Deutsche Hochschulen
als Ziel DER chinesischeN
MILITÄRMACHT

Deutsche Hochschulen kooperieren trotz erheblicher Risiken mit chinesischen Unis – verbindliche Regeln für sensible Bereiche gibt es nicht

Obwohl viele chinesische Hochschulen dem chinesischen Militär nahestehen, kooperieren deutsche Einrichtungen freimütig mit ihnen. Viele Universitäten sind sich der damit verbundenen Gefahren bewusst. Ohne klare Vorschriften sind sie zwischen Unwissenheit und Naivität gefangen. Die Politik lässt sie mit dem Problem allein. Dem chinesischen Regime spielt das in die Hände.

„Letztlich ist bei allen chinesischen Hochschulen davon auszugehen, dass diese direkt mit dem Militär in Verbindung stehen.“

So offen bewertet ein Sprecher der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH) ihre Kooperations-Abkommen mit chinesischen Hochschulen gegenüber CORRECTIV. Die RWTH baut daher auf interne Prozesse zur Risikominimierung. So solle etwa „dual-use-fähige Forschung ausgeschlossen“ werden, also solche, die sowohl für zivile als auch militärische Zwecke verwendet werden kann. 

„Graubereiche der wissenschaftlichen Kooperation lassen sich jedoch trotz gewissenhafter Prüfverfahren nicht gänzlich ausschließen“, räumt die Hochschule auf Anfrage ein. „Wir sind bemüht, diese zu minimieren, müssen aber auch eine gewisse Ambiguität und Risiken aushalten.“ 

Die Wahl der Themen, der Partner und Methoden gehöre zur akademischen Freiheit.

Deutsche Hochschulen kooperieren trotz Risiko mit chinesischen Einrichtungen, die möglicherweise dem Militär nahestehen

Die RWTH Aachen ist nur eine von fast 50 deutschen Universitäten, die CORRECTIV zwischen März und Mai zum Thema befragte. Die Recherche „China Science Investigation“ von CORRECTIV, Follow the Money, Deutsche Welle, Deutschlandfunk, Süddeutsche Zeitung und sechs weiteren internationalen Medien legte offen, dass das chinesische Militär gezielt Wissen aus europäischen Hochschulen abzapft.

Wir wollten von den Hochschulen wissen, ob ihnen bewusst ist, dass es bei den chinesischen Hochschulen, mit denen sie zusammenarbeiten, das Risiko einer Nähe zum Militär oder der Rüstungsindustrie gibt. Dafür nutzten wir eine Liste von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), in der Kooperationen zwischen deutschen und chinesischen wissenschaftlichen Einrichtungen aufgeführt werden. Diese glichen wir mit den Risiko-Einstufungen des Australian Strategic Policy Institute (ASPI) ab, eines von der australischen Regierung mitfinanzierten Think Tanks. Dieser prüft etwa, ob chinesische Hochschulen dem Militär nahestehen. 

Unsere Anfragen liefern beunruhigende Ergebnisse: 48 Hochschulen kooperieren nach eigenen Angaben aktiv mit chinesischen Einrichtungen, bei denen es laut ASPI ein hohes Risiko der Nähe zum Militär gibt. Knapp die Hälfte davon gibt zu, sich dessen bewusst zu sein. 28 sagen, sie würden die Risiken durch interne Prüfverfahren minimieren. Gut ein Dutzend war sich der möglichen Nähe ihrer chinesischen Partner zum chinesischen Militär nicht bewusst.

Chinesische Führung verwischt gezielt Grenzen zwischen Zivilem und Militärischem

Diese Nähe kann in vielen Fällen zwar nicht eindeutig nachgewiesen werden, weil sie nicht offiziell deklariert wird. Sie liegt durch die chinesische Strategie der „militärisch-zivilen Fusion“ aber nahe: Dabei sollen die Grenzen zwischen ziviler und militärischer Forschung so lange verwischt werden, bis sie eins sind. 

Es ist auffällig, dass viele der befragten Universitäten behaupten, die akademische Freiheit schütze sie vor einer möglichen Einflussnahme der chinesischen Regierung, oder dass sie kategorisch erklären, dass sie in sensiblen Wissensbereichen nicht kooperieren. Die von CORRECTIV geleitete Recherche legt offen, dass genau das nicht ausgeschlossen werden kann.

Eindeutig zeigt sich militärisch-zivile Grenzaufweichung bei den chinesischen sogenannten „Seven Sons of National Defense“. Dabei handelt es sich um eine Gruppe aus sieben Universitäten, die laut ASPI zwar als zivile Hochschulen deklariert sind, aber tief mit der Militär- und Rüstungsindustrie verbunden sind. Oder einzelne Labore für Verteidigungstechnologie betreiben.

Chinesische Uni, die mit der TU München kooperierte, steht exemplarisch für die „militärisch-zivile Fusion“

Mindestens sechs deutsche Universitäten kooperieren mit einer oder mehreren Hochschulen dieser „Seven Sons“, wie die CORRECTIV-Abfrage vom April und Mai zeigt. Die RWTH Aachen unterhält mit zwei „Seven-Sons“-Universitäten laufende Fakultätskooperationen, im Bauingenieurwesen und Maschinenwesen. Darunter mit dem Harbin Institute of Technology (HIT), mit dem es seit 2021 auch ein Hochschulabkommen gibt. 

Auch Forschende der Technischen Universität München (TUM) haben schon mit dem HIT kooperiert. Zwei Forscher der TUM arbeiteten unter anderem mit dem Unternehmen „Ariane Group“, das zu Airbus gehört, an einer Arbeit zu Raketenbrennern, die 2018 veröffentlicht wurde.  

Kooperiert wurde damals auch mit einem chinesischen Doktoranden, der von 2015 bis 2016 für ein Training an der TUM arbeitete. Der Forscher gehörte bereits zu diesem Zeitpunkt dem HIT an. Es handelt sich um eine chinesische Spitzenuniversität von herausragender Bedeutung für das Militär. Von chinesischen Staatsmedien wird sie als zentral für „Innovation in der Verteidigungstechnologie und Modernisierung von Waffen und Rüstungsgütern“ beschrieben. Sie sei führend in Bereichen wie Satellitentechnologie, Robotik und Informationstechnologie. 

Das HIT steht geradezu beispielhaft für die Verschmelzung von Zivilem und Militärischem. In den dortigen Laboren werde in hoher Zahl „militärisch-zivile Integrationstechnologie“ produziert.

Dass die gemeinsame Forschung der TUM-Forschenden und des chinesischen HIT-Forschers ein „Dual-Use“-Fall ist, also nicht nur für zivile Weltraumraketen, sondern auch militärisch verwendet werden kann, ist offensichtlich. Der Präsident der Münchner Hochschule sieht in der Arbeit „nichts anrüchiges“. „Viele Innovationen sind gleichzeitig zivil und militärisch nutzbar“, sagt er. „Da ist keine scharfe Trennung möglich.“ Einen Vorteil für das chinesische Militär sieht der Präsident nicht. Von der Forschung würden „Gesellschaften auf der ganzen Welt“ profitieren.

Expertin: Forschungsfreiheit werde systematisch ausgenutzt

Die Forschungsfreiheit in Deutschland ist ein hohes Gut, so hoch, dass sie im Grundgesetz verbrieft ist. Sie garantiert Universitäten die Freiheit, ohne staatlichen Einfluss forschen zu dürfen. Und sich so zu organisieren, wie sie es für richtig halten. Damit steht es ihnen auch frei, mit Hochschulen anderer Länder zu kooperieren. 

Expertinnen und Experten sehen in der westlichen akademischen Offenheit und Transparenz eine Missbrauchsgefahr. Die China-Expertin Mareike Ohlberg vom German Marshall Fund sagt, die Forschungsfreiheit werde systematisch ausgenutzt. Die Expertin Didi Kirsten Tatlow sagt: „Man gibt im Grunde genommen Wissen weiter und lässt zu, dass andere das eigene offene System nutzen und es für ganz andere Zwecke einsetzen. Wir füttern damit ein System, das uns im Grunde genommen verdrängen will.“

„Die Realität sieht so aus, dass viele chinesische Universitäten und alle chinesischen Militäruniversitäten nicht nach den gleichen Standards und dem gleichen Prinzip der Offenheit arbeiten wie westliche Universitäten. Sie sind dazu da, Chinas nationale Macht und sein Militär zu stärken“, sagt Alex Joske, ein Analyst, der bis 2020 für das ASPI tätig war. „Und Universitäten, die mit dem chinesischen Militär zusammenarbeiten, haben sich, ob sie wollen oder nicht, auf dieses Spiel eingelassen.“

Joske steht mit hinter dem China Defence Universities Tracker, der vom ASPI erstellt wird. Der Tracker wird auch von einigen von uns befragten Universitäten als Referenz genutzt, um zu prüfen, mit welchen chinesischen Einrichtungen sie zusammenarbeiten. 

In den USA ist die Lage bezüglich wissenschaftlicher Kooperation mit chinesischen Einrichtungen seit Jahren angespannt. 2020 griff die Regierung unter Donald Trump zu einem drastischen Schritt: Studierenden von „Seven-Sons“-Universitäten wurde die Einreise verweigert

Expertin Tatlow wünscht sich keine solchen extremen Maßnahmen, sondern zunächst vor allem eine offene, ehrliche Debatte über das Thema: „Ich finde, da gibt es in Deutschland einen Mangel.“

Bundesregierung sieht die
Verantwortung bei den Hochschulen

Bezüglich Forschungs- und Hochschul-Kooperationen in sensiblen Bereichen gibt es hierzulande keine verbindlichen, spezifischen Vorgaben, lediglich allgemeine Richtlinien wie solche der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) oder der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zu guter wissenschaftlicher Praxis. 

Von Transparenz ist darin die Rede, die kritische Prüfung von Kooperationen wird angeraten. Die DFG schreibt, Forschende müssten ethische Aspekte abschätzen und sich immer wieder die Gefahr des Missbrauchs ihrer Forschungsergebnisse bewusst machen. Klare Regeln oder Sanktionslisten gibt es nicht. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) informiert lediglich in einem Handbuch über die mögliche missbräuchliche Nutzung von technischem Wissen.  

Didi Kirsten Tatlow sieht die Verantwortung bei der Politik. Der Staatssekretär im Bundesforschungsministerium (BMBF), Jens Brandenburg, wiederholt uns gegenüber aber lediglich das, was die Regierung bereits in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage zu verstehen gab: dass sie sich des Problems bewusst ist und Risiken aufmerksam beobachte, „die im Zusammenhang mit Forschungsspionage und ungewolltem Technologieabfluss stehen.“ Man wolle Universitäten und Hochschulen daher stärker „sensibilisieren“. Auch Brandenburg verweist mehrfach auf die Forschungsfreiheit.

Mit anderen Worten: Forschende und Hochschulen sollen selbst Verantwortung übernehmen. Bei dieser Aufgabe sind sie mit einem durchdachten und mit Milliardensummen ausgestatteten System konfrontiert – dessen erklärtes Ziel das massenhafte Abgreifen von akademischem Wissen für den Aufbau der Armee ist.

Die China Science Investigation ist eine internationale Recherche unter der Leitung der niederländischen Plattform Follow The Money mit Unterstützung von CORRECTIV mit Süddeutsche Zeitung, Deutschlandfunk, Deutsche Welle, De Tijd, Politiken, El Confidencial und Neue Zürcher Zeitung

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Projektleitung: Olaya Argüeso Pérez  Text und Recherche: Till Eckert, Sophia Stahl Redaktion: Miriam Lenz, Annika Joeres, Katarina Huth Design: Benjamin Schubert Illustration: Mohamed Anwar, Follow The Money Kommunikation: Luise Lange-Letellier, Valentin Zick, Anne Ramstorf, Maren Pfalzgraf Bildnachweis: picture alliance / Kyodo

Veröffentlicht am 19. Mai 2022

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