TTIP

Weniger Transparenz, höhere Gewinne

Interne Dokumente zeigen: Die Pharma-Lobby möchte die TTIP-Verhandlungen nutzen, um die Karten im Gesundheitssektor neu zu mischen – und unliebsame Beschränkungen über Bord zu werfen. Im geplanten CETA-Abkommen hat sich die EU-Kommission schon Forderungen der Pharmaindustrie zu eigen gemacht.

von Justus von Daniels , Marta Orosz

© Ivo Mayr

Arzneimittelhersteller sehen in TTIP eine Chance, bestehende Beschränkungen in ihrem Sinne zu verändern. Hinter den Kulissen arbeiten ihre Lobbyisten unter anderem darauf hin:

  • dass Biopharmaka (biotechnologisch hergestellte Arzneimittel) länger von Patenten geschützt werden.
  • dass die Ergebnisse von klinischen Tests wie Geschäftsgeheimnisse behandelt werden und Forscher sie nur eingeschränkt verwenden dürfen.
  • dass Firmen mehr Einsicht in die Preisgestaltung der Mitgliedsstaaten bekommen.

Dass Lobbyisten ihre Interessen bei einem so bedeutenden Abkommen anmelden, ist legitim. Die Art, wie dies geschieht, ist allerdings zweifelhaft. „Nichts verhindert, dass künftige Investitionen abwandern“, drohten etwa Abgesandte des amerikanischen Pharmariesen Eli Lilly, nachdem sie ihre Forderungen Vertretern der EU-Kommission vorgetragen hatten. Das Protokoll dieses Treffens vom 21. November 2013 liegt CORRECTIV vor und zeigt, welche Bedeutung die Pharmabranche TTIP beimisst.

Vor allem in den genannten drei Bereichen.

Erstens: Patentschutz

Bei vielen Klassen von Medikamenten gibt es einen einheitlichen Patentschutz in den USA und in der EU. Grundsätzlich ist Patentschutz sinnvoll – die Gewinne aus der exklusiven Vermarktung stellen sicher, dass die Pharmafirmen weiterhin Forschung und Entwicklung neuer Produkte finanzieren.

Doch nun ist in den USA der Patentschutz für Biopharmaka auf 12 Jahre verlängert worden. Dabei geht es um Arzneistoffe, die mithilfe lebender Zellen hergestellt werden. In der EU beträgt der Schutz dagegen nur zehn Jahre. Nun fordert unter anderem der US-Pharmakonzern Eli Lilly, dass die EU nachzieht und die Schutzfrist ebenfalls auf zwölf Jahre erhöht. In das gleiche Horn stößt das Trans-Atlantic Business Council (TABC), eine Lobbyorganisation, die EU- und US-Unternehmen vertritt. Auch sie fordert eine „Harmonisierung“ des Patentschutzes.

Patentschutz – und damit der weite Bereich „geistiges Eigentum“ – sind sensible Themen. Unter anderem deshalb, weil sie eng verwoben sind mit dem Schlagwort Investitionsschutz. Sollten Patentlaufzeiten in Zukunft verkürzt werden, könnten Unternehmen das als Gewinnbeeinträchtigung auslegen und vor einem Schiedsgericht klagen. Darauf weist die Brüsseler Organisation Corporate Europe Observatory hin, die Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft unter die Lupe nimmt.

Gerade hat die EU mit Kanada ein Freihandelsabkommen ausgehandelt, es heißt CETA und steht demnächst zur Ratifizierung an. Kanada wollte darin verhindern, dass geistiges Eigentum – und damit Patentschutz –  vor Schiedsgerichten einklagbar sind. Die EU-Kommission war anderer Meinung. „Dieses Ansinnen habe KOM deutlich zurückgewiesen, weil dies nicht im Interesse der pharmazeutischen Industrie der EU sei.“ So steht es in einem EU-internen Protokoll, das CORRECTIV vorliegt.

Ein lang laufender Patentschutz bedeutet aber auch, dass Generika später auf den Markt kommen, die Krankenkassen also weitere Jahre hohe Preise für das Medikament zahlen müssen. TTIP sei immer mit dem Versprechen daher gekommen, es werde nicht zu Preiserhöhungen führen, sagt Zoltán Massay-Kosubek von der European Public Health Alliance in Brüssel, eine der größten europäischen Nichtregierungs-Organisationen im Gesundheitswesen. „Doch genau das wird passieren, wenn durch verlängerte Patentlaufzeiten günstigere Generika später auf den Markt kommen.“

 

Zweitens: Klinische Tests

Jedes Medikament muss vor seiner Zulassung aufwändig getestet werden. Die Pharmaindustrie möchte bei den TTIP-Verhandlungen erreichen, dass die Ergebnisse als Betriebsgeheimnis eingestuft werden – und so unter Verschluss gehalten werden können.

Bisher veröffentlicht die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) jene Tests, die zur Marktzulassung eines Medikaments führen. Dagegen gibt es bei Interessenverbänden wie dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) seit langem „einige Bedenken“. Deren Lobbyisten wollen nun via TTIP „Wege finden, um Daten zu veröffentlichen und dabei einen bestimmten Grad an Betriebsgeheimnissen zu sichern.“ So steht es in einem Protokoll vom 5. Dezember 2013, als sich BPI-Vertreter und Mitarbeiter der EU-Kommission trafen.

Gesundheitsexperten sind entsetzt ob dieser Forderung. „Es ist nicht akzeptabel, dass Daten zur Wirkung von Medikamenten unter Betriebsgeheimnis eingestuft werden“, sagt Beate Wieseler vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG), eine Organisation aus Köln, die Arzneimittel und Therapien prüft. Durch eine solche Geheimhaltung könnten Ergebnisse über die Wirkung eines Präparates verschleiert werden, das heißt Nebenwirkungen könnten heruntergespielt und die Wirksamkeit übertrieben werden. Wieseler räumt ein, dass die Offenlegung der Daten zwar zu Gewinneinbußen bei der Pharmaindustrie führen können. Trotzdem überwiege das öffentliche Interesse der Patientensicherheit.

Drittens: Transparenz, wenn es der Industrie nutzt

Wo es der Industrie nutzt, wird auch von deren Lobbyisten Transparenz gefordert: Die Pharmakonzerne wollen mehr darüber wissen, wie Mitgliedsländer ihre Arzneimittelpreise gestalten. So haben Unternehmen einen größeren Spielraum, vorteilhafte Deals mit den Krankenkassen auszuhandeln.

Auch die EFPIA, der europäischer Dachverband forschender Pharmaunternehmen, ist dieser Meinung: TTIP „soll transparente, rechtzeitige und berechenbare Prozesse für Preisgestaltung und Erstattung sichern.“

Zoltán Massay-Kosubek von der European Public Health Alliance hat dagegen große Bedenken: „Mitgliedsstaaten sollen souverän über Arzneimittelpreise entscheiden – und Patientensicherheit und fachliche Begründungen als Kriterien anlegen, nicht wirtschaftliche Aspekte.“

Bisher ist nicht klar, ob sich die EU-Kommission die Forderungen der Industrie bei diesem Thema zu eigen macht. Es bleibe es „ein sehr sensibles Thema“, steht in einem internen Bericht, der CORRECTIV vorliegt. In einem anderen Protokoll heißt es, dass die EU „erhebliche Bedenken hat, Regelungen zur Preisgestaltung und Erstattung in TTIP zu verankern.“