Debatte

Der Eine-Milliarde-Euro-Fonds

Nie zuvor war die veröffentlichte Meinung in Deutschland vielfältiger. Und nie verlor sie ihr Ziel stärker aus dem Auge, als Wächter der öffentlichen Hand zu wirken. Die Gründe dafür sind vielfältig. Doch einen – den wichtigsten – kann man beseitigen. Den Geldmangel.

von David Schraven

Der Lokaljournalismus ist im Wandel. Darunter kann die Qualität leiden. © Zeitung von barbara unter Lizenz CC BY-NC-ND 2.0

Die veröffentlichte Meinung in Deutschland ist bunt. Auf lokalen News-Sites, in Blogs, in Netz-Debatten beteiligen sich Millionen Deutsche an der Meinungsbildung. Sie ergänzen, korrigieren und kritisieren, sie recherchieren und veröffentlichen eigene Texte. Dazu senden dutzende Fernsehsender, und Rundfunkstationen; publizieren weit über 100 Redaktionen in ganz Deutschland täglich Zeitungen und Magazine. Eine schillernde Vielfalt. Doch kann diese Vielfalt nicht die tiefe Misere verdecken.

Denn nie zuvor war die veröffentlichte Meinung unqualifizierter. Ohne die simpelsten Regeln des journalistischen Handwerks, des Pressekodex und des Anstandes zu achten, verbreiten hunderttausende Hobbyjournalisten Desinformation, Gerüchte, Vermutungen und Verunglimpfungen. Gerade vor Ort sind die personell und finanziell ausgedünnten Zeitungen immer weniger in der Lage, gegen die Kakophonie anzuarbeiten.

Die Misere bedroht mittlerweile unsere Demokratie selbst. Nachrichtenwüsten entstehen.

Ein bedrohter Konsens

Wir sind uns in unserer Gesellschaft einig, dass Journalisten notwendig sind, die Machtmissbrauch aufdecken, die Verschwendung öffentlicher Mittel kritisieren und Fehlentwicklungen in der Gesellschaft bekannt machen, um wichtige Funktionen in unserer demokratischen Gesellschaft wahrzunehmen.

Ohne diese Wächter im öffentlichen Auftrag würden Populisten und Selbstbediener aus der politischen Klasse unsere Demokratie immer weiter aushöhlen.

Gleichzeitig ist jedem klar, gerade diese Reporter, die sich auf das öffentliche Wohl konzentrieren, sehr kostspielig sind. Wochenlange Recherchen müssen finanziert, Dokumente beschafft und überprüft und eingeordnet werden.

Gerade in den Lokalzeitungen wirtschaftlich schwacher Regionen und ländlichen, bevölkerungsschwachen Gebieten ist die Finanzierung dieses Wächterjournalismus nicht mehr durchgehend gewährleistet.

Die Redaktionen können den vielen Stimmen der Gerüchteverbreiter immer weniger entgegensetzen.

Dagegen muss unsere Gesellschaft etwas machen, wenn sie als Demokratie bestehen will. Nicht von ungefähr sind Populisten gerade dort besonders erfolgreich, wo Zeitungen besonders schwach und ausgedünnt sind.

Bis heute kann der Wächterjournalismus vor allem in zwei großen Säulen gedeihen.

Zunächst im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Finanziell und personell hervorragend ausgestattet, macht er gut recherchierten Journalismus im Fernsehen und im Radio möglich — und sichert die Grundversorgung mit Informationen. Allerdings bedingen seine Aufgaben technische und personelle Strukturen, die es nahezu unmöglich machen, vor Ort im Lokalen Wächterjournalismus zu betreiben. Kurz gesagt: Es kann nicht in jeder Stadt einen Fernsehsender geben. Das würde den öffentlich-rechtlichen Rundfunk überfordern.

Bislang konnte der öffentlich-rechtliche Rundfunk daher nur die Aufklärungsarbeit der vielen Verlage im Profit-Journalismus ergänzen. Gut verkaufte Zeitungen und erfolgreiche Fernseh- und Radiosender haben den kostspieligen Wächterjournalismus bis heute in erster Linie finanziert, getragen und möglich gemacht. Gerade vor Ort, in den vielen deutschen Gemeinden und Städten waren lokale Zeitungen oft die alleinigen Träger der staatlich unabhängigen Aufklärung.

Doch nun haben wir gerade hier die größten Probleme. Während auf nationaler Bühne immer noch Wächterjournalismus gepflegt werden kann, stockt die Finanzierung des Wächterjournalismus vor Ort. Zeitungen gehen Pleite, werden zusammengelegt oder verschwinden einfach. Die Aufklärung gerät so vor Ort in Gefahr.

Es kommt nicht von ungefähr, dass derzeit Populisten, die für unsere Demokratie gefährlich werden, vor allem in Gegenden erstarken, in denen die Medien vor Ort ausgedünnt sind. Sei es in Mecklenburg-Vorpommern rund um Anklam. Wo es kaum kritische Berichterstattung gibt. Oder in den Dörfern des Sauerlandes, die weitgehend sich selbst überlassen sind. Ohne lokale Zeitungen und lokale Aufklärung gedeihen hier Gerüchte und Hetzer.

Lange waren Medienmacher und Journalisten in Deutschland in der Defensive. Sie haben vor der entstehenden Situation gewarnt. Erfolglos. Nun ist es an der Zeit, nach vorne zu gehen. Eine echte politische Lösung zu finden.

Der Eine-Milliarde-Euro-Fonds

Eine mögliche Lösung für die Probleme sehe ich in der Einrichtung eines „Eine-Milliarde-Euro-Fonds“ für die Finanzierung des Wächterjournalismus.

Dieser „Eine-Milliarde-Euro-Fonds“ muss sein Geld für Projekte einsetzen, die sich der Aufklärung von Skandalen und um tiefgreifende Erklärungen von Sachverhalten verschrieben haben. Er muss Geld geben für Reporter, die von den vielen lokalen und regionalen Parlamenten, Räten und Regierungen Rechenschaft im Sinne der Öffentlichkeit einfordern.

Mit einer Milliarde Euro könnten zum Beispiel in den 680 Städten Deutschland mit mehr als 20.000 Einwohnern, in vielen Kleinstädten und etlichen Dörfern über 2000 Reporter bezahlt werden, die sich allein der Aufklärung verschreiben.

Die Reporter könnten schwerpunktmäßig in Gebieten eingesetzt werden, in denen es keine funktionierende Zeitungslandschaft mehr gibt. Sie könnten so den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den Profit-Journalismus ergänzen.

Finanziert werden kann der „Eine-Milliarde-Euro-Fonds“ vor allem aus einer Geldquelle. Aus den öffentlichen Haushalten. Dies könnte analog der Regelungen für „Kunst am Bau“ organisiert werden: Wer einen Haushalt aufstellt, muss einen kleinen Teil der Mittel für die Wächter reservieren.

Die Begründung liegt auf der Hand: Da der „Eine-Milliarde-Euro-Fonds“ Journalismus möglich machen soll, der den Sinn und den Zweck der Verwendung öffentlicher Haushaltsmittel überprüft, sollte er direkt aus diesen staatlichen Haushalten gespeist werden.

Bislang werden aus den Haushalten lediglich Rechnungshöfe bezahlt, die der verwaltungsrechtlichen Überwachung der Verwendung öffentlicher Mittel dienen. Doch diese Rechnungshöfe arbeiten als Teil der Verwaltungen für die Verwaltungen. Ihre Schwerpunkte liegen nicht unbedingt im öffentlichen Interesse, sondern darin, das Verwaltungshandeln zu optimieren.

Die Schwerpunkte der lokalen Wächterjournalisten sind notwendigerweise andere. Sie fragen nach dem öffentlichen Sinn und Zweck der Ausgaben. Neben den formal verwaltungstechnischen Bewertung von Sachverhalten kümmert sich die Presse um die Hintergründe der Mittelverwendung.

Der „Eine-Milliarde-Euro-Fonds“ sollte dezentral von mehreren Gremium verwaltet werden, die die Notwendigkeiten des Wächterjournalismus vor Ort genau kennen. Ähnlich der Selbstorganisation des deutschen Presserates müssten diese Gremien wie Räte für Wächterjournalismus regional strukturiert sein, um die Mittel des „Eine-Milliarde-Euro-Fonds“ unabhängig vom Staat zu verwalten. Diese Gremien könnten ähnlich den öffentlich-rechtlichen Rundfunkräten organisiert sein: mit Vertretern sozialer Gruppen, mit gewählten Vertretern und mit Fachleuten aus dem Journalismus.

Die Räte könnten auf Basis von regionalen Ausschreibungen zeitlich befristete strukturierte Aufträge an Organisationen vergeben, die sich der Aufklärung verschrieben haben. Dies könnten beispielsweise kleine Redaktionen für Orte sein, in denen es keine Zeitungen mehr gibt, die sogenannten Nachrichtenwüsten. Dies könnten lokale Blogger sein oder Organisaitonen, die sich bestimmten Themenfeldern verschreiben. Die Auschreibungen könnten mit Auflagen und Kritierien verbunden werden, die auf größtmöglicher Transparenz und größtmögliche Qualitätssicherung basieren.

Für diese Idee will ich mich politisch einsetzen. Weil ich es für sinnvoll halte.