Sicherheit und Verteidigung

Mehr Geld für Rüstung, aber weniger Kontrolle

Die Regierungskoalition schottet große Rüstungsvorhaben stärker gegen parlamentarische Kontrolle ab. Und im Haushaltsausschuss ist nun ein industrienaher CDU-Abgeordneter für das Verteidigungsbudget zuständig.

von Hans-Martin Tillack

Boris Pistorius_Pressekonferenz
Boris Pistorius bei einem Pressetermin zum Gesetz zur beschleunigten Planung und Beschaffung für die Bundeswehr. (Foto: Christian Ditsch / picture alliance / SZ Photo)

Es gehe um „große Summen, die vielen wehtun“, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), als er am 9. Juli im Bundestag den Wehretat für das Jahr 2025 vorstellte. Insgesamt gut 86 Milliarden stünden der Bundeswehr zur Verfügung – Gelder, die man nun „aber zielgerichtet und mit Augenmaß einsetzen“ werde, versprach der Minister.

Wie zielgerichtet genau das geschieht, wird dennoch weniger nachvollziehbar sein als bisher. Denn das Kabinett hat nicht nur jüngst einen Gesetzentwurf beschlossen, der die Beschaffung für die Bundeswehr beschleunigen soll. Das Verteidigungsministerium und die Mehrheit von CDU/CSU und SPD im Bundestag reduzieren zudem die Transparenz bei Rüstungsprojekten.

Recherchen von CORRECTIV zeigen jetzt, dass gerade milliardenschwere Deals mit Rüstungskonzernen wie Rheinmetall oder Lürssen stärker von parlamentarischer Kontrolle abgeschottet werden. Zugleich ist neuerdings ein CDU-Politiker im Haushaltsausschuss für die Verteidigungsausgaben zuständig, der gute Beziehungen zu einigen Unternehmen der Branche pflegt.

Die reduzierte Transparenz betrifft zum Beispiel ein Projekt namens DLBO. Das Kürzel steht für die Digitalisierung landbasierter Operationen bei der Bundeswehr. Im Dezember erhielt Rheinmetall hier zusammen mit einer Tochterfirma den Zuschlag für einen Auftrag über 1,2 Milliarden Euro. Bisher musste das Verteidigungsministerium dem Haushaltsausschuss jährlich einen Bericht über die Umsetzung der DLBO-Vorhaben übermitteln; das geht aus einer internen Liste hervor, die CORRECTIV vorliegt.

Diese Berichtspflicht für das DLBO-Projekt schafften die Abgeordneten von CDU/CSU und SPD kurz vor der Sommerpause im Haushaltsausschuss ab – genauso wie für 18 weitere Themen, für die das Haus von Minister Pistorius bisher regelmäßig Berichte übermitteln musste. Das sei „im Sinne des Bürokratieabbaus“, hieß es in dem Antrag der beiden Regierungsfraktionen für die Ausschusssitzung am 25. Juni 2025.

Verteidigungsministerium muss nicht mehr über Großbeschaffungen berichten

Auch über den Stand bei zwei Großbeschaffungen bei dem Werftenunternehmen Lürssen in Bremen muss das Ministerium nun nicht mehr wie bisher halbjährlich oder jährlich berichten. Das betrifft etwa den Bau von zwei 173 Meter langen Tankschiffen, die Lürssen zusammen mit der Meyer-Werft baut. Wegen hoher Kosten hatte der Bundesrechnungshof das Vorhaben bereits 2022 in Frage gestellt. Doch das Verteidigungsministerium hielt daran fest. Zuletzt – im Februar 2025 – veranschlagte das Ressort 914 Millionen Euro für die beiden Schiffe. Jetzt räumte das Ministerium auf Anfrage von CORRECTIV ein, dass sich der Bau der Schiffe noch weiter verzögert als bisher bekannt. Erst Anfang 2027 soll das erste fertig werden – statt wie bisher geplant im Jahr 2026. Künftig muss das Ministerium zu den Tankschiffen keine regelmäßigen Reports mehr abliefern.

Das gilt auch für drei Spionageschiffe, von denen seit Anfang des Jahres das erste auf einer Lürssen-Werft in Wolgast in Vorpommern entsteht. Auch bei diesen offiziell als Flottendienstboote betitelten Marineschiffen explodierte der Preis. Bereits 2023 berichteten NDR, WDR und SZ von einer Kostensteigerung um mehr als 1,2 Milliarden Euro, auf insgesamt über drei Milliarden Euro. Die Summe von 3,26 Milliarden nannte das Ministerium auch in einem jüngsten Report von November 2024 – dem einstweilen letzten dazu.

Grafik eines Flottendienstboots der Klasse 424 auf dem Meer.
Ein sogenanntes Flottendienstboot der Klasse 424 für die Deutsche Marine. (Modell: NVL Group)

Bei einem anderen Projekt will das Verteidigungsministerium nicht einmal mehr einen solchen Stückpreis offenlegen. Kurz vor der Sommerpause übermittelte das Wehrressort zusammen mit dem Finanzministerium dem Bundestag eine Vorlage für die Beschaffung von Lenkflugkörpern des norwegischen Herstellers Kongsberg für den F-35-Kampfjet, den die Bundeswehr in den USA einkauft. Insgesamt sollen die Steuerzahler 676 Millionen Euro für die sogenannten Joint Strike Missiles (JSM) zahlen – aber es ist unklar, wie viele davon die Bundeswehr für das Geld bekommt. Denn selbst in der vertraulichen Vorlage des Verteidigungsministeriums für den Haushaltsausschuss ist die Stückzahl geschwärzt.

Abgeordnete kritisieren Vorgehen, Rechnungshof schlägt Alarm

„Wie sollen wir das kontrollieren?“, fragt der Abgeordnete Ulrich Thoden, der für die Linken als Vize-Mitglied in dem Ausschuss sitzt. „Die Transparenz wird sehr zurückgefahren“, kritisiert er. „Sie schleifen die Transparenz“, klagt auch der Grünen-Haushaltsexperte Sebastian Schäfer: „Wir haben eine völlig entgrenzte Finanzierungssituation und reduzierte Transparenz“, sagt der Abgeordnete. „Das ist keine gute Kombination.“

Bereits im Mai hatte der Bundesrechnungshof gewarnt: Die neuen üppigen Mittel für das Militär könnten die Waffenhersteller dazu verleiten, die Preise zu erhöhen. Es bestehe „das Risiko, dass sich das Signal der unbegrenzten Verschuldungsmöglichkeiten negativ auf die Preisentwicklung im Verteidigungsbereich auswirkt“, schrieben die Prüfer.

Dazu kommt der Druck von Lobbyisten und von sie unterstützenden Politikern, die um möglichst große Stücke von dem üppigen Kuchen rangeln. Bereits im Mai gab der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Markus Söder den Ton vor. Sein Bundesland sei bei der Rüstungsindustrie die Nummer eins in Deutschland, behauptete Söder. Daher „sollten bis zu 25 Prozent der künftigen Ausgaben auch in bayerische Unternehmen fließen“.

Gegen solche Quotenforderungen wandte sich bei der Haushaltsdebatte im Juli sogar der CDU-Abgeordnete Andreas Mattfeldt. Ohne Söder beim Namen zu nennen, erteilte der Christdemokrat dem Länderschlüssel von 25 Prozent für ein Bundesland „eine klare Absage“. Mattfeldt, 55, ist seit Jahren Mitglied im Haushaltsausschuss und seit dieser Wahlperiode der Hauptberichterstatter für den Wehretat – auf Vorschlag seiner Fraktion.

Sein Widerstand gegen die von Söder verlangte Bayern-Quote könnte auch damit zu tun haben, dass Mattfeldt die Interessen einiger nichtbayerischer Rüstungsfirmen im Blick hat. Er vertritt nämlich den Wahlkreis Osterholz-Verden in Niedersachsen. Der liegt vor den Toren von Bremen – und dort hat nicht nur die Lürssen-Werft ihren Sitz, sondern auch der Satellitenhersteller OHB, der ebenfalls ein Bundeswehr-Lieferant ist. Der deutsch-französische Rüstungsriese Airbus sowie die Airbus-Raumfahrttochter Ariane unterhalten überdies wichtige Werke in Bremen.

CDU-Mann Mattfeldt: Weinfreund der Rüstungsunternehmer

Mit all diesen Firmen unterhält Mattfeldt gute Beziehungen. Der Werftenunternehmer Peter Lürßen – er schreibt sich anders als sein Konzern mit ß – stand nach Informationen von CORRECTIV sogar auf der Einladungsliste zu einem privaten Weinabend, den Mattfeldt im Jahr 2017 organisierte. Auch der Name von OHB-Chef Marco Fuchs fand sich auf der Liste. „Ich habe da eingeladen“, bestätigte Mattfeldt gegenüber CORRECTIV. Er kenne Peter Lürßen seit vielen Jahren und, „ja sicher“, er sei auch per Du mit ihm.

Mit OHB-Chef Fuchs wiederum verbindet Mattfeldt nach eigenen Angaben, dass sie beide in der gleichen Gegend wohnten. „Das ist vollkommen normal“, sagte der Parlamentarier. „Ein intensiver Austausch mit allen namhaften Unternehmen meiner Region“, so der CDU-Mann, sei „eine Pflichtaufgabe als Abgeordneter“.

Ein Bild des CDU-Politikers Andreas Mattfeldt vor einem grauen Hintergrund.
Der Mann für den Wehretat: CDU-Politiker Andreas Mattfeldt. (picture alliance / dts-Agentur)

In dieser Eigenschaft setzte er sich bereits in der Vergangenheit für heimische Hersteller ein. Im Oktober 2024 etwa pries Mattfeldt auf Instagram den Start eines von OHB gefertigten Satelliten der Europäischen Weltraumorganisation ESA: „Als zuständiger Haushälter habe ich die Mission mit durchgesetzt“, schrieb er.

OHB, Airbus und die Airbus-Tochter Ariane zählten auch zu den Ausstellern einer Veranstaltung namens „Tag der Luft- und Raumfahrt“ in Osterholz-Scharmbeck bei Bremen, die Mattfeldt bereits dreimal organisiert hat. Zuletzt im September 2024 lud der umtriebige Christdemokrat dazu ein – bei freiem Eintritt für die über 4000 Besucher.

Interessenten, die als Zuhörer an Podiumsdiskussionen der Veranstaltung teilnehmen wollten, mussten sich etwa 2019 per Telefon, Fax oder Mail an das Abgeordnetenbüro von Mattfeldt wenden. Die Kosten aber trugen andere. Mattfeldt selbst sprach 2024 auf seiner Website von „unseren Partnern der Industrie, die die Messe mitfinanziert haben“.

Es handele sich um eine „Ausbildungs- und Studienmesse“, sagte er jetzt CORRECTIV. Sie habe das  Ziel, „junge Menschen für technische Berufe zu begeistern“. Die beteiligten Firmen zahlten dafür nichts an ihn als Veranstalter, sondern an die Stadthalle Osterholz-Scharmbeck als Tagungsort – „damit ich da raus bin“, fügte der Politiker hinzu.

Airbus und OHB reagierten bisher nicht auf Anfragen. Auch ein Sprecher der Ariane Group wollte sich auf die Frage nach Zahlungen nicht äußern, aber begründete die Teilnahme an Veranstaltungen wie in Osterholz „als Chance, der Zukunftsbranche Raumfahrt in der Öffentlichkeit mehr Sichtbarkeit zu verschaffen“.

Der Parlamentarier verteidigt seine Rolle bei dem Event als ehrenamtliches Engagement. Bei allem Einsatz für die regionale Wirtschaft sei er dennoch „als äußerst geiziger Haushälter bekannt“, versichert Mattfeldt: „Ich bin derjenige, der der Industrie mehr als auf die Füße tritt.“

Lobbycontrol: „Ungute Nähe“

Aurel Eschmann von Lobbycontrol sieht angesichts der industriegeförderten Veranstaltungen zwar keinen regelrechten Interessenkonflikt bei Mattfeldt, „aber eine Art ungute Nähe“. Auch die Duz-Bekanntschaft mit Werften-Besitzer Lürßen sei nicht unproblematisch. „Angesichts der Summen, um die es im Verteidigungsetat geht, wäre ein gewisser Abstand wünschenswert“, sagt Eschmann.

Und warum mussten die Berichtspflichten des Ministeriums an den Haushaltsausschuss unbedingt entfallen? Mattfeldt sagt, dass dies nicht in seinem Ermessen gestanden habe. „Im Zuge des Bürokratieabbaus haben die Obleute der Regierungskoalition entschieden, dass für alle Einzelpläne die zum Teil inflationären Berichte erst einmal gestrichen werden“, so der Christdemokrat.

Der Obmann der SPD im Haushaltsausschuss, Thorsten Rudolph, ließ ausrichten, dass er „im Urlaub“ sei. Der Obmann von CDU und CSU, Florian Oßner (CSU), verwies zurück an seinen Fraktionskollegen Mattfeldt – auch zu der Frage, warum CDU und CSU ihn als Hauptberichterstatter für den Verteidigungsetat nominiert hatten.

Lürssen reagierte nicht auf Fragen nach dem Verhältnis zwischen dem Werftenunternehmen und Mattfeldt.

Das Verteidigungsministerium wollte „Entscheidungen des Haushaltsausschusses“ nicht kommentieren. Transparenz werde „durch den regelmäßigen und intensiven Austausch“ zwischen Ministerium und dem Parlament „in diversen Formaten“ hergestellt, „nicht allein über die Pflicht zur Vorlage von Berichten“, versicherte ein Sprecher.

 

Redaktion und Faktencheck: Till Eckert