Faktencheck

Coronavirus: Keine Belege, dass Ibuprofen eine Erkrankung verschlimmert

Eine Whatsapp-Sprachnachricht verbreitet eine erfundene Geschichte: Die Uniklinik in Wien habe nachgewiesen, dass Ibuprofen die Infektion mit dem Coronavirus verschlimmere. Das stimmt nicht. Die Frage nach möglichen Auswirkungen des Schmerzmittels ist ungeklärt. 

von Alice Echtermann

Ibuprofen Schmerztabletten
Macht die Einnahme des entzündungshemmenden Schmerzmittels Ibuprofen die Krankheit durch das Coronavirus schlimmer? Dafür gibt es keine Belege. (Symbolfoto: Sven Simon / picture alliance)
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Unbelegt. Es gibt keine Belege, dass Ibuprofen eine negative Wirkung auf Corona-Patienten hat.  

Eine Sprachnachricht wird zehntausendfach auf Whatsapp weitergeleitet – darin erzählt eine Frau auf Deutsch, eine Bekannte von ihr arbeite in der „Uniklinik Wien“. Dort habe man im Labor angeblich herausgefunden, dass Ibuprofen (ein Schmerzmittel, das Fieber senkt) die Vermehrung des Coronavirus beschleunige. Am vergangenen Wochenende schickten uns zahlreiche Leser Hinweise auf diese Nachricht per E-Mail zu.

Innerhalb kurzer Zeit veröffentlichte die Medizinische Universität Wien ein Statement: Die Nachricht sei ein Fake. „Achtung, bei den derzeit kursierenden WhatsApp-Text- und Sprachnachrichten rund um angebliche Forschungsergebnisse der ‘Wiener Uniklinik’ zu einem Zusammenhang zwischen Ibuprofen und Covid19 handelt es sich um Fake News, die in keinerlei Verbindung mit der Med Uni Wien stehen.“

Tweet Medizinische Uni Wien
Tweets der Medizinischen Universität Wien auf Deutsch und Englisch. (Screenshot: CORRECTIV)

Auch das österreichische Gesundheitsministerium schrieb auf Twitter, die Nachricht sei eine „Falschmeldung“. 

Es steht also fest, dass die Medizinische Universität Wien keinen Labornachweis erbracht hat, dass Ibuprofen Covid-19 verschlimmert. 

Die Sprachnachricht enthält eine erfundene Geschichte – aber die Frage zur Wirkung von Ibuprofen bleibt offen

Der Fall ist jedoch etwas komplizierter. Denn beinahe zeitgleich warnte der französische Gesundheitsminister auf Twitter vor der Einnahme von „entzündungshemmenden Medikamenten“ wie Ibuprofen oder Kortison. Er riet dazu, stattdessen Paracetamol gegen Fieber zu nehmen. 

Tweet französischer Gesundheitsminister
Der Tweet des französischen Gesundheitsministers mit automatischer Übersetzung. (Screenshot: CORRECTIV)

Laut Tagesschau äußerte sich auch der nationale Gesundheitsdirektor Jérôme Salomon ähnlich und riet von der Einnahme von „nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR)“ ab. Dazu zählt Ibuprofen, aber auch Aspirin. 

Frankreichs Arzneimittelbehörde ANSM hat bereits im April 2019 gewarnt, Umfragen und Analysen hätten gezeigt, dass Mittel wie Ibuprofen eine verschlimmernde Wirkung bei Infektionskrankheiten haben könnten. In Frankreich besteht also generell Vorsicht bei diesen Medikamenten. Auf eine Nachfrage der französischen Faktenchecker von Libération teilte die französische Gesundheitsbehörde mit, die Aussage des Ministers auf Twitter basiere „noch nicht auf einer validierten Studie zum Coronavirus“, sei jedoch „Konsens“.

Es gibt auch Aussagen von weiteren Medizinern, die aktuell vor der Einnahme von entzündungshemmenden Medikamenten warnen. Das Science Media Centre hat am 16. März mehrere Experten-Aussagen gesammelt, die alle eher zu Paracetamol statt Ibuprofen oder Kortison raten, aber auch betonen, dass Forschung zu Covid-19 noch nicht vorhanden sei. Der Guardian zitiert einen Arzt aus Toulouse, der sagte, sie könnten das Risiko einer Komplikation bei Fieber oder Infektionen erhöhen. Und Al-Jazeera veröffentlichte einen Artikel eines Arztes, der der Ansicht ist, dass entzündungshemmende Medikamente bei Infektionskrankheiten negativ sein könnten, da sie die Reaktion des Immunsystems hemmen würden. 

Wichtig ist: Dies sind allgemeine Aussagen und Warnungen. Unsere Recherche zeigt: Es gibt keine Belege für eine Auswirkung von Ibuprofen konkret auf Corona-Patienten. 

Woher stammt die Warnung vor Ibuprofen?

Eine mögliche Quelle der Behauptung ist ein kurzer Artikel im wissenschaftlichen Journal The Lancet vom 11. März. Darin geht es um die Frage, ob Patienten mit Bluthochdruck und Diabetes ein erhöhtes Risiko durch Covid-19 haben. Diese Krankheiten seien häufig bei Patienten, bei denen die Infektion einen schweren Verlauf nahm – und sie hätten eine Gemeinsamkeit: „Die am häufigsten erfassten zusätzlichen Erkrankungen [Komorbiditäten] von Patienten mit Covid-19 werden oft behandelt mit ACE-Hemmern; die Behandlung wurde jedoch in keiner Studie beurteilt.“

ACE ist ein Enzym, das vorwiegend in der Lunge gebildet wird und an der Regulierung des Blutdrucks beteiligt ist. Laut der Autoren des Artikels in The Lancet binden Coronaviren wie SARS-CoV-2 ihre „Zielzellen“ durch das Enzym ACE2. Da die Behandlung von Diabetes und Bluthochdruck oft mit „ACE2-stimulierenden Medikamenten“ geschehe, ist die Hypothese der Wissenschaftler, dass diese Medikamente das Risiko eines schweren Verlaufs von Covid-19 erhöhen. 

Der entscheidende Satz in diesem Artikel ist: „ACE2 kann auch gesteigert werden durch […] Ibuprofen.“ Eine Quelle dafür wird nicht genannt. 

Der Artikel ist also keine Studie, bei der nachgewiesen wurde, dass Ibuprofen den Krankheitsverlauf von Covid-19 beeinflusst. Es wird lediglich die Möglichkeit erwähnt, dass dies so sein könnte. Eine Hypothese.  

Keine Belege für Verschlimmerung von Corona-Infektionen

Die Pharmazeutische Zeitung schreibt, laut einer Studie vom 5. März nutze das Virus SARS-CoV-2 das Enzym ACE2 tatsächlich als Rezeptor, um in menschliche Wirtszellen zu gelangen. Der Artikel von The Lancet sei aber „spekulativ“: „Die Arbeit läßt nicht erkennen, dass die Autoren ihre Hypothese durch eigene experimentelle Studien stützen. […] Nicht nur aus diesem Grund muss noch einmal nachdrücklich darauf hingewiesen werden, wichtige Medikamente nicht ohne Rücksprache mit den behandelnden Ärzten abzusetzen.“

Auch die Deutsche Apotheker-Zeitung bezeichnete das Ganze als „unbestätigte Hypothese“. 

Spanische Faktenchecker haben die Behauptung über Ibuprofen und Corona ebenfalls untersucht und kamen zu dem Schluss, es gebe keine Belege, dass Ibuprofen die Krankheit verschlimmert. Sie verweisen auf  eine Erklärung des spanischen Gesundheitsministeriums, der zufolge es keine Daten gibt, die einen solchen Zusammenhang belegen. Es sei für Patienten nicht erforderlich, entzündungshemmende, nicht-steroidale Medikamente abzusetzen.  

Gleiches betonte auch der deutsche Virologe Christian Drosten im NDR-Podcast: Es gebe keine Daten zu diesem Thema (ab Minute 1:22). 

Das Bundesamt für Gesundheit in der Schweiz teilt mit: „Es gibt derzeit keine eindeutigen Hinweise darauf, dass diese Art von Medikamenten den Krankheitsverlauf verschlimmert. In Einzelfällen wurden beobachtet, dass sie zu einem schwereren Krankheitsverlauf führen. Bewiesen ist dies jedoch nicht. Überprüfungen dazu laufen.“

Und auch die Europäische Gesellschaft für Kardiologie schreibt: „Diese Spekulation über die Sicherheit von ACE-Behandlungen im Zusammenhang mit Covid-19 wird durch keine fundierte wissenschaftliche Basis oder Belege gestützt.“ 

Update, 17. März 2020: Am 17. März warnte auch die WHO laut Medienberichten vor der Einnahme von Ibuprofen bei Verdacht auf eine Coronavirus-Infektion. Es sollte nicht ohne ärztlichen Rat eingenommen werden, auch wenn es keine neuen Studien dazu gebe. Wir haben außerdem im Text einen Hinweis auf eine Veröffentlichung des Science Media Centre und den Faktencheck von Libération ergänzt. 

Update, 19. März 2020: Die WHO verkündete auf Twitter: „Basierend auf den momentan verfügbaren Informationen rät die WHO nicht vom Konsum von Ibuprofen ab.“ 

Tweet der WHO am 19. März zu Ibuprofen. (Screenshot: CORRECTIV)