Debatte um AfD-Verbot

Streit über AfD-Verbot sprengt Parteilinien

Am Donnerstagabend hat der Deutsche Bundestag diskutiert, ob die AfD verfassungswidrig ist oder nicht. Es ist das erste Mal, dass die Abgeordneten konkret über Anträge für ein AfD-Verbotsverfahren debattieren.

von Marie Bröckling

Bundestag
Enrico Komning (AfD), Sicherheitsbeauftragte der Fraktion, und Beatrix von Storch (AfD), stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag, nehmen an einer Sitzung im Plenarsaal des Bundestages teil. Der Bundestag befasst sich mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der AfD.

Sollte die AfD verboten werden? Dieses Thema wird seit Monaten hitzig diskutiert. In Medienberichten liegt der Fokus oft auf der Frage, ob so ein Verfahren Aussichten auf Erfolg hätte.

Doch letztlich entscheiden Politikerinnen und Politiker, ob sie ein solches Verfahren eröffnen. Nach Monaten des Stillstands kam nun Bewegung in die Debatte: Zwei Anträge dazu wurden in erster Lesung im Bundestag diskutiert und anschließend an den Innenausschuss überwiesen.

Der Bundestag entscheidet nicht über ein Verbot – es geht darum, ob offiziell vor Gericht überprüft werden soll: Ist die AfD verfassungswidrig?

„Was muss noch passieren?” fragte Ricarda Lang (Grüne). „Wie viel weiter muss sich diese Partei radikalisieren, die offen von Remigration spricht, bis wir bereit sind, diesen Schritt zu gehen?“

Keine Mehrheit für AfD-Verbotsverfahren

Aktuell gibt es im Bundestag keine Mehrheit für ein Verbotsverfahren gegen die AfD. Eine parteiübergreifende Gruppe von 124 Abgeordneten fordert die Einleitung eines Verfahrens zur Überprüfung der Verfassungswidrigkeit der AfD. Eine weitere Gruppe von rund 40 Grünen-Abgeordneten verlangt ein Gutachten, um zunächst die Erfolgsaussichten zu prüfen.

Ungewöhnlich ist, dass der Konflikt nicht entlang von Parteilinien verläuft. Die Abgeordneten Marco Wanderwitz (CDU), Carmen Wegge (SPD), Martina Renner (Linke), Till Steffen (Grüne) und Stefan Seidler (SSW) haben den ersten Antrag initiiert. Sie sind überzeugt, dass die AfD verfassungswidrig ist und dass es die Aufgabe aller demokratischen Parteien sei, den Staat gegen solche Bestrebungen zu schützen.

Marco Wanderwitz (CDU) betonte am Donnerstagvormittag, dass Demokratinnen und Demokraten zusammenstehen müssten. Stefan Seidler (SSW) warnte, dass die Zeit dränge: „Wir sind vielleicht der letzte Bundestag, der das kann.“

Stephan Brandner (AfD) warf den Abgeordneten vor, aus Angst vor der Stärke der AfD zu handeln. Er bezeichnete ein Parteiverbotsverfahren nach Artikel 21 des Grundgesetzes als „undemokratisch“.

Einigkeit in der Sache, Unterschiede im Weg

Die erste offene Aussprache im Bundestag zeigte, dass manche Abgeordnete noch unentschieden sind. Einige haben ein Verbotsverfahren nicht per se ausgeschlossen, sondern betonen, dass sie den Zeitpunkt – drei Wochen vor den Wahlen – für falsch halten oder mehr Beweise für die Verfassungswidrigkeit bräuchten.

Es herrschte parteiübergreifend Einigkeit darüber, dass die AfD eine Gefahr für die Demokratie sei. „Ich kann deswegen die Kolleginnen und Kollegen sehr gut verstehen, die angesichts dieser Bedrohung heute zum Instrument des Parteiverbots greifen“, sagte Konstantin Kuhle (FDP). Ähnlich Johannes Fechner (SPD): „Ich bin für diesen Antrag dankbar.“ Und Michael Frieser (CDU): „Ich kann die Besorgnis, die in den Anträgen vorgetragen wird, gut nachvollziehen.” Dennoch würden CDU/CSU, SPD und FDP als Fraktionen zum jetzigen Zeitpunkt nicht für die Anträge stimmen.

Kritik an Bundesregierung und Bundesrat

Mehrfach gab es Seitenhiebe gegen die Bundesregierung und die Länder, die sich bislang zurückhaltend zeigen. „Ich höre wenig von den Innenministern,“ sagt Linda Teuteberg (FDP). Auch der CDU-Abgeordnete Michael Frieser merkte an, dass der Bundestag diese Aufgabe nicht alleine bewältigen könne und forderte die Regierung auf, sich dazu zu positionieren.

Die Voraussetzungen für ein Parteiverbotsverfahren sind extrem hoch. Die Antragsteller müssten beweisen, dass die AfD-Parteispitze und ihre Anhänger aktiv darauf hinarbeiten, die demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Das sei für Bundestagsabgeordnete mit wenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kaum zu stemmen. Es bedürfe eine enge Zusammenarbeit mit den Innenministerien auf Bundes- und Länderebene, die mehr Ressourcen und Zugriff auf Informationen der Geheimdienste haben.

Neuer Bundestag wird wohl entscheiden

Bis zur vorgezogenen Bundestagswahl wird es wohl keine Abstimmung mehr geben. Der Innenausschuss könnte theoretisch noch eine Anhörung abhalten. „Sollten wir es nicht mehr schaffen, können die Abgeordneten im neuen Bundestag den Ball aufnehmen“, sagte Marco Wanderwitz (CDU), der Initiator des AfD-Verbotsantrags. Wanderwitz kandidiert nicht mehr für den neuen Bundestag.

Nach der Debatte scheint es möglich, dass Teile der SPD, FDP und CDU/CSU in Zukunft einen solchen Antrag unterstützen. Wanderwitz schätzt, dass die Anzahl der Unterstützer seit November von 124 auf etwa 150 gewachsen ist. Hinzu kämen Abgeordnete, die sich enthalten würden.

„Ich mache mir keine Sorgen, dass wir als Fraktion geschlossen abstimmen werden,“ sagte Carmen Wegge (SPD) gegenüber CORRECTIV.  Rechnerisch könnte damit eine knappe Mehrheit im neuen Bundestag zusammenkommen. Bislang sprach sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gegen ein Parteiverbotsverfahren aus.

Verfassungswidrig ist nicht gleich verfassungsfeindlich

Unter Juristinnen und Juristen ist es umstritten, ob die Voraussetzungen für ein Parteiverbot erfüllt wären. „Die AfD ist verfassungsfeindlich, das ist klar. Aber es ist rechtlich herausfordernd zu beweisen, dass die AfD auch verfassungswidrig ist,“ sagte Renate Künast (Grüne) gegenüber CORRECTIV.

Es gebe genug Beweise für Verfassungswidrigkeit, sagt die eine Seite. 17 Staatsrechtlerinnen und Staatsrechtler mit Professuren an deutschen Universitäten attestieren einem Verbotsverfahren gute Erfolgsaussichten.

Das reiche vielleicht noch nicht für ein Parteiverbot, sagt die andere Seite. Der renommierte Verfassungsrechtler Christoph Möllers, der den Bundesrat im Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme, inzwischen in „Die Heimat“ umbenannte NPD vertreten hat, sagt offen: Das lasse sich aktuell nicht abschätzen.

Der AfD-Abgeordnete Peter Boehringer nennt die Grundlage für das Gutachten der 17 Verfassungsrechtler und Verfassungsrechtlerinnen im Bundestag „lächerlich“. Weil das AfD-Parteiprogramm „untadelig“ sei, versuche man, die AfD mit Zitaten von Einzelpersonen anzugreifen.

Verfassungsschutzbericht könnte das Verfahren beschleunigen

Über Monate haben die Abgeordneten rund um Marco Wanderwitz (CDU) im Hintergrund für ein Parteiverbotsverfahren geworben. Offiziell in den Bundestag eingebracht wurde der Antrag erst im November. Ein Grund dafür ist, dass die Abgeordneten auf den angekündigten Verfassungsschutzbericht gewartet hatten.

Es galt lange als sehr wahrscheinlich, dass der Verfassungsschutz die AfD auf Bundesebene als „gesichert rechtsextrem“ einstufen und damit eine stärkere Beweislage für ein Verbot schaffen würde. Denn die von den Verfassungsschutzbehörden gesammelten Informationen sind „die wesentliche Grundlage zur Durchführung von Parteiverbotsverfahren“, teilt das Bundesinnenministerium (BMI) auf Nachfrage von CORRECTIV mit. Deshalb würde sich auch das BMI „zuvörderst dieser Erkenntnisquellen“ bedienen.

Es bleibt eine politische Frage, ob man ein Verbotsverfahren möchte oder nicht. Der Prozess könnte mehrere Jahre dauern.

Maja Wallstein (SPD) fragt am Donnerstagabend noch in Richtung der AfD: „Welche demokratische Partei fürchtet die Überprüfung ihrer Verfassungsmäßigkeit?“

Recherche und Text: Marie Bröckling
Redaktion: Gabriela Keller
Faktencheck: Gabriela Keller
Bild: Ivo Mayr