Russland/Ukraine

Wie einfach kam Putin an militärische Geheimnisse?

Der von Putin abhängige Staatskonzern Gazprom schrieb über Strohleute in seiner Schweizer Tochterfirma Nord Stream 2 das Bergamt Stralsund an – und forderte die Herausgabe vertraulicher Unterlagen der Bundeswehr.

von David Schraven

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In Bezug zum Krieg im Nahen Osten kursieren online Russlands Präsident Putin – nützten seiner Regierung die Informationen, die die Gazprom-Tochter anforderte? (Quelle: Gavriil Grigorov / Russian President Press Office / Picture Alliance)

Es klingt nach einer unverschämten Forderung: Vertreter von Nord Stream 2 – einer Tochterfirma des russischen Gazprom-Konzerns – schrieben im Sommer 2016 einen Brief an das Bergamt Stralsund. Ziel war es angeblich laut dem Schreiben, die umstrittene Unterwasser-Pipeline genehmigungsfähig zu machen. Die Vertreter schrieben, sie bräuchten dafür noch einige Informationen der Bundeswehr, die ihnen die Soldaten selbst aber nicht geben wollten. Deswegen baten die Nord-Stream-2-Manager das Bergamt „im Rahmen der Amtshilfe“, die notwendigen Geheimangaben bei der Bundeswehr anzufordern und weiterzureichen. Das schreibt das Handelsblatt. 

Es ging um Schusspositionen der Marine, ihre Schusswinkel, alle Informationen über die verwendete Munition der Marine, die „Flugkörperwaffe der Marine“ – sowie alle möglichen Angaben zur Ausbildung an den Flugkörperwaffen und die dazu passenden Waffenübungen. Außerdem schrieben die Strohleute der Russen, sie hätten gern alle verfügbaren Informationen zu Übungen mit Guided Missile Weapon Systemen (GMWS RAM). Die Datenblätter zu den verwendeten Drohnen, ihren Kalibern und den Vorladungen wären natürlich auch hilfreich für den Bau der Unterwasserpipeline, hieß es in dem Schreiben, das CORRECTIV vorliegt. Wörtlich heißt es, die Nord Stream 2 Leute bitten das Bergamt um die:

„Übergabe der einschlägigen Dienstvorschriften in aktueller und vollständiger Fassung,  die für die Schießübungen relevant sind. Nach Mitteilung im Scoping sind dies jedenfalls:

  • MDv 650/2 VS-NfD, ‘Die Flugkörperwaffe der Marine – Ausbildung und Waffenübungen’
  • AnwM 650/205 VS-NfD, ’Die Flugkörperwaffe der Marine – Waffenübungen mit Guided Missile Weapon System Rolling Airframe Missile (GMWS RAM)’
  • MDv 600/2 VS-NfD ,,Die Artillerie der Marine – Ausbildung und Waffenübungen““

Weitere Anfragen zu NATO-Geheiminformationen zur U-Boot-Waffe folgten. Beispielsweise zu den genauen Koordinaten der U-Boot-Tauchgebiete Bravo 13 und 24.

Geheime Daten an russisches Unternehmen

Viele der begehrten Papiere tragen den Stempel „VS-NfD“. Das bedeutet: „Verschlusssache, nur für den internen Dienstgebrauch“. Wer als solches eingestuftes militärisches Material an Dritte weitergibt, der macht sich des Verrates strafbar. 

Das scheint das Bergamt damals nicht zu jucken, es will liefern. In einer E-Mail an die Russen-Firma teilt der verantwortliche Beamte mit, die Anfrage nach den vertraulichen Infos sei bereits an die Soldaten weitergeleitet worden, man warte auf Antwort, um die Russen mit den Geheiminformationen versorgen zu können: „Alles iO. Die Anfrage an die BW ist schon raus.” Die E-Mail schließt mit dem Bergmannsgruß. „Glückauf.“ 

Mit dem Planungsbeschluss für die Osteepipeline Nord Stream 2 gab die zuständige Genehmigungsbehörde schließlich die vertrauliche Informationen der Bundeswehr und der Nato nicht nur an die Tochter des russischen Staatskonzerns Gazprom weiter, sondern veröffentlichte diese auch im Internet.

Man kann sich die erstaunten Augen bei der Bundeswehr leicht vorstellen. Ein Bergamt in Mecklenburg-Vorpommern beschafft im Auftrag eines russischen Staatskonzerns Geheiminformationen der Bundeswehr. Und veröffentlicht diese im Planfestellungsbeschluss. 

Streit über Weitergabe an Norstream

Die Bundeswehr schreibt damals an das Bergamt und droht mit Konsequenzen. 

„In Ihrem Planfeststellungsbeschluss für die Errichtung und den Betrieb der Nord Stream 2-Pipeline im Küstenmeer haben Sie militärisch sensible Daten der Marine, die als Verschlusssache — Nur für den Dienstgebrauch (VS-NfD) eingestuft sind, bekannt gegeben, in Bezug zueinander gestellt und kommentiert.

Diese in Rede stehenden VS-Daten habe ich Ihnen lediglich mitgeteilt, um auf Ihr nachdrückliches Drängen als Genehmigungs- und Planfeststellungsbehörde meinen Mitwirkungspflichten nachzukommen. 

(Ich hatte ihnen geschrieben, dass) nur nach meiner Zustimmung eine wie auch immer geartete Weitergabe statthaft sei.

Ich erwarte eine Übersendung der Adressatenliste der Empfänger der von Ihnen versandten Ausfertigungen des Planfeststellungsbeschlusses (sowie) Ihre dienstliche Erklärung, dass Ausfertigungen des Planfeststellungsbeschlusses, die (…) VS-NfD-eingestufte, militärisch sensible Daten der Marine beinhalten, (…), nicht öffentlich ausgelegt werden. Die Einleitung strafrechtlicher Schritte gegenüber den verantwortlichen Personen des Bergamtes Stralsund behalte ich mir ausdrücklich vor.“ 

Die Bundeswehr schaltete schließlich die Kanzlei Taylor Wessing gegen die Schweriner Landesregierung ein, um die Preisgabe von militärischen Geheimnissen durch die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern zu stoppen. Weiter erfolglos. Die geheimen Informationen sind immer noch im Netz zu finden.  

Geheime Daten sogar im Internet verfügbar

Kann man das Verhalten des Bergamtes irgendwie erklären? Auf den ersten Blick sieht die Anfrage der Russen nicht besonders kritisch aus. Die Pipeline-Betreiber suchen Informationen zu Manövern der Marine im Gebiet der Pipeline, um die Leitung zu schützen. Über Nord Stream 2 sollte Gas von Russland quer durch die Ostsee bis nach Lubmin in der Nähe von Greifswald geleitet werden. 

Allerdings hätte den Beamten im Bergamt auffallen können, dass Fragen nach Drohnen und Raketensystemen nichts mit den berechtigten Interessen zu tun haben.

Die Gazprom-Leute verlangten nach Geheimmaterial zu Einsatzgebieten für U-Boote, um die dänische Insel Bornholm herum. Und als sie erste Informationen bekamen, drängten sie auf mehr. Einen konkreten Grund für das Interesse lässt sich nicht finden. Da der Pipeline-Eigentümer, letztlich der Staatskonzern Gazprom, nicht zur Nato gehörten, verlangte das deutsche Militär deswegen eine Begründung, warum Koordinaten von U-Boot-Tauchgebieten benötigt werden. Sie bekamen nichts Tragfähiges zu hören.

Am Ende landeten etliche vertrauliche Informationen im Internet.  

Personelle Konsequenzen gab es bis heute keine.

Der ganze Vorgang kam nur ans Licht gekommen, weil ein Zeuge in einem Untersuchungsausschuss in Schwerin vom Versuch der Russen berichtete, geheime Unterlagen über U-Boote der Nato in der Ostsee absaugen zu wollen.

Das Spannende hier ist vor allem der Weg, den die Russen nahmen, um an vertrauliche militärische Informationen zu kommen. Sie schickten keine Spione, die in Ämter einbrachen. Sie machten über Strohleute mit deutschen Namen die Ämter selbst zu Helfern der Spionage. Man kann nur ahnen, was das für Informationen über andere kritische Infrastruktur bedeutet, die geschützt werden muss. Die russischen Spione konnten theoretisch über ihre Beteiligungen im Westen wie Gazprom Germania, die Leipziger Gastochter VNG (solange diese noch teilweise den Russen gehörte) oder andere Staatsunternehmen oder beteiligte Stadtwerke direkt bei den Genehmigungsbehörden geheime Verschlusssachen abfragen – mit Rückendeckung der Regierungen.

Aufklärung über die bundesweite Dimension des militärischen Geheimnisverrates kann nur ein Untersuchungsausschuss des Bundestages bringen.