Fakten-Check

Rechter Influencer veröffentlicht Liste von Silvester-Vorfällen – und schürt damit Angst vor Ausländern

Der rechte Influencer Henryk Stöckl veröffentlicht auf Facebook eine Liste von Straftaten, die an Silvester passiert sein sollen. Er nennt sie „Einzelfall-Liste“. Was hat sich wirklich ereignet? CORRECTIV hat zu den Vorfällen recherchiert.

von Caroline Schmüser

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Ein rechter Influencer veröffentlicht eine Liste von Vorfällen, die sich in der Silvesternacht ereignet haben sollen, er nennt sie „Einzelfall-Liste“. (Foto von Alexander Kagan / unsplash)
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Gemischt. Die Fälle stimmen teilweise, sie sind aber nicht miteinander vergleichbar.

Der rechte Influencer Henryk Stöckl veröffentlichte am 5. Januar eine Liste von Straftaten, die sich in der Silvesternacht 2018/19 ereignet haben sollen. Er nennt sie „Einzelfall-Liste“, und unterstellt mit dieser Wortwahl, die Taten seien von Ausländern begangen worden.

Ein Blick in die Kommentarspalte des Postings zeigt, dass einige Facebooknutzer die Vorfälle tatsächlich ausländischen Personen anheften, oder Angela Merkels Politik als Ursache anführen:

Kommentare unter dem Posting von Henryk Stöckl zu Vorfällen in der Silvesternacht. (Screenshot von Correctiv)

 

Andere wiederum zweifeln den Wahrheitsgehalt des Facebook-Beitrags an:

Ein Kommentator wirft Stöckl vor, 95 Prozent der aufgeführten Meldungen seien erdichtet worden oder aus dem Kontext gerissen. (Screenshot von Correctiv)

 

Doch wie haben sich die Vorfälle nun ereignet? Die 28 aufgelisteten Vorfälle will Stöckl am Ende des Beitrags mit Quellen belegen, dazu gehören verschiedene Medienberichte und Polizeimeldungen. Nicht für jeden Vorfall zählt Stöckl eine Quelle auf. In kaum einer Quelle steht etwas über die Nationalität des oder der Tatverdächtigen, oft richtet sich der Tatverdacht gegen „unbekannt“.

CORRECTIV hat deshalb nach den Polizeimeldungen zu den beschriebenen Taten gesucht und kontaktierte die zuständigen Polizeibehörden.

Das Ergebnis: Einige Taten wurden von ausländischen Staatsangehörigen begangen, andere von deutschen. In vielen Fällen wurde noch kein Tatverdächtiger ermittelt. Ein Vorfall ereignete sich im Jahr 2005, bei einem anderen liegen keine Hinweise auf eine Straftat vor. Bei manchen Vorfällen könnte es sich auch um Unfälle gehandelt haben. Die Fälle sind also nicht miteinander vergleichbar.

Kassel – „Mann sticht auf einen 38-jährigen Passanten in der U-Bahn ein“

Das ist passiert. Das Polizeipräsidium Kassel fahndete am 4. Januar 2019 nach einem Mann, der am 31. Dezember 2018 einen 38-jährigen Mann aus Kassel in einer Regiotram mit einem Messer in den Bauch gestochen haben soll. Der mutmaßliche Täter, ein 23-Jähriger aus Afghanistan, wurde mittlerweile festgenommen.

Köln – „28-Jährige von einem Unbekannten auf Gaststätten-Toilette vergewaltigt“

Das ist passiert. Laut polizeilicher Pressemitteilung wurde in den Toiletten einer Gaststätte in der Kölner Altstadt eine 28-jährige Touristin aus Süddeutschland vergewaltigt. Den Tatverdächtigen hatte die Frau in der Nacht kennengelernt. Der Tatverdächtige ist nach wie vor unbekannt, teilte die Polizei Köln auf Anfrage von CORRECTIV mit.

Cottbus – „Ausländer sticht auf 28-jährigen Deutschen ein“

Das ist passiert. Ein 28-jähriger Deutscher habe einen Streit schlichten wollen, heißt es in der Pressemitteilung der Polizei Cottbus. Plötzlich sei die Stimmung gekippt und ein „unbekannter Ausländer“ habe mit einer Stichwaffe auf den 28-Jährigen eingestochen. Auf Nachfrage teilte uns eine Pressesprecherin telefonisch mit, der Tatverdächtige soll während dem Vorfall „eine fremde Sprache“ gesprochen haben. Die Ermittlungen laufen derzeit noch.

Berlin – „150 Männer mit arabischen und türkischen Migrationshintergrund hetzen Polizisten durch die Straßen und bewerfen sie mit Böllern“

Größtenteils richtig. Eine Quelle zu diesem Vorfall nennt Stöckl nicht, jedoch lässt sich in der Pressemeldung der Berliner Polizei zur Silvesternacht ein solcher Vorfall finden. Am Telefon bestätigte ein Polizeisprecher gegenüber CORRECTIV, dass es sich dabei um Personen mit arabischen und türkischen Migrationshintergrund handelte. Polizisten seien mit Böllern beworfen worden, durch die Straßen gehetzt wurden sie jedoch nicht.

Köln – „Zwei arabische Männer prügeln in U-Bahn auf Deutschen ein“

Unklar. In der Polizeimeldung zur Kölner Silvesternacht wird ein solcher Fall nicht angeben, auch eine Quelle nennt Stöckl nicht. Am frühen Morgen des 1. Januar stellte Stöckl aber ein Video auf Facebook, das ihm zufolge einen solchen Vorfall am Bahnhof Kerpen-Korrem zeigen soll. CORRECTIV stand wegen des Videos mit der zuständigen Kölner Polizeibehörde in Kontakt. Die Ermittlungen zu den Hintergründen des Vorfalls laufen derzeit noch.

Frankfurt am Main – „Unbekannter sticht auf 21-Jährigen ein“

Das ist passiert. Laut Polizeimeldung war das 21-jährige Opfer mit Freunden unterwegs, als sie auf eine andere Personengruppe trafen. Plötzlich soll es zu Handgreiflichkeiten gekommen sein, der 21-Jährige erlitt dabei eine Stichverletzung. Ein Täter konnte bisher nicht ermittelt werden.

Schönberg – „3-fache Mutter erschossen“

Das ist passiert. Laut Pressemitteilung der zuständigen Polizeidirektion Kiel wurde eine 39-jährige Mutter von drei Kindern in Schönberg tödlich verletzt. Auf Nachfrage teilte ein Polizeisprecher gegenüber CORRECTIV mit, dass es sich bei dem Tatgegenstand wahrscheinlich um eine Schusswaffe handelte. Die Ermittler gehen derzeit davon aus, dass es sich nicht um eine vorsätzliche Tat, sondern um ein Unglück handelte. Ein Tatverdächtiger sei noch nicht ermittelt worden.

Trier –  „Mann sticht im Taxi in den Bauch eines Mitfahrers“

Größtenteils richtig. Bei einem Streit um ein Taxi fügte ein 18-Jähriger seinem Mitfahrer Schnitt- und Stichverletzungen an den Armen, am Bein und im Rücken zu. Der Tatverdächtige ist somalischer Staatsangehöriger.

Hamburg-Altona – „Mann schießt wahllos durch die Gegend und verfehlt knapp Familienvater“

Das ist passiert. In der zugehörigen Pressemitteilung heißt es hierzu: „Von einem bislang unbekannten Täter mittels einer Schusswaffe ein Fensterrahmen eines Wohnhauses beschossen.“ Verletzt wurde niemand. Der Täter ist weiterhin unbekannt, teilte ein Polizeisprecher auf Nachfrage von CORRECTIV mit.

Kassel – „65-jährigen Mann wurde absichtlich das Auge mit einer Feuerwerksrakete ausgeschossen“

Größtenteils richtig. Ein 65-Jähriger war von einer Rakete am Kopf getroffen worden, so die Polizei in einer Pressemitteilung. Der Geschädigte soll in Folge der Verletzung ein Auge verloren haben. Auf Nachfrage von CORRECTIV wollte die zuständige Polizeibehörde aus „taktischen Gründen“ keine Auskunft dazu geben, ob ein Tatverdächtiger bereits festgenommen wurde. Es könne derzeit weder ein vorsätzliches noch fahrlässiges Handeln ausgeschlossen werden.

Magdeburg – „50 Vermummte attackieren Polizisten mit Flaschen, Steinen und Böllern“

Das ist passiert. 50 teils vermummte Personen hätten mittels herausgerissene Verkehrsschildern mehrere Geschäfte beschädigen wollen. Als die gerufenen Polizeibeamten eintrafen, wurden diese mit Flaschen, Steinen und pyrotechnischen Gegenständen beschossen. Erkenntnisse zu einem Migrationshintergrund der Täter würden nicht vorliegen, so die Polizeiinspektion Magdeburg nach Nachfrage von CORRECTIV. Eine politische Tatmotivation könne nicht ausgeschlossen werden.

E-Mail der Polizeiinspektion Magdeburg auf Anfrage von CORRECTIV. (Screenshot von Correctiv)

Dortmund – „400 Menschen schießen mit Raketen auf Polizisten und bewerfen sie mit Flaschen“

Das ist passiert. Polizeibeamte wurden aus einer Gruppe von rund 400 Personen mit Flaschen und Pyrotechnik beworfen. Verletzt worden sei niemand, allerdings wurde ein Streifenwagen beschädigt. Die Polizei Dortmund geht davon aus, dass die Angriffe seien aus überwiegend deutscher, studentischer Klientel initiiert worden. Das teilte ein Sprecher auf Anfrage von CORRECTIV mit. Einen größeren Anteil von Personen mit Migrationshintergrund hätten die Beamten nicht ausmachen können. Konkrete Hinweise auf eine politische Motivation würden nicht vorliegen.

Dortmund – „24-jähriger Algerier fasst Frau in den Schritt“

Das ist passiert. Laut Pressemitteilung der Polizei bettelte ein alkoholisierter 24-jähriger Algerier zunächst mehrere Frauen an. Er erhielt einen Platzverweis, fiel später jedoch erneut auf, als er einer Frau unter den Rock und in den Intimbereich fasste. Die Polizeibeamten nahmen ihn vorläufig fest.

Hamburg – „Mann wirft absichtlich einen Böller in eine Menschenmenge und verletzt vier Personen“

Das ist passiert. Ein Mann habe einen pyrotechnischen Gegenstand unbekannter Art gezündet, diesen in einer Menschenmenge auf den Boden fallen lassen und sich anschließend entfernt, heißt es in einer Pressemitteilung der Polizei. Eine 33-jährige Frau erlitt eine blutende Gesichtswunde und eine Wunde am Knie. Sie und drei weitere Personen klagten außerdem über Schmerzen im Ohr. Der Tatverdächtige ist weiterhin unbekannt, teilte uns ein Polizeisprecher auf Nachfrage mit.

Hamburg – „20-jähriger in Rücken gestochen, Sanitäter von Männern aus Shisha-Bar attackiert“

Unklar. Der Polizei Hamburg war der Vorfall auf Nachfrage von CORRECTIV zwar bekannt. Nicht klar ist, ob der oder die mutmaßlichen Tatverdächtigen aus einer Shisha-Bar kamen. Der 20-jährige Geschädigte erlitt eine oberflächliche Stichverletzung an der Schulter. Die Hintergründe der Tat sind noch unklar. Die Ermittlungen richten sich gegen Unbekannt.

Köln – „Dutzende Täter einer Massenschlägerei gehen auf Polizisten los“

Das ist passiert. Laut Pressemitteilung der Polizei Köln hatten sich Beteiligte zweier privater Silvesterfeiern auf der Straße geschlagen. Bei dem Versuch, die Streitparteien zu trennen, wurden Polizeibeamte selbst von Einzelnen angegriffen. Nach derzeitigem Ermittlungsstand wird von Streitigkeiten zwischen zwei Familien mit irakischem Migrationshintergrund ausgegangen, teilte die Polizei Köln auf Anfrage mit.

Saarbrücken – „Unbekannter versprüht Pfefferspray in einer Disco“

Das ist passiert. Aufgrund der laufenden Ermittlungen wollte die zuständige Polizeiinspektion Saarbrücken-Stadt auf Nachfrage keine Angaben zu einem möglichen Tatverdächtigen machen.

E-Mail der Polizeiinspektion Saarbrücken-Stadt auf Anfrage von CORRECTIV. (Screenshot von Correctiv)

Freinsheim – „Gruppe junger Männer schlägt mit einem Baseballschläger auf einen Mann ein“

Das ist passiert. Die Polizeiinspektion Bad Dürkheim schrieb in einer Pressemitteilung, bei der Gruppe soll es sich um drei bis vier Personen, im Alter zwischen 18 und 24, gehandelt haben. Eine der Personen soll „eine dunklere Hautfarbe und gekräuseltes Haar“ gehabt haben.

Frankfurt an der Oder – „Feuerwehrmann bei Einsatz auf den Kopf geschlagen“

Das ist passiert. Ein alkoholisierter Mann gab einem Feuerwehrmann eine Kopfnuss. Dieser erlitt eine Platzwunde an der Lippe. Bei dem Tatverdächtigen handelt es sich um „einen 43-jährigen Frankfurter“, teilte die Polizeidirektion Ost auf Nachfrage mit.

Mainburg – „Vier Rettungskräfte von zuvor bewusstlos scheinender Person geschlagen“

Teilweise falsch. Laut einer Pressemitteilung der Polizei Mainburg hatte ein 28-jähriger auf einer privaten Feier seine Frau und den Hausherren verletzt. Als der daraufhin alarmierte Notarzt am Einsatzort eintraf, zertrümmerte der Randalierer mit einer Eisenstange die Heckscheibe des Rettungswagens. Ob der Verdächtige vorerst bewusstlos schien, war bei der Polizei auf Nachfrage von CORRECTIV nicht bekannt. Der Tatverdächtige ist deutscher Staatsangehöriger.

Lüneburg – „32-jähriger Mann ersticht einen 25-Jährigen in seiner Wohnung“

Das ist passiert. „Bei dem Tatverdächtigen handelt es sich um einen in Deutschland geborenen Mann mit deutscher Staatsbürgerschaft“, teilte die Polizei auf Nachfrage von CORRECTIV mit. Es gebe keine Hinweise auf einen Migrationshintergrund des Tatverdächtigen.

Rostock – „Frau ging mit Familienhund spazieren, nun fand man ihre Leiche“

Das ist passiert. Es liegen jedoch keine Anhaltspunkte für eine Straftat vor.

Berlin – Frau während Silvesterparty am Brandenburger Tor vergewaltigt“

Das ist passiert. Ein Tatverdächtiger wurde festgenommen. Der Mann ist deutscher Staatsangehöriger, teilte die Polizei Berlin gegenüber CORRECTIV am Telefon mit.

Mühlacker – „34-Jähriger sticht vor Polizeirevier zwei Begleiter mit Messer in den Bauch“

Das ist teilweise falsch. Ein alkoholisierter 34-Jähriger soll seinen beiden Begleitern lediglich „oberflächige Stichverletzungen im Bauch mittels Messer“ beigefügt haben, heißt es in einer Pressemitteilung. „Niedergestochen wurde niemand“, so das zuständige Polizeipräsidium auf Nachfrage von CORRECTIV. Stöckl stellt den Vorfall also überspitzt dar. Der Tatverdächtige sei Deutscher ohne Migrationshintergrund.

Karlsruhe – „Gruppe von 1.000 Menschen mit Migrationshintergrund schießt Feuerwerkskörper gezielt in Menschenmengen und trifft ein 3-jähriges Mädchen“

Das ist teilweise falsch. In einer Pressemitteilung der Polizei Karlsruhe heißt es, eine Gruppe von 2.000 Personen habe gezielt Feuerwerkskörper in die Menschenmenge geschossen. Ein 3-jähriges Mädchen habe dabei eine Augenverletzung erlitten. Die Hälfte der Personengruppe, also etwa 1.000 Menschen, sollen laut Einschätzungen der Polizei einen Migrationshintergrund haben.

Kassel – „20-köpfige afghanisch-syrische Personengruppe attackiert mindesten drei Personen“

In Kassel ist ein solcher Vorfall nicht bekannt, dafür aber in Karlsruhe. Der polizeilichen Pressemitteilung zufolge habe dort eine etwa 20-köpfige afghanisch-syrische Personengruppe drei Körperverletzungsdelikte begangen. Die Tatverdächtigen konnten festgenommen werden.

Frankfurt am Main – „Afghane stößt absichtlich einen Mann vor einfahrende S-Bahn“

Das ist passiert. Ein 22-jähriger afghanischer Staatsangehöriger wurde wegen Tatverdacht festgenommen. Es soll zuvor zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Tatverdächtigen und dem 28-jährigen Geschädigten gekommen sein.

Frankfurt am Main – „36-jährige Frau angeschossen“

Fehlender Kontext. Als Quelle für diesen Vorfall nennt Stöckl einen Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitungaus dem Jahr 2005. Einen aktuellen Fall dieser Art gebe es nicht, teilte uns die Polizei Frankfurt telefonisch mit.