Wirtschaft

Lieferketten: EU-Entwurf will nur ein Prozent der Unternehmen verpflichten

Europäische Unternehmen sollen keine Profite mehr mit Kinderarbeit, Ausbeutung und Umweltzerstörung machen können: Dafür soll die EU-Lieferketten-Richtlinie sorgen. Aber wie CORRECTIV und der SWR aufgedeckt haben, lief gerade die Wirtschaftslobby gegen strengere Regeln Sturm. Nun zeigen die Schlupflöcher im Entwurf des Gesetzes, in welchen Punkten sie sich durchgesetzt hat.

von Gabriela Keller

Großbrand in einer Textilfabrik in Saver, Dhaka, Bangladesch
Bei einem Großbrand in einer Textilfabrik in Saver, Dhaka, Bangladesch, starben 2012 aufgrund fehlender Schutzmaßnahmen mehr als 120 Arbeiterinnen und Arbeiter. Dort wurden vor allem Billigkleider für den Markt in Europa und den USA genäht. Foto: picture alliance / photoshot

Europäische Unternehmen müssen sich künftig für Kinder- oder Zwangsarbeit und Umweltzerstörung in ihren internationalen Lieferketten verantworten – aber nur, wenn es in einer „etablierten Geschäftsbeziehung“ zu Verstößen kommt. So sieht es der Entwurf der EU-Kommission für eine Lieferketten-Richtlinie vor, der am Mittwoch vorgestellt wurde.

Anders gesagt: Wer immer mal wieder zwischen verschiedenen Zulieferern wechselt, hat bei Schäden an Mensch und Umwelt keine Konsequenzen zu befürchten. Ohnehin sollen die Sorgfaltspflichten nur ein Prozent aller Unternehmen treffen – anders als zunächst geplant, schließt der Entwurf kleine und mittlere Unternehmen vollständig aus.

An diesen Punkten hat die EU-Kommission den Forderungen der Wirtschaftslobby offenbar nachgegeben: Eine Recherche von CORRECTIV und SWR hatte aufgedeckt, dass gerade deutsche Wirtschaftsverbände seit Monaten gezielt gegen ein weit reichendes Lieferkettengesetz auf EU-Ebene Sturm laufen: Interne EU-Dokumente zeigen auf, dass sich Wirtschafts- und Branchenverbände gegen strenge Regelungen wehren.

Der Entwurf lässt  bei der zivilen Haftung Schlupflöcher

Das EU-Lieferkettengesetz sollte ein großer Wurf werden: Erstmals will die Europäische Union Voraussetzungen schaffen, Unternehmen für Verstöße in anderen Teilen der Welt juristisch zur Verantwortung zu ziehen. Der Text bleibt allerdings in kritischen Punkten deutlich hinter den Forderungen im Vorschlag des EU-Parlaments von März 2021.

Vor allem bei der Haftung und dem Geltungsbereich lässt der Text große Lücken. Zwar sei der Entwurf im Vergleich mit dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ein deutlicher Fortschritt, sagt Armin Paasch, Menschenrechtsexperte bei der Organisation Misereor. „Allerdings enthält er Schlupflöcher, die die Wirksamkeit erheblich gefährden.“

In den vergangenen Monaten hatte das geplante Gesetz in Brüssel für heftige Diskussionen gesorgt. Industrie- und Wirtschaftsverbände reagierten alarmiert auf den ambitionierten Vorstoß des Parlaments. „Ich hatte zwischendurch die Befürchtung, dass das noch viel weiter aufgeweicht wird“, sagt die Grüne Europa-Abgeordnete Anna Cavazzini, „der Widerstand war von Anfang an groß, und man hat am deutschen Gesetz gesehen, wie stark der Einfluss der Unternehmensverbände war.“

In Deutschland beschloss der Bundestag im Sommer 2021 ein nationales Lieferkettengesetz, das deutlich die Handschrift der Lobbyverbände trug.

Riskante Geschäfte mit wechselnden Zulieferen sind nicht abgedeckt

Über die deutschen Regelungen geht der Entwurf der EU-Kommission weit hinaus: Eine zivile Haftung ist vorgesehen, auch ist die gesamte Lieferkette erfasst, nicht nur das erste Glied. Daher, sagt Cavazzini, bewerte sie den Entwurf generell positiv. „Im Grunde sind alle Punkte abgedeckt. Aber es gibt ein paar Einschränkungen und Schlupflöcher. Wir werden daher versuchen, an diesen Punkten noch nachzubessern.“

In der Kritik steht etwa die Regelung, dass die Sorgfaltspflichten nur für „etablierte Geschäftsbeziehungen“ gelten. Was genau das sein soll, definiert der Entwurf nicht. Darin heißt es nur, dass es um „dauerhafte“ Beziehungen geht. Diese Klausel könnte nach Einschätzung von Kritikern Spielräume schaffen, die Regeln zu umgehen. Gerade kurzfristige Geschäfte bringen oft Risiken für Mensch und Umwelt mit sich.

Gesetz würde nur für ein Prozent der Unternehmen gelten

Außerdem soll das Gesetz nur für Unternehmen ab 500 Mitarbeitern gelten, die mehr als 150 Millionen Euro Umsatz machen – damit würden nur ein Prozent aller europäischen Unternehmen unter die Regulierung fallen, und alle anderen könnten weitermachen wie bisher. Damit hat die Kommission die Tragweite des Gesetzes, wie es in dem Entwurf selbst heißt, „signifikant reduziert.“ Kleine und mittlere Unternehmen sind ausgeschlossen – genau das hatten viele Lobbyorganisationen und Branchenverbände systematisch gefordert.

Als problematisch gilt auch, dass sich Unternehmen der Haftung entziehen können, wenn sie Menschenrechtsklauseln in ihre Verträge aufnehmen. Als Erfolg wird gewertet, dass der Entwurf auch Umweltstandards umfasst; auf das Klima bezogene Sorgfaltspflichten sind dagegen nicht mehr enthalten. Auch Tiemo Wölken, SPD-Europaabgeordneter, fordert Schärfungen: „Wir wollen die zivilrechtliche Haftung nachbessern, damit die Richtlinie wirklichen Biss bekommt.“