Corona: Irreführende Behauptungen über Todesfall-Statistik in Schweden
Immer wieder wird der Sonderweg Schwedens in der Corona-Pandemie gelobt oder kritisiert. Dort gebe es „kaum Einschränkungen“ und trotzdem „null Todesfälle“ argumentieren derzeit Nutzer auf Facebook. Sie lassen jedoch sämtlichen Kontext aus. Auch in Schweden gibt es Einschränkungen des öffentlichen Lebens – und es sind zahlreiche Menschen gestorben.
Auf Facebook kursiert ein Screenshot einer Corona-Todesfall-Statistik für Schweden. Zwei Beiträge damit wurden am 26. Oktober veröffentlicht und mehrere tausend Male geteilt (hier und hier). Rot eingekreist ist in der Grafik sowohl das Wort „Todesfälle“, als auch der 19. Oktober. Über dem Datum steht „0“. Daneben steht in Rot noch einmal: „Todesfälle: Null“.
In dem Text zu dem Bild wird außerdem behauptet, in Schweden habe es keine Maskenpflicht, keinen Lockdown und „fast keine Einschränkungen“ gegeben. Es wird also suggeriert, dass derartige Maßnahmen überflüssig seien, da es in Schweden offenbar auch ohne sie „null Todesfälle“ gebe.
Diese Darstellung ist jedoch irreführend, es fehlt sämtlicher relevanter Kontext. Es sterben in Schweden auch aktuell Menschen an Covid-19. Das Land hat zwar keine Maskenpflicht und keinen „Lockdown“ eingeführt, aber Einschränkungen des öffentlichen Lebens gab es auch dort. Erst kürzlich hat Schweden in manchen Regionen strengere Corona-Regeln eingeführt.
Als Quelle im Screenshot ist „Google ‘Schweden Corona Zahlen’ am 21.10.2020“ angegeben. Googelt man diese Begriffe, zeigt die Suchmaschine eine Grafik ganz oben in den Suchergebnissen an. Zu sehen sind die täglichen Fallzahlen für Schweden, auch die täglichen Todesfälle lassen sich anzeigen. Für den 19. Oktober werden dort aber nicht null Todesfälle angezeigt, sondern drei (Stand: 29. Oktober 2020).
Im offiziellen Dashboard Schwedens werden für den 19. Oktober ebenfalls drei Todesfälle angezeigt (Stand: 29. Oktober 2020).
Eine mögliche Erklärung für den Unterschied könnten Meldeverzögerungen sein. Für einen früheren Faktencheck hatte eine Sprecherin der schwedischen Gesundheitsbehörde uns bereits erklärt, dass im Dashboard die Todesfälle stets dem Sterbedatum zugeordnet werden, nicht dem Meldedatum.
Es gab aber durchaus Tage ohne Todesfälle in Schweden. Der Dashboard-Kurve zufolge waren das zum Beispiel der 30. Juli, 16. August und 4. und 5. September.
Covid-19-Todesfälle in Schweden seit dem Sommer auf niedrigem Niveau
Der 19. Oktober scheint in dem Screenshot, der auf Facebook geteilt wird, bewusst ausgewählt worden zu sein, da die Google-Kurve an den anderen Tagen im Oktober – auch am 21. Oktober, dem Datum in der Quellenangabe – mindestens einen Todesfall anzeigt. Durch die rote Hervorhebung und den Kommentar „Todesfälle: Null“ wird der Eindruck erzeugt, es gebe gar keine Covid-19-Todesfälle mehr in Schweden. Das ist nicht richtig. Die täglichen Todesfälle sind allerdings seit Wochen sehr niedrig, seit dem 28. Juli liegen sie zwischen null und fünf pro Tag.
Insgesamt sind in Schweden laut den offiziellen Zahlen der schwedischen Regierung bisher mehr als 5.900 Menschen an Covid-19 gestorben – der Großteil davon zwischen März und Juli. Laut der schwedischen Statistikbehörde Statistics Sweden gab es eine hohe Übersterblichkeit von April bis Juni – das bedeutet, es starben viel mehr Menschen als durchschnittlich im selben Zeitraum der Vorjahre 2015 bis 2019. Im dritten Quartal 2020 (Juli bis September) starben dann allerdings etwas weniger Menschen als im Durchschnitt (Mortalitätsdefizit).
Ob die schwedische Corona-Strategie langfristig besser oder schlechter ist als die anderer Länder, ist unklar. Bezogen auf die Einwohnerzahl sind in Schweden vergleichsweise mehr Menschen an Covid-19 gestorben als in Deutschland: In Schweden gab es laut WHO 587,47 Todesfälle pro eine Million Einwohner, in Deutschland waren es 120,02 pro eine Million (Stand 27. Oktober).
In Schweden gibt es keine Maskenpflicht und keinen „Lockdown“, aber Einschränkungen
Es stimmt, dass Schweden in der Pandemie bisher weniger strenge Maßnahmen ergriffen hat als viele andere Länder – das Land wird dafür seit Monaten teils gelobt, aber auch von vielen kritisiert.
Es gibt in Schweden bisher keine Maskenpflicht. Die nationale Gesundheitsbehörde schreibt auf ihrer Webseite, die breite Verwendung von Masken könne ihrer Ansicht nach ein falsches Sicherheitsgefühl vermitteln. Sie empfiehlt lediglich das Tragen in manchen Situationen, wie einem „Besuch beim Optiker“ oder in überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln.
Schulen wurden, wie auf der Webseite des Schwedischen Gesundheitsamts zu lesen ist, nicht generell geschlossen. Im Frühjahr 2020 führten aber alle weiterführenden Schulen in Schweden Fernunterricht durch. Aktuell empfiehlt die Gesundheitsbehörde, dies je nach Lage zu entscheiden. Es besteht jedoch für Schulen keine Pflicht, Fernunterricht anzubieten. Es gelten vor allem vorbeugende Maßnahmen wie Abstand, Hygiene und das Vermeiden größerer Versammlungen (in Grundschulen und weiterführenden Schulen).
Bars und Restaurants blieben ebenfalls geöffnet, es gelten hier jedoch Auflagen des Gesundheitsamtes wie das Einhalten eines Abstands von einem Meter zwischen den Gästen. Laut Medienberichten wurden zum Beispiel im April Restaurants in Stockholm geschlossen, weil sie sich nicht an die Regeln hielten.
Schweden setzt seit Oktober teils auf strengere Regeln
Trotz eines Sonderwegs in manchen Bereichen steht fest: Es gibt auch in Schweden Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Es gilt seit März ein Einreiseverbot aus Drittstaaten. Öffentliche Veranstaltungen und Versammlungen mit mehr als 50 Personen sind seit Ende März verboten. Das betrifft laut Gesundheitsbehörde Demonstrationen, Vorträge, Theateraufführungen, Sportwettbewerbe, Tanzaufführungen, Märkte und Messen.
Seit Ende März wurde speziell Menschen über 70 Jahren in Schweden geraten, ihre Kontakte stark zu reduzieren. Sie sollten sich weitgehend isolieren und keine Geschäfte mehr besuchen oder öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Diese Regelung habe jedoch zu Problemen geführt, teilte die Gesundheitsbehörde am 22.Oktober mit.
Eine Auswertung habe gezeigt, dass diese Maßnahmen zwar wirkten, aber als Diskriminierung älterer Menschen aufgefasst wurden, da diese auch an digitalen Aktivitäten kaum teilnehmen konnten. Vermehrte Ängste und ein aufgestauter Pflegebedarf seien zudem die Folge gewesen. Es sei nicht sinnvoll, der Risikogruppe allein eine so große Verantwortung aufzuerlegen, wenn es solche negativen Auswirkungen gebe. Deshalb gelten dieselben allgemeinen Ratschläge nun seit Mitte Oktober für alle schwedischen Bürgerinnen und Bürger.
Im Oktober wurden zudem erstmals im Landkreis Uppsala (20. Oktober) und Landkreis Skåne (27.Oktober) zeitlich begrenzt strengere Corona-Regeln eingeführt. Alle Bewohner dort sollen möglichst keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutzen und sich nur noch mit Personen ihres eigenen Haushalts treffen. Es gelten auch strengere Richtlinien für Geschäfte oder Sportvereine. Die Zunahme der Verbreitung von Covid-19 in diesen Regionen sei „besorgniserregend“, heißt es in beiden Fällen zur Begründung.
Fazit: Es ist bisher nicht eindeutig, ob Schwedens Weg durch die Pandemie besser oder schlechter ist als der anderer Länder. Der Beitrag auf Facebook mit der Kurve der Todesfälle pauschalisiert jedoch und lässt sämtlichen relevanten Kontext aus. So erweckt er den falschen Eindruck, das Land habe nahezu keine Maßnahmen ergriffen und trotzdem keine Todesfälle. Diese Darstellung führt in die Irre.
Redigatur: Uschi Jonas, Bianca Hoffmann