Das Spahn-Netzwerk

Wie Jens Spahn hunderte Millionen Euro verbrannte

Als Gesundheitsminister hat CDUler Spahn viel öffentliches Geld verschwendet. Neue Recherchen von CORRECTIV enthüllen einen besonders sinnlosen Deal: für hunderte Millionen Euro eingekaufte Covid-Arzneien mussten entsorgt werden.

von Annika Joeres

Collage:CORRECTIV (Fotos:picture alliance & unsplash.com)

Diese hunderte Millionen Euro schwere Bestellung von Jens Spahn ging in Flammen auf: Im Winter 2022/2023 ließ der damalige CDU-Gesundheitsminister zehntausende Dosen monoklonaler Antikörper gegen Covid-19 im Feuer vernichten. Die Medikamente waren abgelaufen – und hatten ohnehin kaum Patienten geholfen.

CORRECTIV-Recherchen zufolge lösten sich mit der Entsorgung auch zugleich hunderte Millionen Euro Steuergelder in Rauch auf: Bekannt war bislang nur, dass Spahn im Januar 2021 monoklonale Antikörper-Arzneien für 400 Millionen Euro einkaufte. Doch hinzu kamen noch knapp 200 Millionen Euro für weitere Dosen derselben Arznei und für weitere Wirkstoffe, die die Bundesregierung bestellte. Erstmals bestätigte das Gesundheitsministerium gegenüber CORRECTIV, dass die meisten Dosen nie genutzt wurden – und die Vernichtung der unbrauchbaren Medikamente weitere Tausende Euro kostete. Wie viel insgesamt kann das Ministerium nicht einmal benennen.

Damit hat der heutige CDU-Fraktionschef Spahn in seiner Amtszeit als Gesundheitsminister neben den viel beachteten Maskendeals eine weitere große Summe unbedarft ausgegeben. Ende Januar 2021 rühmte sich Spahn noch, die Antikörper-Arzneien bestellt zu haben – obwohl Fachleute schon damals warnten, dass die Datenbasis unzureichend sei. Es war unklar, wie gut sie wirken würden und wer sie überhaupt nehmen kann. Zudem war die Arznei nicht einmal in der EU zugelassen. Die Antiviren sollten bei bereits mit Corona infizierten Personen schwere Verläufe verhindern oder mildern. Aber kein zweites EU-Land gab auch nur annähernd so viel Geld für das Medikament aus wie Deutschland.

Profitiert von dem Auftrag hat (unter anderem) ein Freund von Spahn, der Milliardär Christian Angermayer. Darüber berichteten wir bereits im ersten Teil unserer Serie über das Netzwerk eines der einflussreichsten Männer der Berliner Regierung. Neu ist allerdings die tatsächliche Höhe des Deals mit den Antiviren namens Bamlanivimab, Sotrovimab sowie Casirivimab und Imdevimab.

Und damit auch die Höhe der Verluste. Sie übertreffen alle bisherigen Annahmen. Dabei hätte Spahn gewarnt sein können. Der Begriff „mono“ zeigt es bereits: Diese Medikamente docken nur an einer Stelle an. Mutiert das Virus, verlieren sie ihre Wirkung.

Corona-Arznei: „Spahn hat Warnungen ignoriert“

„Jeder Fachmann weiß, dass monoklonale Antikörper nur kurzfristig einsetzbar sind“, erklärt der Pharmaexperte Theo Dingermann. Der emeritierte Pharmakologe der Frankfurter Goethe-Universität ist ein gefragter Arzneimittel-Experte. Er kritisiert, Spahn habe die wissenschaftlichen Warnungen ignoriert. Es habe täglich aktualisierte Tabellen gegeben, die die Mutationen dokumentierten – für jeden war ersichtlich, dass ein so spezifisches Medikament kaum genutzt werden kann. „Angesichts der kurzen Haltbarkeit hätte Spahn nur geringe Mengen kaufen dürfen“, so Dingermann.

Das Gesundheitsministerium betont auf Nachfrage, Spahn habe sich umfassend beraten lassen, unter anderem vom Robert-Koch-Institut (RKI). Doch das RKI schreibt: Die Entscheidung zur Beschaffung und Menge von monoklonalen Antikörpern wurde vom Bundesministerium für Gesundheit getroffen, so eine Sprecherin auf CORRECTIV-Anfrage. Das RKI habe nur Daten geliefert.

Damit bestellte Spahn für viele hunderte Millionen Euro ein Arzneimittel, das in der EU nicht einmal zugelassen war und in den USA nur eine sogenannte Notfallzulassung erhalten hatte. Unseren Recherchen zufolge kaufte offenbar kein anderes EU-Land vergleichbare Mengen – Frankreich etwa nur einige Tausend Dosen. Schon sieben Tage nach seinem Einkauf stellte der hochrangig besetzte, deutsche Corona-Krisenstab laut einem Protokoll fest, dass einer der drei Antikörper-Arzneien für viele Patienten nicht mehr hilfreich ist: „Bamlanivimab wirkt nicht mehr gegen die Südafrika-Variante“, also gegen eine damals aufkommende Mutation.

Bekannt wurde das Medikament ohnehin nur, weil sich US-Präsident Donald Trump während seiner erratischen Reaktion auf das Coronavirus selbst Antikörper spritzen ließ. Er drängte daraufhin die amerikanische Kontrollbehörde FDA, diese Wirkstoffe zuzulassen. Tatsächlich vergab die FDA eine Notfallzulassung für Bamlanivimab – und widerrief sie wenige Wochen nach Spahns Einkauf wieder. Der Grund: Es sei alleine wirkungslos. Trotz der Zweifel ließ das Gesundheitsministerium die Medikamente weiter im Umlauf.

Und ließ damit auch Patientinnen und Patienten mit einer häufig unwirksamen Arznei alleine, die, wie jedes Medikament, Nebenwirkungen hatte: Nach einer Infusion von Bamlanivimab beispielsweise kann es zu Übelkeit, Erbrechen, Fieber und Schwellungen kommen. Der Hersteller Eli Lilly brach im Herbst 2021 eigenständig sein Zulassungsverfahren in der EU für Bamlanivimab ab – offenbar war das bis dahin in Deutschland verschriebene Medikament chancenlos.

Spahns Motto lautete: Erst mit Steuergeld beschaffen, dann prüfen

Die Devise bei Spahn als Gesundheitsminister schien oft zu lauten: Erst von Steuergeld beschaffen, dann prüfen, ob es überhaupt gebraucht wird. In solchen Fällen, so Pharmaexperte Dingermann, kaufe man Medikamente auf Kommission: Man hält sie bereit, zahlt aber nur für genutzte Dosen und gibt den Rest zurück. „Das ist wie vor einer großen, unvorhersehbaren Feier: Da kaufe ich die Getränke auch auf Kommission“, sagt er.

Laut Ministerium aber sei dies bei den Covid-Antiviren nicht möglich gewesen.

Vielleicht, weil Spahn auch kein guter Verhandler war? Bis heute verschweigt das Ministerium den genauen Preis für eine Dosis, bekannt ist nur die Gesamtsumme. Der Hersteller von Bamlanivimab, Eli Lilly, gab allerdings bekannt, von reichen Ländern – zu denen Deutschland unmissverständlich gehört – 1.250 Dollar pro Dosis zu nehmen, deutlich weniger, als Spahn schließlich zahlte. Auf mehrere schriftliche Nachfragen antwortete der Konzern nicht. Zur Zeit der Beschaffung rühmten sich Politiker und Pharmakonzerne mit der Arznei – heute will niemand darüber sprechen.

Spahn bewarb seinen Kauf in der Bild – zu einem Zeitpunkt, als er wegen fehlender Impfungen in der Kritik stand. Aber die Fachärztinnen und -ärzte sahen in dem millionenschweren Kauf wohl kaum einen Nutzen.

Spahns Geheimhaltungspolitik

CORRECTIV recherchiert seit Monaten zu Spahns Netzwerk. Ebenso lange liefert das Gesundheitsministerium (heute unter der Leitung seiner CDU-Parteifreundin Nina Warken)  irreführende oder unvollständige Antworten. Der Mailwechsel mit dem Ministerium umfasst inzwischen mehr als 30 Seiten.
Ein Beispiel: die Frage nach der Zahl der Antikörperdosen, die tatsächlich an Patienten verabreicht wurden. Das Ministerium erklärte mal, es wurden ca. 29.000 „Behandlungseinheiten“ von Casirivimab/Imdevimab an Apotheken abgegeben, mal sprach es von 29.000 „Durchstechflaschen“ – obwohl es für eine Behandlungseinheit mindestens 2 Durchstechflaschen benötigt. Auch die vermeintlich beeindruckende Menge ist irreführend. Denn wieviele der Dosen tatsächlich verabreicht wurden,  kann – oder will – das Ministerium nicht beantworten.

Dabei griff Spahn noch einmal tief in die Tasche, um seinen Kauf schmackhaft zu machen: Er bot erneut Steuergelder an, um die Dosen loszuwerden. 450 Euro sollten Ärzte pauschal für eine Therapie mit den monoklonalen Antikörpern erhalten. Dennoch hielten offenbar nur wenige Ärzte die Arznei für sinnvoll.

Spahns Deal war lukrativ – für die Pharmafirmen

Für die beteiligten Pharmafirmen hingegen waren die Geschäfte mit den Covid-Antikörpern sehr lukrativ: Eli Lilly und Regeneron verdienten 2021 mehrere Milliarden mit dem Präparat.

Zur Zeit der Entscheidungen hatten Bekannte Spahns und frühere Mitarbeiter des Ministeriums hohe Posten in der Pharmabranche inne. Einige seiner früheren Mitarbeiter waren in die lukrative Industrie gewechselt.

Auf die Frage, ob Spahn und das Gesundheitsministerium mit den früheren Kollegen über den Ankauf der Arzneien Kontakt hatten – und ob ein Interessenkonflikt vorlag –, wich das Ministerium aus. „Das BMG stand im Kontext der Beschaffungen mit mehreren Personen der betroffenen Unternehmen in Kontakt“, schreibt es lediglich. Und ließ damit auch diese Frage weitestgehend unbeantwortet.

Text: Annika JoeresRecherche: Annika Joeres, Markus KaterRedigatur: Anette Dowideit, Alexej HockKommunikation: Esther Ecke