Ungerechte Arbeit

Hasso-Plattner-Institut verhindert Betriebsrat – und lässt sich das über 200.000 Euro kosten

Die Potsdamer IT-Hochschule betrieb in den vergangenen Monaten viel Aufwand, um einen Betriebsrat zu verhindern. Sie bezahlte unter anderem eine Anwaltskanzlei. Diese half ihr, einen Pseudo-Betriebsrat zu installieren – um eine echte Mitarbeitervertretung als überflüssig erscheinen zu lassen. Ein Trend, sagen Arbeitnehmervertreter.

von Anette Dowideit

Eröffnung Erweiterungsbau Hasso-Plattner-Institut
Unternehmer Hasso Plattner (Mitte) eröffnet 2010 einen Erweiterungsbau des Instituts in Potsdam. Mit dem damaligen Institutsleiter Christoph Meinel (l.) und dem damaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (r.). Foto: Bernd Settnik dpa/lbn

Die Anwaltskanzlei „Pusch Wahlig Workplace Law“ konnte sich in den vergangenen Monaten über einen lukrativen Kunden freuen. Im Dezember 2023 und Januar 2024 rechnete sie insgesamt rund 195.000 Euro ab: beim Potsdamer Hasso-Plattner-Institut. Die Rechnungen liegen CORRECTIV, dem Tagesspiegel und den Potsdamer Neuesten Nachrichten vor. Aufgeführt sind zum Beispiel Beratungsleistungen für ein Telefonat zum Thema „BR-Wahl/Wahlvorstand“, für die „Begleitung des Wahltags“ und für ein „Kick-Off zur alternativen Mitbestimmung“.

Hinter den vielen Zeilen Abrechnung verbirgt sich ein Projekt, das die Kanzlei und die Institutsleitung ab Herbst vergangenen Jahres gemeinsam erfolgreich umsetzten: Sie verhinderten die Gründung eines Betriebsrats im Institut – und installierten stattdessen ein selbst konstruiertes Gremium namens Institutsrat (INRA). Offenbar mit dem Ziel, gesetzlich legitimierte Mitbestimmung im Unternehmen zu verhindern.

Das Potsdamer Institut, an dem rund 1.000 Studierende ausgebildet werden, ist laut Arbeitnehmervertretern ein Beispiel für einen Trend, der sich in den vergangenen paar Jahren in einigen Unternehmen bundesweit verbreitet hat: Firmen forcieren die Gründung von Mitbestimmungsgremien, die auf den ersten Blick zwar ganz ähnlich aussehen wie Betriebsräte – tatsächlich aber kaum über die Rechte verfügen, die echte Betriebsräte haben. 

„Man suggeriert damit seinen Mitarbeitenden: Wir tun etwas für euch. In Wahrheit haben diese Interessenvertretungen aber keine Durchsetzungsfähigkeit”, sagt der Arbeitsrechtsanwalt Stefan Chatziparaskewas, der häufig Arbeitnehmer gegen solche Versuche ihrer Arbeitgeber berät. 

Denn den alternativen Interessenvertretungen, erklärt er, fehlten gesetzliche Rechte, die einen Betriebsrat gerade ausmachten. Betriebsräte haben zum Beispiel rechtlich verbrieften Zugriff auf die Listen über die Bruttogehälter der Beschäftigten und können so darauf hinwirken, dass Beschäftigten für gleiche Arbeit vergleichbar hohe Löhne gezahlt werden. Ein anderes Beispiel: Brechen einem Unternehmen Aufträge weg und müssen sie deshalb Mitarbeiter entlassen, hat in Firmen mit Betriebsrat der Betriebsrat das Recht, an Sozialplänen beteiligt zu werden. In Firmen mit Pseudo-Betriebsräten, erklärt der Anwalt, bestehe dieses Recht nicht – gerade das mache diese alternativen Mitarbeitendenvertretungen für die Arbeitgeber ja so interessant.

Plattner – offenbar kein Betriebsratsfreund

IT-Unternehmer Plattner ist der Geldgeber der nach ihm benannten Hochschule – und Plattner fiel schon früher damit auf, kein großer Fan von Betriebsräten zu sein. Der von ihm mitgegründete Konzern SAP war lange Zeit die einzige Firma im Aktienindex Dax, die keine solche Beschäftigtenvertretung hatte. Und als sich 2006 eine Gruppe von Mitarbeitern mühte, einen Betriebsrat zu gründen, wehrte sich das damalige Top-Management des Konzerns nach Kräften. Plattner selbst war damals schon nicht mehr Unternehmenschef, sondern bereits Vorsitzender des Aufsichtsrats.

Auch das Potsdamer Institut, 1998 gegründet, arbeitete lange ohne eine Vertretung für die Interessen der Beschäftigten. Vor Jahren, berichten derzeitige Mitarbeiter, habe es schon einmal Bestrebungen gegeben, eine solche Vertretung zu gründen, die aber im Sande verlaufen seien. 

Im vergangenen Frühjahr nun, berichten Mitarbeitende des Instituts mit rund 400 Beschäftigten laut letztem veröffentlichten Eintrag im Bundesanzeiger, bildete sich eine Initiative, die einen Betriebsrat gründen wollte. Gleich von Beginn an, sagen sie, seien deren Bemühungen jedoch von der Geschäftsführung deutlich ablehnend aufgenommen worden. Diese habe vorgeschlagen, stattdessen eine alternative Vertretungsform einzurichten. 

Im September startete den Berichten der Mitarbeiter zufolge die Gruppe der Angestellten, die den Betriebsrat gründen wollte, dann ernsthaft ihre Initiative. Doch sie seien sofort ausgebremst worden: Plakate, die sie aufhängten, um zu einer Betriebsversammlung einzuladen, seien am selben Tag schon wieder verschwunden. 

Die Geschäftsführung habe rasch auf die Plakate reagiert und ihrerseits zu mehreren Betriebsversammlungen in kurzer Folge eingeladen. Schon Anfang Oktober sei die Kanzlei Pusch Wahlig dabei aufgetreten. Bei der Versammlung hätten deren Anwälte gemeinsam mit der Geschäftsführung auf angeblich zuvor gesammelte anonyme Mitarbeiterfragen geantwortet. Zum Beispiel auf diese: Was man wohl auf Wahlzetteln bei bevorstehenden Wahlen im Betrieb ankreuzen müsse, wenn man einen Betriebsrat verhindern wolle. 

Gleichzeitig soll laut einem Protokoll der Veranstaltung am 9. Oktober 2023 eine Alternative zum Betriebsrat vorgestellt worden sein: der „Institutsrat“, für den Geschäftsführung und Kanzlei auch gleich ein Gründungsteam präsentieren konnten. 

Die Schilderungen der Mitarbeiter gegenüber CORRECTIV zu diesem Ablauf stimmen mit den Posten überein, die sich auf den Rechnungen der Kanzlei ans Institut nachlesen lassen. 

Kommunikationsagentur entwickelte „Narrative“

Laut einer weiteren Rechnung, die der Redaktion vorliegt, beauftragte die Geschäftsführung neben der Kanzlei auch noch eine Kommunikationsagentur, um den Mitarbeitenden ihr Anliegen schmackhaft zu machen. Die Agentur rechnet darin Leistungen für September und Oktober 2023 ab, in Höhe von 22.074,50 Euro – und zwar für „kommunikative ad hoc-Beratung“. Grund für den Auftrag laut Rechnungsschreiben:

„Das Hasso-Plattner-Institut ist kurzfristig mit dem Bestreben einiger Mitarbeitenden konfrontiert, einen Betriebsrat im Unternehmen errichten zu wollen. Ziel des Unternehmens ist es, die Mitarbeitendenvertretung alternativ in einem (…) Institutsrat zu institutionalisieren.“ Die Kommunikationsagentur solle demnach helfen, indem sie unter anderem „Narrative und Botschaften“ an die Mitarbeitenden entwickele.

Die Hochschule ließ es sich demnach mehr als 200.000 Euro als Honorare für die Kanzlei Pusch Wahlig und die Kommunikationsagentur kosten, den Betriebsrat zu verhindern. Hinzu kamen weitere Honorare für zwei andere Anwaltskanzleien. 

Diese erstellten Gutachten unter anderem zur Frage, ob der „Institutsrat“ zum Teil mit vergleichbaren Rechten wie echte Betriebsräte ausgestattet werden könne – was wohl nötig gewesen wäre, um skeptische Mitarbeiter von der Sinnhaftigkeit dieses Gremiums zu überzeugen. Ein erster Anwalt kam in seinem Gutachten – auch dieses liegt CORRECTIV vor – zum Schluss, dies sei nicht möglich: Aus datenschutzrechtlichen Gründen sei es zum Beispiel nicht machbar, einem selbst gestrickten Gremium einfach Zugriff auf die Gehaltsdaten der Mitarbeitenden zu geben. 

Dies gehe nur bei einem echten Betriebsrat. Also riet der Anwalt in seinem Gutachten von der Gründung des Institutsrats ab – und legte kurz danach sein Mandat für das Institut nieder. Die Kanzlei Pusch Wahlig dagegen, die auf ihrer Internetseite mit dem Slogan „Pushing Boundaries – Together“ wirbt, erstellte ihrerseits ein Gutachten und kam darin zum Schluss, die Gründung sei kein Problem.

Die Strategie des Instituts funktionierte: Die Gründung des Betriebsrats scheiterte, weil keine Mehrheit für den dafür nötigen ersten Schritt zustande kam. Stattdessen wurde kurz darauf der Institutsrat installiert. 

Antje Thomaß, Gewerkschaftssekretärin bei Verdi, hat die geplante Betriebsratsgründung begleitet. Die HPI-Geschäftsführung habe mit „auffällig hohem Aufwand“ versucht, für den Institutsrat zu werben, sagt sie. Unter anderem sei verbreitet worden, dass ein Betriebsrat die weitere Entwicklung des HPI hemmen würde. „Das ist absurd. Eine gesetzliche Interessenvertretung hemmt keine wissenschaftliche Entwicklung. Auch andere Institute haben Betriebsräte“, so Thomaß. Gerade in Wissenschaft und Forschung werde der freie Gedankenaustausch gern propagiert. „Wenn es um eine gesetzliche Interessenvertretung geht, hört das offenbar ganz schnell auf“, sagt die Gewerkschaftssekretärin.

Auf Fragen der Redaktion zu den Vorgängen antwortete das Hasso-Plattner-Institut: „Jeder demokratische Prozess trägt eine Opposition in sich, was wir sehr begrüßen.“ Richtig sei allerdings auch, dass die „überwiegende Mehrheit der Belegschaft“ die Etablierung der alternativen Mitarbeitervertretung mittrage. Der Institutsrat biete die Chance, dass alle Mitarbeitenden am Institut ihre Themen einbringen könnten und darüber betrieblich mitbestimmt werden könne. Das Gremium verfüge über „substantielle Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte, die teilweise auch über das Betriebsverfassungsrecht hinaus gehen“. Welche, schreibt das Institut nicht. Die Gründung eines Betriebsrats aktiv verhindert zu haben, streitet das Institut ab. 

Zu den hohen Ausgaben für die Kanzlei und andere Dienstleister schreibt es: Es habe sich bei diesen Ausgaben „um ein Investment für – und nicht gegen – Mitbestimmung“ gehandelt. Die Kanzlei Pusch Wahlig führt in ihrer Antwort aus, es gebe in Deutschland verschiedenste Formen der Mitbestimmung – und dabei müsse es sich nicht, so auch in diesem Fall, um einen „Betriebsrat light“ handeln. Vielmehr sei die im Betriebsverfassungsgesetz festgelegte Form der Mitarbeitervertretung eine „One size fits all“-Regelung, die zu wenig an die Bedürfnisse konkreter Firmen angepasst sei.

Auch das neue Gremium selbst, der Institutsrat, schickte Ausführungen. Er schreibt, aus seiner Sicht seien „die Vor- und Nachteile sehr differenziert zu bewerten“. Der wichtigste Vorteil: Der Institutsrat vertrete auch Stipendiaten und studentische Hilfskräfte – im Gegensatz zu einem klassischen Betriebsrat.

Aus Sicht des Vereins „Aktion gegen Arbeitsunrecht“, der Mitarbeitende bei Union Busting-Fällen – also Behinderungen von Betriebsratsgründungen – berät, ist der Fall Hasso-Plattner-Institut dagegen ein Beispiel dafür, wie mit „viel Geld und krimineller Energie der demokratische Rechtsstaat ausgehöhlt“ werde. Das sagt deren Berater Elmar Wigand, der ähnlich wie Anwalt Chatziparaskewas eine steigende Zahl solcher Fälle beobachtet. Ein wichtiger Grund für den Trend zur Pseudo-Vertretung, vermuten beide, sei, dass sich eine Reihe von Anwaltskanzleien in den vergangenen Jahren darauf spezialisiert hätten, Unternehmen bei der Errichtung solcher Gremien zu beraten.

Auf die Frage von CORRECTIV, ob auch die Kanzlei Pusch Wahlig zu diesen darauf spezialisierten Kanzleien gehört, antwortet diese: „Ja. Wir haben bereits eine Vielzahl von Unternehmen und ihre MitarbeiterInnen dabei unterstützt, eine für sie passende Mitarbeitervertretungsform zu finden.“ Dies sei auch nicht verwerflich. Die Kanzlei weist darauf hin, dass der Gesetzgeber bei der Gründung von europäischen Aktiengesellschaften (SE) „gerade keine one-size-fits-all-Lösung für ohne Mitbestimmung vorschreibt“, sondern es den Unternehmen und Mitarbeitenden überlasse, das für sie am besten passende Konzept zu entwickeln.

Initiative der Bundesregierung gegen Betriebsrats-Behinderung

Dieser Trend ist auch der Bundesregierung schon bekannt – und dort offenbar als Problem erkannt. „Das Bundesarbeitsministerium ist der Überzeugung, dass derartige Vertretungen keine taugliche Alternative zu Betriebsräten sind“, schreibt das Ressort von Minister Hubertus Heil (SPD) auf Anfrage. Zwar seien Pseudo-Betriebsräte nicht per se illegal – aber sehr wohl dann, wenn die Gründung eines Betriebsrats behindert wird.

In ihrem Koalitionsvertrag hat die Ampel-Regierung festgeschrieben: Sie wolle dafür sorgen, dass die Behinderung demokratischer Mitbestimmung künftig als „Offizialdelikt“ ausgestaltet werde. Das heißt: Künftig sollen Staatsanwaltschaften von sich aus Ermittlungen aufnehmen können, wenn sie von solchen Fällen erfahren – bisher geht das nur, wenn ein Betroffener oder die Gewerkschaft das Union Busting anzeigt.

Was das Hasso-Plattner-Institut angeht: Trotz der kostspieligen Bemühungen des Unternehmens, das alternative Gremium zu installieren, wäre die Gründung eines echten Betriebsrats nach wie vor möglich.

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Anmerkung 5. März 2024: In der Bildunterschrift hatten wir den gezeigten Institutsleiter fälschlicherweise als Universitätsleiter bezeichnet und dies nun korrigiert. Die Zahl der Mitarbeiter des Instituts haben wir den letzten veröffentlichten Angaben im Bundesanzeiger gemäß angepasst.

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