Faktencheck

Nein, die WHO und Unicef wollten nicht mit Tetanus-Impfungen Millionen Frauen in Kenia sterilisieren

Seit vielen Jahren hält sich im Netz hartnäckig das Gerücht, in Kenia seien 2014 Frauen gegen Tetanus geimpft worden – mit einem Impfstoff, der sie ohne ihr Wissen unfruchtbar machen sollte. An diesen Vorwürfen ist laut Untersuchungen und Aussagen von Behörden nichts dran.

von Alice Echtermann

Das falsche Gerücht, Tetanus-Impfungen könnten unfruchtbar machen, wird seit Jahren verbreitet.
Das falsche Gerücht, Tetanus-Impfungen könnten unfruchtbar machen, wird seit Jahren verbreitet. (Symbolbild: Unsplash/Zach Vessels)
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Falsch. WHO und Unicef wollten nicht mit Tetanus-Impfungen Millionen Frauen in Kenia sterilisieren.

Ein Artikel von 2014 wird aktuell wieder tausendfach auf Facebook geteilt: In einem Text der Webseite Katholisches.info wird behauptet, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das Kinderhilfswerk Unicef mehr als zwei Millionen Frauen mit einer „Geheimaktion“ unfruchtbar machen wollten. Sie hätten in Kenia ein Tetanus-Impfprogramm forciert, wobei der Impfstoff in Wahrheit „der Sterilisierung der Frauen dienen“ sollte. Der „Skandal” sei von der katholischen Kirche in Kenia und Ärzten aufgedeckt worden. Das Impfprogramm sei daraufhin gestoppt worden. Eine Million Frauen seien zuvor aber bereits dreimal geimpft worden.

Diese Vorwürfe sind falsch. Sie kursieren seit vielen Jahr im Netz, obwohl sie wiederholt von Faktencheckern wie Snopes oder Africa-Check widerlegt wurden. Der Artikel von Katholisches.info wurde seit 2014 weder ergänzt noch korrigiert. Laut dem Analysetool Crowdtangle wurde er im April 2020 wieder verstärkt auf Facebook geteilt. CORRECTIV.Faktencheck hat bereits zu diesem Thema recherchiert. Kürzlich wurde die falsche Behauptung zum Beispiel auch von der Organisation „Ärzte für Aufklärung“ verbreitet.  

Der Artikel von Katholisches.info nennt oder verlinkt keine Quellen für die Behauptungen, sondern zitiert vor allem Stephen Karanja. Er ist der Mitautor eines wissenschaftlichen Artikels, der 2017 erschienen ist und die genannten Vorwürfe wiederholt. Zudem ist er laut den Autorenangaben in dem Artikel Mitglied der Kenya Catholic Doctors Association, die den angeblichen Skandal 2014 aufgedeckt haben will

Katholische Ärzte in Kenia ließen sechs Impfstoff-Ampullen untersuchen

In dem wissenschaftlichen Artikel von 2017 heißt es, katholische Ärzte hätten in Kenia sechs Impfstoff-Ampullen „sichergestellt“ und bei dreien das Hormon HCG nachgewiesen. Dies ist ein Hormon, das während der Schwangerschaft gebildet wird. In Kombination mit dem Tetanus-Impfstoff könne es angeblich unfruchtbar machen, wird behauptet. 

Nachdem die katholischen Ärzte ihre Kritik äußerten, wurden laut dem Artikel 52 weitere Ampullen im Rahmen einer offiziellen Untersuchung analysiert – mit negativem Ergebnis. Die Autoren schreiben, die WHO habe „behauptet“, diese 52 Ampullen seien für den Impfstoff genutzt worden und deuten damit an, dass dem nicht so war. Sie nennen für diese Unterstellung aber keine Belege. 

In dem Artikel ist nicht die Rede davon, dass tatsächlich Frauen in Kenia unfruchtbar wurden; eine Untersuchung der geimpften Frauen wurde von den Autoren nicht durchgeführt. 

Laborleiter teilten schon 2014 mit: Untersuchungen im Auftrag der Kirche waren fehlerhaft

Wie die Faktenchecker von Africa-Check 2017 berichteten, bezeichneten bereits 2014 zwei der Labore, die die katholischen Ärzte mit der Untersuchung der ersten Proben beauftragt hatten, ihre eigenen Analysen als fehlerhaft. Die Kirche habe die Ergebnisse falsch interpretiert, sagte der Leiter eines der Labore, Ahmed Kalebi, laut einem Medienbericht. Die Proben seien seinem Labor als menschliches Gewebe präsentiert worden, nicht als Impfstoff – daher seien unpassende Testmethoden angewendet worden. 

Ähnlich äußerte sich ein weiterer Laborleiter, Andrew Gachii, laut einem Bericht von Business Daily 2017: Die ersten Proben seien kontaminiert gewesen, die Testmethode sei falsch und das Ergebnis daher nicht zuverlässig gewesen.

WHO und Kenias Gesundheitsministerium widersprachen der Behauptung, der Tetanus-Impfstoff könne schaden

In einer Pressemitteilung schrieb die WHO 2014, man sei besorgt über Misinformation über die Tetanus-Impfungen. Der Impfstoff sei sicher. „Es ist kein HCG-Hormon in Tetanus-Impfstoffen.“ Der Impfstoff sei seit 40 Jahren im Einsatz, habe zu einer Verbesserung der Überlebensrate von Neugeborenen geführt, und es gebe keine Anzeichen, dass die Impfung Frauen oder Föten schade. Menschen jeden Alters könnten Tetanus bekommen, doch es sei besonders gefährlich bei neugeborenen Babys. Die Infektion könne verhindert werden, indem man Frauen im gebärfähigen Alter gegen Tetanus impfe. Die Impfung schütze durch den Transfer der Antikörper auch das Kind. 

Auch das kenianische Gesundheitsministerium widersprach den Anschuldigungen in einer Pressemitteilung im Jahr 2017. Man habe nach den Vorwürfen der Kenya Conference of Catholic Bishops (KCCB) ein Expertenkomitee eingerichtet, um die Tetanus-Impfstoffe zu testen. In dem Komitee seien das Gesundheitsministerium, Academia (eine Plattform für Wissenschaftler in Kenia) und Vertreter der KCCB vertreten gewesen. Es habe Impfstoff-Proben gesammelt, sie untersuchen lassen und festgestellt, dass sie sicher und frei von Verunreinigungen seien. 

Nach anschließenden Treffen zwischen dem Ministerium und dem KCCB seien die Tetanus-Impfstoffe für unbedenklich befunden worden. 2016 und 2017 seien weitere erfolgreiche Impfkampagnen durchgeführt worden. Es sei daher sehr bedauerlich, dass eine solche „nachlässige und irreführende Behauptung“ aufgestellt werde, „die der Öffentlichkeit Schaden zufügen soll, indem sie vom Zugang zu einer notwendigen medizinischen Intervention abhält“, schrieb das Ministerium.

Falsche Behauptungen über Tetanus-Impfungen sind viele Jahre alt

Auch Matercare International (ein Verband katholischer Gynäkologen und Geburtshelfer) schrieb in einer Pressemitteilung, die erste Untersuchung der Impfstoff-Proben in Kenia sei fragwürdig, da ungeeignete Testmethoden verwendet worden seien. Selbst wenn HCG vorhanden gewesen wäre, hätte die Dosierung nicht ausgereicht, um einen Verhütungseffekt zu haben. 

Und: „Wenn Tetanus-Impfungen, die an Millionen Frauen in vielen Ländern vergeben wurden, in der Lage wären, Unfruchtbarkeit hervorzurufen, gäbe es inzwischen reichlich demografische Daten, die das bestätigen. Wir wissen von keinen Daten dieser Art.“ 

Matercare merkte außerdem an, die Vorwürfe in Kenia seien fast identisch mit Behauptungen, die Mitte der 1990er Jahre in den Philippinen, Mexiko, Peru, Nicaragua und Tansania kursierten. „Es scheint, als sei hier eine unglückliche Wiederverwertung falscher Informationen geschehen.“

Die WHO erwähnte diese Anschuldigungen von Abtreibungsgegnern verschiedener Länder ebenfalls in einem Bericht von 1996. Und erklärte: „Die WHO und Unicef haben klargestellt, dass sie strikt gegen die Kombination von irgendeinem Impfstoff mit einem Anti-Fruchtbarkeits-Impfstoff sind.“ (PDF, Seite 60).