Platznot bei der Truppe? Neue Soldaten, aber nicht genug Betten
Um verteidigungsfähig zu werden, brauche die Bundeswehr bis zu 60.000 neue Soldaten, heißt es immer wieder. Der geplante Ausbau von Unterkünften deckt aber nur die Hälfte davon – fast doppelt so viele wären nötig.

Die Bundesregierung plant den größten Personalaufwuchs der Bundeswehr seit Jahrzehnten. Offiziell soll sie bis 2030 von bisher rund 180.000 auf 203.000 Soldaten anwachsen. Verteidigungsminister Boris Pistorius betont allerdings seit Monaten: Um eine Verteidigungsfähigkeit zu erreichen, brauche es bis zu 60.000 neue Soldaten.
Auch die NATO macht Druck, dort verlangt man sogar 80.000 neue Soldaten von Deutschland. Hinter der Hand halten Personalverantwortliche der Bundeswehr das offenbar für unrealistisch, wie die Welt am Sonntag berichtete. Und auch ein Blick in interne Zahlen offenbart: Die bislang vorgesehenen Unterkunftsprojekte bei der Truppe würden dafür bei Weitem nicht ausreichen, wie diese Recherche zeigt.
Das Bauamt der Bundeswehr (BAIUDBw) teilte CORRECTIV mit, dass sich derzeit etwa 120 Unterkunftsgebäude mit einer Kapazität von rund 11.700 Betten im Bau befinden. Weitere 280 Unterkunftsgebäude mit einer Kapazität von rund 25.000 Betten sind für die kommenden Jahre geplant.
Um einen Aufwuchs auf 60.000 Soldatinnen und Soldaten zu stemmen, müsste der Bund also fast doppelt so viele Unterkünfte bauen wie bislang vorgesehen – und etwa 23.000 zusätzliche Betten planen.
Bundeswehr-Bauamt: Prüfungen zu neuem Flächenbedarf dauern an
Dafür können Kosten nach Recherchen von CORRECTIV beinahe bis zu einer Milliardenhöhe anfallen, je nachdem, welcher Schlüssel angelegt wird: Rekruten und freiwillige Wehrdienstleistende benötigen weniger Platz als Soldaten, die nach der Grundausbildung fest im Dienst bleiben.
Auch, ob Flächen neu bebaut werden müssen oder Unterkünfte gemietet werden, bestimmt, welche zusätzlichen Kosten auf Deutschland zukommen.
Laut des Bauamts der Bundeswehr (BAIUDBw) kann bei Neubauten von einem Flächenbedarf von rund zehn Quadratmetern Bruttogrundfläche (BGF) pro Rekrut in Gemeinschaftsunterkunft ausgegangen werden, pro Soldat in Einzelunterkunft von rund 21 Quadratmetern Bruttogrundfläche (BGF).
Wir gehen für unsere Rechnungen von den Kosten pro Quadratmeter Neubau eines neuen Unterkunftsgebäudes auf der Marineanlage Reiherdamm aus: Dort kosten 4.900 Quadratmeter Neubaufläche 9,9 Millionen Euro. Das entspricht einem Baukostenfaktor von etwa 2.020 Euro pro Quadratmeter für einen Neubau nach aktuellem Standard.
Schon bei einer konservativen Rechnung – und gerechnet auf die rund 23.000 zusätzlichen Betten für Rekruten, die bisher in der Aufstellung der Bundeswehr fehlen – bräuchte es 230.000 Quadratmeter Neubaufläche zu einem Kostenpunkt von rund 465 Millionen Euro. Geht man davon aus, dass die 23.000 Personen alle nach der Grundausbildung fest im Dienst bleiben würden, vergrößert sich der Investitionsbedarf auf 483.000 Quadratmeter Neubaufläche für rund 977 Millionen Euro.
Auf die Frage, ob es bereits konkrete Szenarien oder Modelle zum zusätzlichen Bedarf gibt, sagt ein Sprecher des Bundeswehr-Bauamts gegenüber CORRECTIV: „Die Untersuchungen zur Unterbringung des notwendigen Personalaufwuchs dauern noch an.“ Angaben zu tatsächlichen Flächen- und Kostenbedarfen könnten auch erst nach dieser Prüfung getroffen werden.
Kapazitäten und Infrastruktur reichen für großen Ausbau der Streitkräfte aktuell nicht aus
Auch abseits der fehlenden Betten für neue Soldaten steht die Bundeswehr laut Experten vor einer Herkulesaufgabe.
Das System, welches für einen Ausbau der Truppe gebraucht werde, sei abgebaut worden, sagte etwa Joachim Weber, Sicherheitsexperte an der Uni Bonn, in der Tagesschau. Er meint damit die Wehrerfassung, aber auch die Verwaltung. Zudem fehle es an Ausbildern für die vielen Rekruten.
Für den Neuaufbau der Bundeswehr in einer Größe, wie der Verteidigungsminister und die NATO es fordern, braucht es weitaus mehr Zeit, Geld und gezielte Programme zur Nachwuchsgewinnung als derzeit geplant ist.
Ein Umstand, der hinter markigen politischen Lippenbekenntnissen oft vergessen wird. Wie die Regierung einen massiven Personalaufwuchs der Bundeswehr konkret bewerkstelligen möchte, bleibt damit weiterhin unklar.