz bei Parteispenden.
Es gibt weitere Fälle, die nun erstmals sichtbar werden: Der SPD-Kreisverband Hamburg-Mitte hat innerhalb von nur vier Jahren 640.000 Euro eingesammelt. Es ist der Spenden-Spitzenreiter unter allen anderen Kreisverbänden, die auf die Anfrage von CORRECTIV.Lokal geantwortet haben. In Hamburg bekam der SPD-Kreisverband Mitte mehrere Spenden aus dem Immobilien-Sektor und Einzelspenden, die genau einen Cent unter der Veröffentlichungspflicht spendeten. Der Verband wurde lange Zeit vom ehemaligen Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs geführt, der bereits zweimal wegen fragwürdiger Parteispenden im Fokus stand.
Die Fälle in Regensburg, Hamburg und Limburg-Weilburg zeigen, warum es so wichtig ist, Spenden einzelnen Kreisverbänden zuordnen zu können. Nur so können Bürger und Journalistinnen Fragen stellen und Parteien zur Rechenschaft ziehen.
Durch die Recherche von CORRECTIV.Lokal zusammen mit zahlreichen lokalen Medienpartnern können wir zum ersten Mal bei mehr als 40 Spenden und für fast 800.000 Euro zeigen, an welche Parteiebene das Geld floss. Darunter sind Spenden von Immobilienunternehmen, Versicherungsgruppen und der Elektro-Industrie. Mehrere dieser Spenden liegen unter der gesetzlichen Veröffentlichungspflicht, teilweise um nur einen Cent. Die Liste aller Spenden, die wir zuordnen können, finden Sie hier. Der größte Teil der Spender bleibt allerdings weiterhin anonym. CDU und CSU haben uns gegenüber keinen einzigen Namen offengelegt.
Auch nach dieser Recherche bleibt für mehr als 70 Millionen Euro unklar, welche Firmen und Personen an welche Parteigliederung gespendet haben. Aber für 7,6 Millionen Euro ist zum ersten Mal ersichtlich, wohin das Geld floss. In der folgenden Datenbank können Sie in Ihrem Wohnort die mitgeteilten Parteispenden durchsuchen.
Transparenzhinweis: Autor Jonas Halbe ist Mitglied der SPD und gehört dem Kreisverband Ennepe-Ruhr an.
Hohe anonyme Spenden an Parteien oder Abgeordnete sind eine Gefahr für die Demokratie. Auf unserem #GeheimeSpenden-Blog veröffentlichen wir aktuelle News und investigative Recherchen. Wir decken auf, wer im Verborgenen Einfluss auf die Politik nimmt. In diesem Teil der Recherche-Serie hat CORRECTIV.Lokal mit Lokalmedien aus ganz Deutschland zusammengearbeitet. In den letzten Monaten stellten sie hunderte Anfrage an Kreisverbände, teilten Recherche-Ergebnisse miteinander und werteten Daten aus. Die Ergebnisse sämtlicher Recherchen werden ab dem 1. Juli schrittweise veröffentlicht.