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Nein, eine Studie zeigte nicht innerhalb eines Monats 35.570 Impfschäden durch Masernimpfungen

In einem Artikel der Schweizer Webseite „Legitim“ wird behauptet, eine Studie in den USA hätte „35.570 Impfschäden innerhalb eines Monats“ enthüllt. Eine Studie gibt es, die Aussagen darüber und über Masern-Impfungen sind jedoch falsch.

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Der Artikel auf der Webseite „Legitim“ enthält mehrere falsche Behauptungen. (Screenshot und Collage: CORRECTIV)
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Falsch. Es gibt keine Belege, dass die Masernsterblichkeit vor der Einführung des Masernimpfstoffes praktisch ausgerottet war oder, dass ein kausaler und nicht nur zeitlicher Zusammenhang zwischen den genannten 105 Todesfällen und der vorhergehenden Masernimpfung vorliegt. 

In diesem Faktencheck geht es um Folgendes:

Am 22. Februar 2019 veröffentlichte die Schweizer Webseite Legitim einen Artikel mit dem Titel „Lügenpresse verschweigt CDC-Studie: 35’570 Impfschäden innerhalb eines Monats!” Er enthält drei zentrale Behauptungen: 

  1. Ein Abschlussbericht des US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) berichte, dass innerhalb eines Monats 35.570 potenzielle Impfschäden aufgezeichnet wurden. Die Rate „potenzieller unerwünschter Ereignisse“ liege bei fast zehn Prozent.
  2. Die Masernsterblichkeit sei vor der Einführung des Impfstoffes praktisch ausgerottet gewesen.
  3. In den letzten zehn Jahren habe die CDC höchstens einen Tod durch Masern registriert, dafür aber 105 Todesfälle, die mit den Masern-Mumps-Röteln- Impfungen (MMR) oder Maser-Mumps-Röteln-Windpocken-Impfungen (MMRV) in Verbindung stünden.

Der Artikel wurde bisher laut dem Analysetool Crowdtangle bisher mehr als 4.100 Mal bei Facebook geteilt.

Der Artikel auf der Webseite „Legitim“. (Screenshot: CORRECTIV)

Das Ergebnis unseres Faktenchecks:

Die Behauptungen sind: falsch.

Behauptung 1:

Ein Abschlussbericht des US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) berichte, dass innerhalb eines Monats 35.570 potenzielle Impfschäden aufgezeichnet wurden. Die Rate „potenzieller unerwünschter Ereignisse“ liege bei fast zehn Prozent.

Was stimmt?

Der zitierte Abschlussbericht stammt nicht vom Centers for Disease Control and Prevention (CDC), einer Behörde des US-amerikanischen Gesundheitsministeriums, sondern von der Non-Profit-Organisation Organisation Harvard Pilgrim Health Care. Der Bericht beschäftigt sich mit dem Vaccine Adverse Event Reporting System (VAERS).

Das US-amerikanische VAERS ist nach eigenen Angaben ein „nationales Frühwarnsystem zur Erkennung möglicher Sicherheitsprobleme bei in den USA zugelassenen Impfstoffen“. Dafür kann dort jede Person vermutete Nebenwirkungen nach einer Impfung eintragen – für sich selbst oder andere. Es wird seit 1990 gemeinschaftlich vom CDC und der Food and Drug Administration (FDA), der Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde des amerikanischen Gesundheitsministeriums, betrieben. 

Um unter anderem die Qualität dieses Meldesystems zu verbessern, erhielt das Harvard Pilgrim Health Care Center Fördergelder vom amerikanischen Gesundheitsministerium. Im Rahmen des Projekts wurden ein Abschlussbericht und damit Daten von Juni 2006 bis Oktober 2009 veröffentlicht. Um diesen Abschlussbericht geht es in dem Artikel von Legitim.

In dem genannten Zeitraum von 2006 bis 2009 erhielten in Praxen der Non-Profit-Organisation Atrius Health in den USA 376.452 Patienten 1,4 Millionen Impfungen mit insgesamt 45 verschiedenen Impfstoffen. Nach diesen 1,4 Millionen Impfungen wurden 35.570 sogenannte „unerwünschte Ereignisse“ (UE) identifiziert, die jeweils bis zu 30 Tage nach einer Impfung auftraten. Bei einem unerwünschten Ereignis liegt im Gegensatz zu einer Nebenwirkung nur ein zeitlicher aber noch kein kausaler Zusammenhang mit der Wirkung eines Arzneimittels (hier der Impfung) vor.

Die Überschrift des Artikels ist stark irreführend: Die von Personen vermuteten „Impfschäden“ wurden nicht innerhalb eines Monats gemeldet, sondern innerhalb von mehr als drei Jahren. 

Dies entspricht nicht einem Prozentsatz unerwünschter Ereignisse von 10 Prozent, sondern von rund 2,54 Prozent (35.570 sind 2,54 Prozent von 1,4 Millionen). 

Diese Behauptung ist größtenteils falsch.

Behauptung 2:

Die Masernsterblichkeit sei vor der Einführung des Impfstoffes praktisch ausgerottet gewesen.

Was stimmt?

Um diese Behauptung zu stützen, zeigt der Artikel zwei Graphen ohne Quellenangaben. Die Graphen zeigen angeblich jeweils für England und die USA die sinkende Sterblichkeitsrate durch Masern. Auffallen soll hier, dass diese Rate schon vor der Einführung des Masernimpfstoffs stark gefallen sei. 

Die zwei Grafiken, mit denen der Artikel die Behauptung stützt, die Masernsterblichkeit sei bereits vor der Einführung des Impfstoffes „praktisch ausgerottet“ gewesen. (Screenshot: CORRECTIV)

Auf der Webseite des US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention lassen sich viele Daten zu Masern, der Masernimpfung und auch der Masern-Sterblichkeit einsehen. Dort gibt das CDC an, dass vor 1963 (in diesem Jahr wurde der erste Lebend-Impfstoff gegen Masern in den USA eingeführt) jährlich ungefähr 500.000 Fälle von Masern und 500 Todesfälle durch Masern berichtet wurden. Die eigentliche Zahl der Maserninfektionen in dieser Zeit schätzt die CDC sogar auf drei bis vier Millionen Fälle im Jahr.

Auch für England berichtete das Department of Health and Social Care für die Jahre 1961, 1962 und 1963 je 152, 39 und 127 Todesfälle durch Masern. In den Jahren davor schwanken die Zahlen stark, seit 1940 sind sie tatsächlich tendenziell gesunken. Erst ab 1966 lagen die Zahlen der Todesfälle jedoch kontinuierlich nur noch im zweistelligen Bereich. 

Es ist also durchaus ein Zusammenhang sichtbar zwischen der Einführung des Impfstoffes und der gesunkenen Zahlen von Todesfällen durch Masern.

Behauptung 3: 

In den letzten zehn Jahren habe die CDC höchstens einen Tod durch Masern registriert, dafür aber 105 Todesfälle, die mit den Masern-Mumps-Röteln-Impfungen (MMR) oder Maser-Mumps-Röteln-Windpocken-Impfungen (MMRV) in Verbindung stünden.

Was stimmt?

Das Center for Disease Control and Prevention hat nach eigenen Angaben (Stand April 2019) in den USA den letzten Tod durch Masern im Jahr 2015 registriert (Seite 5). Der Screenshot einer angeblichen E-Mail des CDC, der im Artikel als Quelle genutzt wird, stammt offenbar von 2015 und würde sich dementsprechend auf die zehn Jahre vor 2015 beziehen. Von 2004 bis 2014 gab es laut einem Bericht des CDC nur einen Todesfall durch Masern in den USA, im Jahr 2003. 

Screenshot einer angeblichen E-Mail des CDC, die in den Artikel von „Legitim“ eingefügt wurde. Sie ist von 2015. (Screenshot: CORRECTIV)

Die Behauptung, es habe 105 Todesfälle in Verbindung mit Masern-Impfungen gegeben, bezieht sich auf MMR- oder MMRV-Impfungen. Der MMR-Impfstoff wird zur Immunisierung gegen die Krankheiten Masern, Mumps und Röteln angewendet, der MMRV-Impfstoff ist ein Kombinationsimpfstoff, der zusätzlich auch eine Impfkomponente gegen Windpocken beinhaltet.

Die Behauptung über 105 Todesfälle deckt sich in etwa mit Daten aus der VAERS Datenbank. Jedoch handelt es sich auch hier nicht um die letzten zehn Jahre, sondern um den Zeitraum Anfang 2004 bis Ende 2014. Tatsächlich finden sich dort 108 Todesfälle, die als angebliche Folgen von Impfungen gemeldet wurden. 

Abfrage der Datenbank VAERS nach Todesfällen in Verbindung mit MMR- oder MMRV-Impfungen zwischen 2004 und 2014. (Screenshot: CORRECTIV)

Für die letzten zehn Jahre, also von Oktober 2009 bis September 2019, zeigt die Datenbank 83 Todesfälle an. 

Abfrage der Datenbank VAERS nach Todesfällen in Verbindung mit MMR- oder MMRV-Impfungen zwischen 2009 und 2019. (Screenshot: CORRECTIV)

Die Angaben in der Datenbank sind jedoch mit Vorsicht zu betrachten. Ärzte sowie Patienten können dort ungeprüft mögliche Nebenwirkungen, die sie nach einer Impfung vermuten , dokumentieren. Diese potenziellen Nebenwirkungen werden nach dem MedDRA (Medizinisches Wörterbuch für Aktivitäten im Rahmen der Arzneimittelzulassung) klassifiziert und beinhalten alle möglichen unerwünschten Wirkungen beziehungsweise Wechselwirkungen von Arzneimitteln sowie Auswirkungen auf den Gesundheitszustand oder Fehlfunktionen von Geräten.

Nur wenn schwerwiegender Nebenwirkungen auftreten (dazu zählen Tod, lebensbedrohliche Krankheiten, Krankenhausaufenthalt oder Verlängerunge eines Krankenhausaufenthalts und dauerhafte Behinderung), wird der Bericht nach Angaben von VAERS überprüft. 

Eine Review der Daten aus der VAERS-Datenbank von Ärzten der Food and Drug Administration und des Centers for Disease Control and Prevention, die 2015 veröffentlicht wurde, zeigte, dass es bei den berichteten Toden nach einer Impfung mit dem MMR-Impfstoff meistens keinen kausalen Zusammenhang mit der Impfung gab. Das heisst, die Impfungen haben den Tod nicht verursacht, sondern geschahen lediglich zeitnah. Zum Beispiel bei Kindern, die bereits vor der Impfung an einer schweren Krankheit litten, oder deren Tod nicht mit dem Impfstoff in Verbindung stand (zum Beispiel durch einen Unfall). Es gebe lediglich „seltene Fälle“, in denen die Patienten zum Beispiel eine allergische Reaktion hatten oder ein geschwächtes Immunsystem eine Folgeinfektion begünstigt habe. 

Die Autoren schreiben: „Generelle Schlüsse über Impfungen, die Todesfälle verursachen, auf Grundlage von spontanen Meldungen an VAERS zu treffen – von denen einige aus zweiter Hand stammen können – oder aus Medienberichten, ist keine wissenschaftlich valide Praxis.“ Alle schweren Fälle, die an VAERS gemeldet werden, würden untersucht, und es seien keine besorgniserregenden Muster aufgetaucht, die einen kausalen Zusammenhang zwischen MMR-Impfungen und Todesfällen belegen.

Fazit

Hier wurden die drei wichtigsten der vielen Behauptungen bezüglich Masern, Masernimpfung und zusammenhängender Todesfälle des Artikels „Lügenpresse verschweigt CDC-Studie: 35’570 Impfschäden innerhalb eines Monats!” der Webseite Legitim überprüft. Fazit ist, dass keine dieser drei Behauptungen den Fakten entspricht.

Der Prozentsatz „unerwünschter Ereignisse“, die nach einer Impfung auftraten, lag nicht bei fast 10 % sondern 2,54 %. Es gibt keinerlei Belege darüber, dass die Masernsterblichkeit vor der Einführung des Masernimpfstoffes praktisch ausgerottet war oder darüber, dass ein kausaler und nicht nur zeitlicher Zusammenhang zwischen den genannten 105 Todesfällen und der vorhergehenden Masernimpfung vorliegt.  

Von Eva Wirtz, Mitglied der Checkjetzt-Redaktion