Faktencheck

Bill Gates’ angebliche „Impfverbrechen“ im Faktencheck

Im Windschatten der Debatten um das Coronavirus verbreiten sich altbekannte Vorwürfe gegen Bill Gates und seine Stiftung. Das Ziel: Angst vor Impfungen zu schüren. Die von uns geprüften Geschichten über angebliche Impfschäden in Indien oder Afrika sind jedoch falsch oder unbelegt.

von Alice Echtermann

Bill Gates
Der US-Unternehmer Bill Gates ist das Feindbild vieler Impfgegner. Die Anschuldigungen gegen ihn werden seit Jahren im Netz wiederholt – das macht sie aber nicht richtig. (Foto: Nicolas Liponne / picture alliance / NurPhoto)
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Größtenteils falsch. Die Behauptungen über die angeblich von Bill Gates verursachten Impfschäden sind falsch oder unbelegt. 

Die Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt seit Jahren Impfkampagnen in verschiedenen Ländern weltweit. Für Impfgegner ist der Microsoft-Gründer Bill Gates daher zum Feindbild geworden – und in der aktuellen Debatte um die Coronavirus-Pandemie werden alte Vorwürfe gegen ihn wieder extrem populär im Netz. 

In einem am 11. April 2020 veröffentlichten Artikel des Blogs Marbec-14 werden sechs Fälle in der Vergangenheit aufgezählt, in denen die von Gates finanzierten Impfstoffe angeblich tausenden Kindern geschadet hätten. Der Text wurde laut dem Analysetool Crowdtangle bereits mehr als 7.900 Mal auf Facebook geteilt. 

Es geht darin um Impfungen gegen Polio (Kinderlähmung) und HPV (Humane Papillomviren, die Krebs auslösen können) in Indien und gegen Meningitis (Hirnhautentzündung), DTP (Diphtherie, Tetanus und Pertussis, also Keuchhusten) und Malaria in Afrika. 

Die Anschuldigungen gegen Gates gehen zurück auf einen Artikel des US-amerikanischen Impfkritikers Robert F. Kennedy (Jr.), der am 9. April auf der Webseite seiner Organisation Children’s Health Defense erschienen ist. Marbec-14 hat offenbar Teile des englischen Textes übersetzt. Auch das russische Auslandsmedium RT Deutsch gibt Kennedys Behauptungen in einem Artikel vom 18. April wieder.   

CORRECTIV hat die Behauptungen einzeln überprüft. Sie sind größtenteils falsch oder unbelegt. 

1. Behauptung: Bill Gates’ Polio-Impfstoffe sorgten für eine „weltweite Polio-Explosion“

Laut Marbec-14 hat die WHO angeblich zugegeben, „dass es sich bei der weltweiten Polio-Explosion überwiegend um einen Impfstamm handelt“. Diese Behauptung ist falsch. Es gibt keine „weltweite Polio-Explosion“ oder eine Pandemie, die auf Viren aus Impfstoffen zurückzuführen ist. 

Poliomyelitis (kurz: Polio) ist eine Viruskrankheit, die vor allem Kinder unter fünf Jahren betrifft und zu Lähmungen führt. Zur Ausrottung von Polio wurde unter anderem von der WHO und Unicef 1988 die Global Polio Eradication Initiative gegründet, der sich später auch die Bill & Melinda Gates Stiftung anschloss. Ein wichtiger Baustein ihrer Strategie war die routinemäßige Immunisierung der Bevölkerung durch Impfungen. Genutzt wurde dafür vor allem ein oraler Impfstoff, der mindestens dreimal verabreicht wird.

Die Polio-Fallzahlen weltweit sind in der Folge dieser Bemühungen laut WHO um über 99 Prozent gesunken, von schätzungsweise 350.000 Fällen im Jahr 1988 auf 175 Fälle im Jahr 2019. Es gibt immer noch Polio-Fälle in Pakistan und afrikanischen Ländern – die Zahlen liegen im zweistelligen Bereich.  

Oraler Polio-Impfstoff kann in seltenen Fällen Erkrankung verursachen – die Fallzahlen sind sehr gering

In seltenen Fällen könne es jedoch dazu kommen, dass das Impfstoff-Virus, das in abgeschwächter Form in oralen Impfstoffen vorhanden ist, selbst Lähmungen auslöst, erklärt die WHO. Die Viren würden von den geimpften Menschen ausgeschieden – und wenn sie in Gemeinschaften ohne Immunität zirkulieren, können sie mutieren und zur Gefahr werden. Man spricht dann von „circulating vaccine-derived poliovirus (cVDPV)“.

Die Fallzahlen sind jedoch sehr gering. Laut den Daten der Polio Eradication Initiative gab es dieses Jahr weltweit 54 Fälle wilder Polio und 101 Fälle von Impfstoff-Polio. 

Die WHO schreibt zur Einordnung: „Seit 2000 wurden mehr als 10 Milliarden Impfstoff-Dosen an beinahe drei Milliarden Kinder weltweit verabreicht. In der Folge wurden mehr als 13 Millionen Polio-Fälle verhindert und die Krankheit um mehr als 99 Prozent reduziert. Während dieser Zeit gab es 24 Ausbrüche von Impfstoff-basierter Polio in 21 Ländern, mit weniger als 760 Infektionsfällen.“ 

Obwohl der orale Polio-Impfung (OPV) grundsätzlich sehr sicher und wirksam sei, werde er aber seit April 2016 schrittweise abgeschafft, „um jegliches Risiko durch vom Impfstoff abgeleitete Polioviren auszuschließen“.  

2. Behauptung: Durch Polio-Impfstoffe wurden 496.000 Kinder in Indien gelähmt

Laut Marbec-14 sind in Indien angeblich zwischen 2000 und 2017 insgesamt 496.000 Kinder durch Polio-Impfungen von Bill Gates gelähmt worden. Diese Behauptung kursiert auch aktuell auf Facebook (hier und hier) und wird tausendfach geteilt. In weiteren Blog-Artikeln (hier und hier) ist von einer „halben Million gelähmter Kinder“ durch Impfungen die Rede.

Die Zahl von 496.000 Kindern hat jedoch keine Verbindung zu Impfstoff-basierter Polio (VDPV). 

Indien führte ab 1995 Impfungen im Rahmes des „Pulse Polio“-Programms durch und wurde 2014 für „poliofrei“ erklärt. Laut Datenportal der WHO trat der letzte Fall wilder Polio in Indien 2011 auf. Die Daten zeigen auch, dass in Indien bisher insgesamt nur 17 Fälle von cVDPV dokumentiert wurden (alle 2009 und 2010). Dies bestätigte die WHO auch auf Nachfrage von CORRECTIV per E-Mail. 

Facebook-Post zu Bill Gates
Dieses Bild wird aktuell auf Facebook geteilt. (Screenshot und Schwärzungen: CORRECTIV)

Die Zahl 496.000 bezieht sich offenbar auf eine Studie von August 2018. Darin geht es um Fälle von Lähmungen ohne Nachweis von Polio (Nonpolio Acute Flaccid Paralysis, NPAFP). Zwischen 2000 und 2017 sei dies bei 640.000 Kindern in Indien registriert worden. Die Wissenschaftler merken an, diese Zahl liege 491.000 Fälle höher als normalerweise zu erwarten wäre. Sie spekulieren, ob es einen Zusammenhang mit den oralen Polio-Impfstoffen geben könnte, da die NPAFP-Zahlen seit 2012 wieder gesunken seien – parallel zu einer Reduzierung der Impfungen („Korrelation“). Die Autoren stellen die Frage, ob die Polio-Impfung vielleicht anfällig für andere Enteroviren machen könnte. Für einen Nachweis eines kausalen Zusammenhanges seien aber mehr Studien nötig. Man kann die Zahl 491.000 also nicht einfach Impfungen zuschreiben.

Tatsächlich zeigt das Datenportal der WHO einen Anstieg der registrierten AFP-Fälle von 2000 bis 2012. Der WHO zufolge ist diese Entwicklung auf eine genauere Erfassung der Fälle zurückzuführen. Acute Flaccid Paralysis (AFP) sei ein Symptom und könne verschiedene Ursachen haben, teilt man uns per E-Mail mit. 

Registrierte AFP-Fälle werden auf Polio und Impfstoff-Polio untersucht

AFP-Fälle werden in Indien seit dem Jahr 1997 systematisch erfasst und sind definiert als Lähmung mit unbekannter Ursache bei einem Kind unter 15 Jahren oder Lähmung bei einer älteren Person, bei der ein Verdacht auf Polio besteht (PDF, Seiten 12). Wird ein Fall registriert, werden Stuhlproben im Labor auf Polioviren hin analysiert. Dabei wird auch untersucht, ob Impfstoff-Polio nachweisbar ist (PDF, Seiten 29 und 31). 

So steht es auch auf der Webseite der Polio Eradication Initiative: Die AFP-Fälle werden im Labor auf wilde Polioviren, Sabin-Polioviren (von dem oralen Polioimpfstoff) und vaccine-derived poliovirus (VDPV) untersucht. Laut einer 2017 im Journal International Health veröffentlichten WHO-Studie werden in Indien zusätzlich zu den Stuhlproben auch Umweltproben genommen und auf die verschiedenen Arten von Polio untersucht. Nur ein sensibles AFP-Überwachungssystem mache die schnelle Entdeckung und Reaktion auf neue Ausbrüche von cVDPV möglich, um letztlich auszuschließen, dass Impfstoff-basierte Polioviren kursieren, schreiben die Forscher.

In einem Papier des WHO-Büros für Indien heißt es, 2012 seien 59.436 AFP-Fälle in Indien untersucht worden, weitere 53.421 im Jahr 2013 und 53.383 im Jahr 2014. „Nicht ein einziger AFP-Fall wurde positiv auf Polio getestet (…).“

Mögliche andere Ursachen von Lähmungen könnten laut Polio Eradication Initiative ein Trauma, eine Infektion mit anderen Enteroviren oder ein Schlangenbiss sein. „Die große Mehrheit der AFP-Fälle wird nicht durch Polio verursacht“, schreibt uns die WHO per E-Mail. Als Indien sich dem Status „poliofrei“ näherte, sei die Definition von AFP breiter gefasst worden, um sicherzugehen, dass keine Polioviren mehr zirkulierten. „Als Resultat wurden viel mehr AFP-Fälle klassifiziert.“ Darauf sei der Anstieg der gemeldeten  Fälle in Indien zurückzuführen.

Auszug aus der E-Mail der WHO an CORRECTIV
Auszug aus der E-Mail der WHO an CORRECTIV. (Screenshot: CORRECTIV)

3. Behauptung: Indien habe Bill Gates wegen der Polio-Impfschäden „rausgeworfen“

Nutzer auf Facebook behaupten weiterhin, die indische Regierung habe Gates wegen der Impfschäden aufgefordert, das Land zu verlassen. Marbec-14 schreibt, man habe Gates 2017 aus dem „Nationalen Beirat Indiens (NAB)“ vertrieben und danach seien die Lähmungsraten zurückgegangen. Das ist falsch. 

Erstens gibt es in Indien keinen Nationalen Beirat, der etwas mit Impfungen zu tun hat. Hinter dem Kürzel NAB steckt das National Advisory Board, ein Gremium, das die Umsetzung eines Programms für zivilgesellschaftliche Beteiligung überwacht. Gemeint ist in den Beiträgen der Impfkritiker also wohl die für Impfungen zuständige National Technical Advisory Group on Immunization (NTAGI). Laut einer Pressemitteilung des indischen Gesundheitsministeriums von 2017 gibt es aber keine finanzielle Verbindung zwischen der NTAGI und der Stiftung von Bill Gates.

Und zweitens zeigt ein Blick in das Datenportal der WHO, dass die Fälle von Impfstoff-basierter Polio in Indien seit 2011 bei Null lagen. Die AFP-Fälle dagegen sinken bereits seit 2012.

Was aber steckt hinter der Behauptung, Indien habe Bill Gates 2017 „rausgeworfen“? 

Robert Kennedy nennt in seinem Artikel als angeblichen Beleg einen Bericht der Seite Business Standard vom 8. Februar 2017. Darin wird behauptet, die indische Regierung habe die „finanziellen Verbindungen“ zwischen Gates’ Stiftung und der NTAGI „gekappt“. 

Das indische Gesundheitsministerium hat jedoch in seiner Pressemitteilung klargestellt, dass das nicht stimmt und die Medienberichte irreführend seien. 

Tatsächlich werde die Arbeit eines anderen Gremiums, der Immunisation Technical Support Unit (ITSU), unter anderem von der Gates-Stiftung gefördert. Bill Gates wurde aber auch dort nicht „rausgeworfen“ – es wurde lediglich das Sekretariat der NTAGI, das bisher bei der ITSU angesiedelt war, zu einer anderen Gesundheitsbehörde verschoben (dem National Institute of Health & Family Welfare).

Darüber berichteten auch die Seite Health Issues India und die Nachrichtenagentur Reuters. In den Artikeln wird vermutet, dass die Änderung geschah, um ausländischen Einfluss auf die indische Politik zu verringern. Um Nebenwirkungen von Impfungen geht es aber in keinem der Berichte. Das Gesundheitsministerium stellt in seiner Pressemitteilung klar: „Die Bill & Melinda Gates Foundation wird weiterhin mit dem Gesundheitsministerium kooperieren und es unterstützen.“

4. Behauptung: Bill Gates habe 23.000 Mädchen in Indien gegen HPV impfen lassen. 1.200 hätten schwere Nebenwirkungen bekommen, sieben seien gestorben

Diese Behauptungen sind unbelegt. Faktenchecker von Leadstories, Snopes und Politifact haben sie bereits in der Vergangenheit überprüft.

HPV steht für Humane Papillomviren. Sie können Krebs, insbesondere Gebärmutterhalskrebs bei Frauen, auslösen. In Deutschland wird die Impfung seit 2007 für Mädchen zwischen 9 und 14 Jahren empfohlen, und seit 2018 auch für Jungen. 

Bis April 2010 wurden an zwei Orten in Indien im Rahmen einer Studie 23.500 Mädchen von der Organisation „Path“ gegen HPV geimpft. Die Impfstoffe wurden laut „Path“ von Pharmakonzernen gespendet. Das globale Projekt für HPV-Impfungen wurde von der Bill & Melinda Gates Stiftung unterstützt (PDF, Seite 4). 2010 wurde die Studie von der indischen Regierung vorsorglich gestoppt, aufgrund von Medienberichten über mögliche Nebenwirkungen. 

Ein Untersuchungskomitee veröffentlichte 2011 einen Bericht zu dem Fall. Das Dokument ist nicht mehr online, wird aber in einem zweiten Bericht des indischen Parlaments von 2013 zitiert. 

Keine Belege für Verbindung der Todesfälle zur Impfung

Demnach kam man 2011 zu dem Schluss, dass die sieben Todesfälle keine nachweisbare Verbindung zu der Impfung hatten. Drei seien innerhalb von 30 Tagen nach der letzten Impfdosis erfolgt, vier erst später (zwischen 45 und 97 Tage danach). Bei den ersten drei Fällen sei ein Fieber unbekannter Ursache aufgetreten, das auch mit Malaria oder einem Schlangenbiss in Verbindung stehen könne. Bei zwei anderen Mädchen sei Gift im Magen nachgewiesen worden, eines sei ertrunken und eines nach einer Krankheit von nur wenigen Stunden gestorben. Es gebe kein gemeinsames Muster der Fälle (PDF, Seite 38-39). 

Diese Informationen schickte uns „Path“ auch auf unsere Presseanfrage hin.

Auszug aus der E-Mail von „Path“.
Auszug aus der E-Mail von „Path“. (Screenshot: CORRECTIV)

Der zweite Bericht aus Indien von 2013 kritisierte jedoch die erste Untersuchung; man könne nicht völlig ausschließen, dass es eine Verbindung zwischen HPV-Impfungen und Suiziden gebe (PDF, Seite 6). Für diese Spekulation gibt es jedoch keine Belege. 

Insgesamt wurde die Durchführung des Projektes von „Path“ in dem zweiten Untersuchungsbericht scharf kritisiert. Die Sache mit der Studie sei dubios abgelaufen, es habe nicht genügend Kontrollen gegeben und die Eltern der Mädchen seien nicht ausreichend informiert worden (PDF, Seite 20-24). Es habe auch Verzögerungen und keine einheitlichen Standards bei der Erfassung von möglichen Todesfällen oder Nebenwirkungen gegeben (Seite 12-13). Über diese Kritik berichtete auch das Magazin Science

Fazit: Es gibt keine Belege, dass es damals sieben Todesfälle durch HPV-Impfstoffe in Indien gab. Die angeblich 1.200 Fälle „schwerer Nebenwirkungen“ haben wir in keiner Quelle gefunden.

5. Behauptung: Der Fall der HPV-Impfungen werde vor dem Obersten Gerichtshof Indiens verhandelt 

Diese Behauptung ist größtenteils richtig – allerdings fehlt der ganze Kontext. Auf unsere Presseanfrage antwortete „Path“, es gebe tatsächlich ein laufendes Verfahren vor dem Supreme Court. Es handele sich um eine sogenannte Rechtsstreitigkeit von öffentlichem Interesse (Public Interest Litigation), aber nicht nur gegen „Path“, sondern auch gegen den indischen Staat selbst. Man sehe die Vorwürfe als haltlos an.

Wir fanden den Fall in der Datenbank auf der Webseite des Supreme Court; er ist offenbar seit Jahren offen (Fallnummer 558, Jahr 2012).  

Public Interest Litigation
Public Interest Litigation in der Datenbank des Supreme Court of India. (Screenshot: CORRECTIV)

Auf der Webseite des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) ist mehr darüber zu lesen. Dort ist erklärt, dass eine Public Interest Litigation keine normale Klage ist. Sie ist vielmehr eine Möglichkeit, dass jeder Bürger in Indien einen Fall von möglichen Menschenrechtsverletzungen – auch wenn sie ihn nicht selbst betreffen – vor Gericht bringen kann, damit sich die Öffentlichkeit damit befasst.

Die Petition stammt von drei Frauen-Organisationen. Sie richtet sich unter anderem gegen die indische Regierung beziehungsweise das Gesundheitsministerium, einige indische Bundesstaaten, die Organisation „Path“ und den Pharmakonzern Glaxosmithkline. Bill Gates oder seine Stiftung werden nicht erwähnt.

Den Inhalt der Petition konnte CORRECTIV nicht einsehen, doch beim ECCHR steht, es gehe darum, dass die Betroffenen nicht ausreichend informiert worden seien, um freiwillig der Impfung zustimmen zu können, und um mangelhafte medizinische Überwachung. Es geht also um die Art, wie die Studie durchgeführt wurde. Dem ECCHR zufolge wurden als Folge der Rechtsstreitigkeit vor dem Supreme Court bereits einige Gesetze zu klinischen Studien in Indien geändert. 

6. Behauptung: An einem von Gates finanzierten Malaria-Impfstoff seien in Afrika 151 Kinder gestorben. 1.048 von 5.049 Kindern hätten schwere Nebenwirkungen wie Lähmungen, Krampfanfälle und Fieberkrämpfe bekommen 

Die Behauptungen sind größtenteils falsch und die Zahlen aus dem Kontext gerissen.

Die Quelle ist offenbar eine Studie im New England Journal of Medicine von 2011. Demnach wurden von März 2009 bis Januar 2011 nicht 5.049, sondern insgesamt 10.307 afrikanische Kinder in zwei Alterskategorien (6 bis 12 Wochen und 5 bis 17 Monate alt) mit einem Impfstoff gegen Malaria geimpft. Weitere Kinder erhielten einen Vergleichsimpfstoff: Die jüngere Kontrollgruppe erhielt eine Impfung gegen Meningokokken und die ältere eine gegen Tollwut. Insgesamt wurden bei der Studie 15.460 Kinder geimpft. 

Die Studie wurde nach Angaben der Autoren unter anderem finanziert vom Pharmakonzern GlaxoSmithKline und der Organisation „Path“, die dafür Geld von der Bill & Melinda Gates Stiftung bekam.

In der älteren Altersgruppe seien „schwerwiegende unerwünschte Ereignisse“ (serious adverse events) bei 1.048 der 5.949 Kinder aufgetreten, die den Malaria-Impfstoff erhielten, heißt es in der Studie. Diese Zahlen wurden von Marbec-14 herausgegriffen, ohne kenntlich zu machen, dass es sich dabei nur um eine Teilgruppe handelte.

„Unerwünschte Ereignisse“ müssen nicht zwingend ein Resultat der Impfung sein. Die Aufzeichnungen fanden in einem Zeitraum von bis zu 18 Monaten nach der Impfung statt. 

In der Studie steht, dass insgesamt 13 Kinder Nebenwirkungen hatte, die als tatsächliche Folgen der Malaria-Impfung eingeschätzt wurden (Table 3): Zehn der älteren Kinder hätten 12 „unerwünschte Ereignisse“ berichtet. Darunter sieben Krampfanfälle, drei Fälle von Fieber, ein Fall von Myositis (Entzündung der Muskulatur) und eine direkte Reaktion auf die Injektion. Bei der jüngeren Gruppe waren drei Kinder von direkten Nebenwirkungen betroffen. 

Innerhalb von 30 Tagen nach der Impfung traten insgesamt bei 501 Kindern der Studie „unerwünschte Ereignisse“ auf. Sie sind jedoch nicht gestorben. 

Tabelle der unerwünschten Ereignisse bei der Studie
Tabelle der unerwünschten Ereignisse bei der Studie – aufgeschlüsselt nach Kategorien. (Screenshot: CORRECTIV)

In der Gruppe der Kinder, die den Malaria-Impfstoff erhielten, gab es insgesamt 105 Todesfälle (56 ältere und 49 jüngere). Diese sind der Studie zufolge aber nicht auf die Impfung zurückzuführen. 

Wie dem Anhang der Studie zu entnehmen ist, wurden die Todesfälle über einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten nach der Impfung aufgezeichnet. Die Todesursachen reichten von Ertrinken bis zu Unterernährung (Seite 53). Bei den jüngeren Kindern wurden die Todesfälle über bis zu 14 Monate nach der Impfung erfasst; auch hier gab es die verschiedensten Ursachen (Seite 55). 

7. Behauptung: Während der „MenAfriVac“-Kampagne seien tausende Kinder in Afrika gegen Meningitis geimpft worden. Zwischen 50 und 500 seien an Lähmungen erkrankt. 

„MenAfriVac“ ist ein Impfstoff gegen Meningokokken-A. Er wurde speziell für Afrika entwickelt, von der WHO gemeinsam mit der Organisation „Path“ und Unterstützung durch die Bill & Melinda Gates Stiftung. Klinische Studien seien seit 2005 durchgeführt worden und hätten die Sicherheit des Impfstoffes nachgewiesen, so die WHO

Meningitis (Hirnhautentzündung) kann durch verschiedene Arten von Meningokokken (Bakterien) ausgelöst werden. Meningokokken der Gruppe A sind laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung für „ausgedehnte Epidemien“ in Afrika verantwortlich. 

Als Quelle für die Behauptung, „zwischen 50 und 500 Kinder“ seien in Afrika wegen der Impfung gelähmt worden, verweist Robert Kennedy auf einen Artikel der Webseite Laleva vom 7. Januar 2013. Darin steht, laut Medienberichten seien „mindestens 40“ von 500 Kindern, die in einem kleinen Dorf namens Gouro im Tschad geimpft wurden, von Lähmungen betroffen. 

Wie die Seite Medical Xpress am 22. Januar 2013 berichtete, teilte jedoch die Regierung im Tschad mit, ein Team von internationalen Experten habe die Fälle untersucht und keine Verbindung zu der Meningokokken-Impfung feststellen können. Der Zustand der Kinder sei außerdem nicht bedenklich, sie würden „normale Leben“ führen. 

Eine Pressemitteilung dazu konnten wir nicht finden, jedoch teilte das Gesundheitsministerium des Tschad auf seiner Webseite 2019 mit, man beurteile die „MenAfriVac“-Kampagnen 2011 und 2012 positiv: Seitdem habe man im Land keine Meningitis-A-Epidemie mehr erlebt.

Nach Angaben von „Path“ wurden von 2010 bis 2018 bereits mehr als 284 Millionen Menschen mit „MenAfriVac“ geimpft. Laut einer Auswertung der registrierten Meningitis-Fälle in neun afrikanischen Ländern von 2010 bis 2015, die in The Lancet veröffentlicht wurde, gibt es in geimpften Gemeinschaften 57 Prozent weniger Meningitis. Wurden alle Mitglieder der Gemeinschaft geimpft, reduzierten sich die Fälle sogar um mehr als 99 Prozent. Die Einführung von „MenAfriVac“ habe also zu einer starken Reduktion der Meningitis-Fälle in Afrika geführt.

Fazit: Die Behauptung ist unbelegt.

8. Behauptung: Bill Gates wolle die Weltbevölkerung durch Impfungen reduzieren, deshalb werde eine „Sterilitätsformel“ in Impfstoffe integriert  

CORRECTIV hat bereits 2017 in einem Faktencheck die Behauptung widerlegt, Bill Gates habe gesagt, Impfen sei „die beste Art der Bevölkerungsreduktion“. Diese Falschinformation ist also viele Jahre alt. 

In dem Artikel von Marbec-14 wird behauptet, Gates sei 2014 beschuldigt worden, „Millionen Frauen“ in Kenia mit einem gefälschten Tetanus-Impfstoff chemisch sterilisiert zu haben. Labore hätten die „Sterilitätsformel“ in Impfstoffen nachgewiesen. Die WHO habe zugegeben, seit über einem Jahrzehnt „Sterilitätsimpfstoffe“ entwickelt zu haben. 

Für keine diese Behauptungen gibt es Belege. Auf Anfrage teilte die Bill & Melinda Gates Stiftung uns mit, sie seien falsch, und auch die WHO dementiert 

E-Mail der Bill Gates Stiftung
Auszug aus der E-Mail der Bill & Melinda Gates Foundation. (Screenshot: CORRECTIV)

Als angeblicher Beleg dient ein wissenschaftlicher Artikel, der 2017 erschienen ist. Die katholische Kirche und die Kenya Catholic Doctors Association hätten der WHO vorgeworfen, diesen Impfstoff heimlich einzusetzen, heißt es dort. Labore in Nairobi hätten einige Ampullen von Tetenus-Impfstoffen getestet und ein Hormon namens HCG nachgewiesen, dass in Kombination mit dem Impfstoff angeblich unfruchtbar machen könne.

Der Artikel ist spekulativ: Es heißt darin, katholische Ärzte hätten sechs Ampullen „sichergestellt“ und bei dreien das Hormon nachgewiesen. In 52 Ampullen dagegen, von denen die WHO „behauptet“ hätte, sie seien für den Impfstoff genutzt worden, sei das Hormon nicht gefunden worden. Nirgends in den Artikel ist die Rede davon, dass tatsächlich Frauen unfruchtbar wurden, eine Untersuchung wurde nicht durchgeführt. Zudem ist einer der Autoren selbst Mitglied der Kenya Catholic Doctors Association.  

In einer Pressemitteilung teilte die WHO im November 2014 mit, man sei besorgt über Misinformation über die Tetanus-Impfungen. Der Impfstoff sei sicher. „Es ist kein HCG-Hormon in Tetanus-Impfstoffen.“ 

Bereits in einem Bericht von 1996 schrieb die WHO über solche Behauptungen; sie kämen von Abtreibungsgegnern in verschiedenen Ländern. Auslöser seien Berichte 1994 über Studien in Indien gewesen. Sie befassten sich mit einem Impfstoff mit dem Hormon HCG, der als Verhütungsmittel für ein bis zwei Jahre dienen könnte. 

Auf den Philippinen hätten Abtreibungsgegner dann behauptet, das Hormon in Tetanus-Impfungen nachgewiesen zu haben. Es seien jedoch Impfstoffe von sieben verschiedenen Herstellern von der US Food and Drug Administration (FDA), der niederländischen Regierung und Laboren in verschiedenen Ländern untersucht worden – und die Ergebnisse seien alle negativ gewesen, so die WHO. „Die WHO und Unicef haben klargestellt, dass sie strikt gegen die Kombination von irgendeinem Impfstoff mit einem Anti-Fruchtbarkeits-Impfstoff sind.“ (PDF, Seite 60).

Fazit: Die Behauptung ist falsch. 

9. Behauptung: Der DTP-Impfstoff töte im Afrika mehr Kinder als die Krankheiten, vor denen er schützt 

Als angeblicher Beleg für diese Behauptung dient eine Studie, die aus dem Jahr 2017 stammen soll. Es geht darin um einen Impfstoff gegen Diphtherie, Tetanus und Pertussis (Keuchhusten), kurz DTP. Die geimpften Mädchen hätten eine zehnmal höhere Sterblichkeitsrate als ungeimpfte, wird behauptet. 

Die Studie ist jedoch nicht von 2017, auch wenn sie in dem Jahr veröffentlicht wurde. Sie behandelt den Einsatz von DTP-Impfstoffen und oralen Polio-Impfstoffen in einer urbanen Gesellschaft in Guinea-Bissau in den frühen 1980er-Jahren. Man habe herausgefunden, dass die gegen DTP geimpften Kinder eine höhere Sterblichkeitsrate hatten. Die Autoren schlussfolgern, dass die Impfung die Kinder zwar vor den drei Krankheiten schütze, aber sie womöglich anfälliger für andere Infektionen mache. 

Die Studie belegt also nicht, dass die Impfung die Todesursache war. Marbec-14 schreibt: „Gates und die WHO haben sich geweigert, den tödlichen Impfstoff zurückzurufen, den die WHO jährlich Millionen von afrikanischen Kindern aufzwingt.“ Die Stiftung der Familie Gates kann mit dem Impfstoff aus den frühen 80er-Jahren aber gar nichts zu tun haben, denn sie wurde erst 1994 gegründet

Die Frage, ob die DTP-Impfung sich auf die Lebenserwartung von Kindern auswirkt, ist nach unserer Recherche unbelegt. Die WHO widerspricht dem Ergebnis einer ähnlichen Folgestudie in Guinea-Bissau, die 2000 veröffentlicht wurde. In einem Statement dazu heißt es: „Eine Analyse der WHO-finanzierten Studien ist nun abgeschlossen. Alle Studien zeigen reduzierte Sterblichkeitsraten bei geimpften Kindern. Insbesondere zeigten die Studien keinen negativen Effekt des DTP-Impfstoffes und es wurde kein Unterschied zwischen Jungen und Mädchen entdeckt.“

Fazit

Die von uns geprüften Behauptungen über angebliche Schäden, die durch Impfstoffe von Bill Gates in Indien oder Afrika verursacht wurden, sind teilweise viele Jahre alt und werden von Impfgegnern im Netz stetig wiederholt. Bis auf eine Ausnahme sind alle Anschuldigungen unbelegt oder falsch. 

Update, 25. Mai 2020: Wir haben weitere Quellen zur Untersuchung von AFP-Fällen in Indien auf Impfstoff-Polio ergänzt. Zudem haben wir die erste Behauptung in zwei Behauptungen aufgeteilt, so dass der Faktencheck nun neun statt acht Punkte umfasst.