Faktencheck

Covid-19: Nein, AstraZeneca musste seinen Impfstoff nicht wegen Nebenwirkungen zurückziehen

Ein Proband einer Studie für einen potenziellen Impfstoff gegen Covid-19 habe schwere gesundheitliche Beschwerden erlitten, wird im Netz behauptet. Deswegen müsse der Hersteller AstraZeneca den Impfstoff zurückziehen. Das stimmt so nicht.

von Kathrin Wesolowski

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Der Impfstoffhersteller AstraZeneca hat die Studie lediglich pausiert und fährt nach einer Untersuchung mit seinen Tests für den Covid-19-Impfstoff fort. (Symbolfoto: Picture Alliance/PRO SHOTS)
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Teilweise falsch
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Teilweise falsch. Der Hersteller AstraZeneca muss seinen Impfstoff nicht zurückziehen. Ob die Erkrankung eines Probanden an einer Transversen Myelitis in Zusammenhang mit der Impfung steht, ist unbelegt.

Auf Facebook kursiert die Behauptung, der britisch-schwedische Covid-19-Impfstoffhersteller AstraZeneca müsse „einen Impfstoff zurückziehen“, da ein Proband einer Studie dadurch eine Transverse Myelitis, also eine Entzündung des Rückenmarks, erlitten habe. Der Proband sei damit das „erste Opfer der Menschenversuche“, schreibt der Facebook-Nutzer. Die New York Times und die Bild-Zeitung hätten darüber berichtet. 

Der Facebook-Beitrag wurde am 9. September veröffentlicht und mehr als 1.500 Mal geteilt. CORRECTIV hat die Behauptungen überprüft: Es stimmt nicht, dass AstraZeneca den Impfstoff zurückziehen muss. Ob die gesundheitlichen Beschwerden mit dem Impfstoff zusammenhängen, ist unbelegt.

Informationen aus dem Artikel der New York Times wurden ohne Kontext wiedergegeben

Als eine der Quellen der Behauptung im Facebook-Beitrag wird die New York Times genannt. „Die New York Times berichtet unter Berufung auf eine informierte Person, dass es sich bei dem gesundheitlichen Problem um Transverse Myelitis handele.“ Der Verfasser des Facebook-Beitrags bezieht sich vermutlich auf einen Artikel vom 8. September

Hier fehlt allerdings der Kontext: In dem Artikel der New York Times steht nämlich, dass AstraZeneca die Impfstoff-Tests „wegen eines schwerwiegenden Verdachts auf Nebenwirkungen bei einem Teilnehmer“ pausiere. „Es ist noch nicht bekannt, ob die Reaktion direkt durch den Impfstoff des Unternehmens verursacht wurde oder zufällig war“, schrieben die Autorinnen weiter.  

Tatsächlich wird in dem Artikel eine Insider-Person erwähnt. Diese soll gesagt haben, dass der freiwillige Proband aus dem Vereinigten Königreich komme und sich bei ihm eine Transverse Myelitis entwickelt hätte. 

Im Facebook-Beitrag wird auch behauptet, dass die Bild-Zeitung über den Vorfall berichtet habe. Das bezieht sich vermutlich auf einen Artikel vom 9. September. Die Überschrift „Nebenwirkungen bei einem der Teilnehmer: AstraZeneca muss Studie für Oxford-Impfstoff stoppen“ ist missverständlich. Im Text der Bild wird jedoch erklärt, dass der Hersteller noch überprüfe, ob die gesundheitlichen Beschwerden mit dem Impfstoff in Zusammenhang stehen.

AstraZeneca: Die Testpause ist eine Routinemaßnahme und freiwillig

In einer Pressemitteilung vom 9. September bestätigte AstraZeneca, dass bei einem Probanden im Vereinigten Königreich eine Krankheit aufgetreten sei. „In großen klinischen Studien treten Krankheiten zufällig auf und müssen unabhängig überprüft werden“, heißt es in der Mitteilung weiter. „Dies ist eine Routinemaßnahme, die immer dann durchgeführt werden muss, wenn in einer der Studien eine möglicherweise ungeklärte Krankheit vorliegt.“ Die Pause sei freiwillig erfolgt.

Inzwischen gibt es weitere Informationen zu dem Fall, die am 9. September, als der Facebook-Beitrag veröffentlicht wurde, noch nicht zur Verfügung standen. 

Am 12. September teilte AstraZeneca auf seiner Webseite mit, dass die Tests im Vereinigten Königreich wieder aufgenommen würden. Ein britisches Komitee habe seine Untersuchungen abgeschlossen und sei zu dem Ergebnis gekommen, das es sicher sei, mit den Tests fortzufahren. AstraZeneca sowie die Oxford Universitä, die Partnerin und Sponsorin des Unternehmens in Bezug auf die Covid-19-Impfung, könnten keine weiteren medizinischen Auskünfte geben. 

Am 14. beziehungsweise 17. September wurden die klinischen Studien auch in Brasilien und Südafrika wieder aufgenommen

Es ist unbelegt, ob der Impfstoff zu den gesundheitlichen Beschwerden führte

Die Oxford Universität und AstraZeneca reagierten nicht auf unsere Presseanfragen per E-Mail. Ob es sich bei der Transversen Myelitis um eine Nebenwirkung des Impfstoffs handelt, ist unklar. 

Medien berichteten zu dem Vorfall unterschiedlich. Die Tagesschau berichtete am 12. September, dass es sich bei dem Probanden um einen zuvor nicht diagnostizierten Fall von Multipler Sklerose, einer chronischen Erkrankung des zentralen Nervensystems, gehandelt habe. Eine akute Transverse Myelitis ist häufig auf auf Multiple Sklerose zurückzuführen. Die Krankheit habe nicht mit dem Impfstoff in Zusammenhang gestanden. Als Quelle beruft sich die Tagesschau auf die Oxford Universität.

Es handelt sich dabei jedoch mutmaßlich um eine Verwechslung mit einem früheren Fall. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete am 9. September, dass der Fall der Multiplen Sklerose bereits im Juli bei einem anderen Probanden aufgetreten sei. Auch damals sei die Impfstoff-Studie von AstraZeneca kurzzeitig pausiert worden. Einen Zusammenhang mit dem Impfstoff gebe es dabei aber nicht. 

Das berichteten unter anderem auch die Frankfurter Rundschau und die Süddeutsche Zeitung. Die SZ schreibt, bei der ersten Person im Juli habe es sich um einen Mann gehandelt. Die zweite Person im September sei eine Frau.

In einer am 11. September veröffentlichten Patienteninformation auf der Impfstoff-Webseite der Oxford Universität (PDF Seite 12) heißt es ebenfalls, es habe Fälle gegeben, in denen die Probanden „unerklärliche neurologische Symptome“ gezeigt hätten. Eine Verbindung zu der Impfung sei aber unwahrscheinlich oder unbelegt.

Der Impfstoff ist ein Vektor-Impfstoff wie beispielsweise Impfstoffe gegen Ebola

AstraZeneca und die Oxford Universität befinden sich mit ihrer Forschung zu einem Impfstoff gegen Covid-19 derzeit in Testphase drei, also der abschließenden klinischen Testphase. In dieser wird der Impfstoff an zahlreichen Probanden getestet, um mögliche Nebenwirkungen zu erkennen oder ausschließen zu können. 

Bei dem Impfstoff handelt es sich um einen sogenannten Vektor-Impfstoff. Bei solchen Impfstoffen wird laut Paul-Ehrlich-Institut (PEI) genetisches Material von SARS-CoV-2 in ein harmloses Trägervirus eingebaut (PDF, Seite 2). Es wird dem Menschen gespritzt und gelangt so in die Zellen. Die Zellen produzieren dann für das Coronavirus typische Proteine – und der Körper bildet dagegen Abwehrstoffe. Wenn der Mensch später in Kontakt mit dem SARS-CoV-2-Erreger kommt, ist er bereits geschützt. Vektor-Impfstoffe gibt es laut PEI bereits gegen Ebola oder das Dengue-Fieber. Im Falle von AstraZeneca nutzt der Impfstoff eine abgeschwächte Version eines Erkältungsvirus, das bei Schimpansen Infektionen verursacht, als Träger. 

Fazit: Es stimmt nicht, dass der Impfstoffhersteller AstraZeneca seinen Covid-19-Impfstoff zurückziehen musste. Das Unternehmen hat die Studie kurzzeitig pausiert, setzt seine Tests nun aber in der dritten Studienphase fort. Es gibt bisher keine Belege, dass der Impfstoff bei einem Probanden in Großbritannien eine Transverse Myelitis ausgelöst hat.