Ungerechte Arbeit

Der Preis der Billig-Friseure

Hairgroup ist ein Branchenriese mit rund 660 Friseursalons. Zum Unternehmen gehören Friseurketten wie Essanelle, SuperCut und HairExpress. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichten CORRECTIV, dass die Salons auch mal nur von Gesellen geführt werden und Beschäftigte Umsatzvorgaben erhalten. Das spart viel Geld – und ist illegal. Die Hairgroup-Geschäftsführung bestreitet die Vorwürfe.

von Ann-Kristin Schöne

© Collage von Ivo Mayr / Correctiv

Es fing vielversprechend an. 2013 begann Heike Kraft* bei der Hairgroup als Gesellin zu arbeiten, schnell stieg sie zur Salonleiterin auf. Sie war ehrgeizig, die Arbeit machte ihr Spaß, fortan schnitt sie nicht mehr nur Haare, sondern führte auch die Bücher und stellte neue Mitarbeiter ein. Sie erhielt einen Vertrag, der sie auch auf dem Papier zur Salonleiterin machte. Was sie damals nicht wusste: Er war nicht rechtens.

Denn die Handwerksordnung schreibt vor, dass jeder Friseursalon einen Meister beschäftigen muss. Oder einen Gesellen mit mindestens sechs Jahren Berufserfahrung, vier Jahren davon in leitender Stellung.

Heike Kraft hatte nach eigenen Angaben beides nicht. Trotzdem leitete sie zwischen 2014 und 2016 drei verschiedene Friseurgeschäfte der Hairgroup im Rhein-Ruhr-Gebiet. Das Unternehmen betreibt bundesweit 663 Salons mit rund 4.200 Mitarbeitern und ist einer der Branchenriesen. Zur Hairgroup gehören die Marken Essanelle, SuperCut und die Billigmarke Hairexpress. Dort kosten Schnitte bisweilen nur 13 Euro.

Elf Testanrufe und viel Fluktuation

Bis heute gibt es bei der Hairgroup offenbar Salons ohne ordnungsgemäße Leitung. Elf Testanrufe von CORRECTIV ergaben, dass bei sechs Salons die in der Handwerksrolle eingetragenen Meister nicht vor Ort waren. In vier Fällen sagten Mitarbeiter explizit am Telefon, dass die Salons gar keine Meister hätten.

Hairgroup-Geschäftsführer Dirk Wiethölter betont auf Anfrage von CORRECTIV: Sein Unternehmen halte sich an die Handwerksordnung. In der Branche gebe es aber nun mal viel Fluktuation. „Wir müssen pro Jahr durchschnittlich rund 120 Salonleiterstellen neu besetzen“, sagt Wiethölter. Die „Personalsituation“ erlaube „nicht immer, jede Vakanz sofort abstellen zu können“.

Wer geringere Personalkosten hat, kann die Preise drücken. Laut Tarifvertrag verdient ein Friseurgeselle 1.916 Euro, ein Friseurmeister 2.412 Euro brutto. Spart die Hairgroup viel Geld, indem sie nicht ausreichend qualifizierte Mitarbeiter zu Salonleitern macht? Wiethölter bestreitet das. „Ihrer Andeutung, dass es sich hierbei um ein Prinzip handeln würde, mit dem wir Geld sparen wollten, widersprechen wir entschieden“, teilt der Geschäftsführer mit.

Kontrolle auf Zuruf

2015 stand eines Morgens das Ordnungsamt bei Heike Kraft im Essanelle-Salon. Zu jener Zeit machte sie gerade ihre Meisterprüfung, war aber durch den kaufmännischen Teil gefallen. Mit anderen Worten: Das Ordnungsamt fand einen Friseurladen ohne Meister vor. Und hätte nun Bußgelder verhängen oder den Laden schließen müssen. Beides geschah nicht.

Laut zuständigem Ordnungsamt wurde am Tag der Kontrolle ein Meister für den Salon in die Handwerksrolle eingetragen. „Dadurch werden so gesehen nachträglich Fakten geschaffen“, heißt es seitens des Ordnungsamtes. In Krafts Fall hätte das Ordnungsamt erneut prüfen müssen, ob die in die Handwerksrolle eingetragene Person tatsächlich im Friseurladen arbeitet. Diese Kontrolle fand nicht statt. Kraft leitete den Salon noch mehr als ein halbes Jahr – ohne Meistertitel.

„Die Ordnungsämter haben keine Vorgaben, wann und wie oft sie die Salons kontrollieren. Oftmals kontrollieren sie nicht von sich aus, sondern sind auf Zurufe aus der Bevölkerung angewiesen“, erklärt Stephan Margreff von der Kreishandwerkerschaft Essen. Auch das Ordnungsamt, das bei Heike Kraft im Geschäft war, führe lediglich „stichprobenartig“ Kontrollen durch, bestätigt einer der Mitarbeiter.

Mehr als nur Einzelfälle

Die Hairgroup selbst berichtet, dass das Ordnungsamt 2017 einen Salon in Düsseldorf kontrolliert habe, der sechs Monate ohne Leitung gewesen sei. Daraufhin sei eine „Schließungsankündigung“ ausgesprochen worden, die aber vermieden werden konnte, da man sich um eine „rechtmäßige Leitung“ gekümmert habe. „Wir hatten vier Wochen Zeit, diesen Zustand zu regeln“, teilt Geschäftsführer Wiethölter mit. Bis heute sei gegen keinen der rund 660 Salons von irgendeinem Ordnungsamt ein Bußgeld verhängt worden.

Was Heike Kraft berichtet, ist kein Einzelfall. Auch Tanja Dreher* hat ohne Meistertitel von November 2015 bis September 2016 als Salonleiterin in einem Hairexpress-Salon gearbeitet. In die Handwerksrolle sei ihre Kollegin eingetragen gewesen, eine Meisterin, die aber längst im Mutterschutz war. Die Angaben in der Handwerksrolle bestätigen, was sie sagt. Zeitweise betreute Dreher drei Auszubildende, auch das darf sie ohne einen Meistertitel nicht. Natürlich erhielt sie das Gehalt einer Gesellin. Obwohl sie die Aufgaben einer Meisterin übernahm.

Hairgroup dementiert

Heike Kraft hatte zeitweise die Verantwortung für drei Friseursalons inne. Die Hairgroup dementiert, dass dies Praxis ist. Krafts Chefin, die sogenannte Vertriebsmanagerin, schickte sie mal in diesen, mal in jenen Laden, erzählt Kraft. Sie habe mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass sie dringend mehr Personal benötige. „Irgendwann war ich nur noch krank. Ich war psychisch am Ende“, sagt Kraft. Häufig habe sie ohne Pausen durchgearbeitet, bis zur Erschöpfung. Wenn Heike Kraft heute – über ein Jahr danach – von jener Zeit erzählt, schießen ihr gleich Tränen in die Augen. „Ich habe lange mit mir gerungen, aber es ging nicht mehr.“ Sie kündigte. Und gab ihren Beruf danach auf.

Und das ist noch nicht alles. Andrea Becker, Landesfachbereichsleiterin bei Verdi NRW, sagt: „Im Friseurgewerbe kommt es immer wieder zu massiven Verstößen, was die Arbeitszeit angeht. Und das beginnt bereits bei den Auszubildenden.“ Weil im Friseurgewerbe ein knallharter Wettbewerb herrsche. „Die billigen Preisangebote können die Friseursalons nur auf Kosten ihrer Mitarbeiter machen.“

Falsches Zeitmanagement

Das zeigt die Geschichte von Paul Barth*. Er ist Friseurmeister und hat von Ende 2015 bis Ende 2016 einen Essanelle-Salon im Ruhrgebiet geleitet. Teile seines Vertrags waren – offenkundig illegale – Umsatzvorgaben. Wörtlich heißt es in dem Arbeitsvertrag: „Quantitativer Maßstab für die Erfüllung der vertraglichen Pflichten ist ein Mindest-Nettodienstleistungsumsatz in Höhe des 1,5fachen Gesamtlohnes des betreffenden Monats.“ Barth sagt: „Von der Vertriebsmanagerin kam nicht selten die Ansage, dass wir keine Pausen oder Überstunden machen sollen, damit der Umsatz stimmt.“

Oft hat Barth kurz vor Ladenschluss Kunden angenommen und so Überstunden gemacht. Die er dann nicht abrechnen durfte. Stattdessen hielt ihm die Vertriebsmanagerin vor, dass „mein Zeitmanagement nicht stimmt“. Die Überstunden für die durchgearbeiteten Pausen haben er und seine Mitarbeiterinnen häufig gar nicht erst aufgeschrieben. Barth: „Uns war schon vorher klar, dass wir diese nicht von der Vertriebsmangerin genehmigt bekommen.“

Unzulässige Umsatzvorgaben

Die Hairgroup bestreitet, ihren Mitarbeitern Umsätze vorzuschreiben. Jeder bekomme „mindestens den Mindestlohn“, darüber hinaus gebe es „zusätzliche Provisionszahlungen“ für Mitarbeiter, die überdurchschnittlich viel erwirtschafteten, wie Geschäftsführer Wiethölter mitteilt. Wer seitens der Vertriebsmanager Überstunden nicht angerechnet bekommt, könne die „nächste Führungsebene um die Klärung des Falles bitten“.

Seit dem 1. Dezember 2016 gilt ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag für das Friseurgewerbe in NRW. Das bedeutet, dass alle Friseursalons – unabhängig davon, ob sie sich im Arbeitgeberverband organisiert haben – die darin festgelegten Löhne zahlen und sich an die Arbeitszeiten halten müssen.

Auch Umsatzvorgaben seien unzulässig. Sven Jürgens, Fachanwalt für Arbeitsrecht, betont: „Mit solchen Umsatzvorgaben wird das Wirtschaftsrisiko auf den Arbeitnehmer abgewälzt, was falsch ist. Der Arbeitnehmer schuldet nie den Erfolg.“ Wenn keine Kunden in den Laden kommen und der Angestellte deswegen nicht den entsprechenden Umsatz erzielt, könne er dafür nicht verantwortlich gemacht werden. „Folglich ergeben sich auch keine Pflichten, die erfüllt werden müssen.“

Bei der Hairgroup scheint das Geschäft jedenfalls zu laufen — der Umsatz lag im vergangenen Jahr bei 150 Millionen Euro.

* Namen der betroffenen Mitarbeiter auf deren Wunsch geändert