Nein, Singapur hat Grippeimpfungen nicht eingestellt, weil angeblich Menschen in Südkorea daran starben
Aktuell wird in Blogs und Facebook-Beiträgen behauptet, Singapur habe seine Grippeimpfungen aufgrund von mehreren Todesfällen in Südkorea eingestellt. Es fehlt relevanter Kontext: Singapur ordnete im Oktober eine Untersuchung an, befand die zwei Impfstoffe für sicher und setzte die Impfungen bereits eine Woche später wieder fort.
Am 26. November veröffentlichte die Webseite Uncut News einen Bericht mit dem Titel: „Mysteriösen Todesfälle: Nach Südkorea stellt nun auch Singapur das Impfungen ein [sic!]“. Auf Facebook verbreiteten sich wenige Tage später Screenshots eines ganz ähnlichen Berichts (hier und hier). Dieser Artikel trägt den Titel „Singapur hört nach mysteriösen Todesfällen auf zu impfen“ und stammt vermutlich von einer niederländischen Webseite namens Joop, wo er jedoch bereits am 26. Oktober veröffentlicht worden war.
Den Artikel von Joop teilte auch Markus Haintz von „Anwälte für Aufklärung“ am 29. November auf Telegram. Es existiert zudem ein beinahe identischer Beitrag über die Grippe-Impfungen in Singapur auf der Webseite DDB-News (26. November).
Insbesondere die tausendfach geteilten Screenshots auf Facebook sind irreführend, da sie nur die Überschrift und wenige Sätze am Textanfang zeigen. So entsteht der falsche Eindruck, es handele sich um eine aktuelle Meldung und die Impfungen seien nachweislich die Todesursache gewesen. Das stimmt nicht.
Die Meldung über Singapur ist veraltet
Es wurden mehrere Todesfälle in Südkorea untersucht, weil Menschen kurz nach einer Grippeimpfung gestorben seien. Die Impfungen in Südkorea wurden jedoch nicht ausgesetzt, weil laut Behörden kein kausaler Zusammenhang zur Impfung nachweisbar war. Singapur pausierte zwar seine Impfungen im Oktober als Reaktion auf die Meldungen kurzzeitig, setzte sie aber schon ab dem 31. Oktober wieder fort.
Die Irreführung besteht zum großen Teil aus der Tatsache, dass die Meldung Ende November verbreitet wurde, als sie bereits einen Monat alt war. Ursprünglich berichtete die South China Morning Post am 26. Oktober über den Vorgang. Es ging um zwei Grippeimpfstoffe: SkyCellflu Quadrivalent and VaxigripTetra. In dem Artikel wird erwähnt, dass Singapur die Impfungen mit diesen Impfstoffen vorsorglich pausierte, weil aus Südkorea 48 Todesfälle mit zeitlichem Zusammenhang zu den Impfungen gemeldet worden waren. In Singapur selbst seien keine Todesfälle bekannt. Südkorea setze zudem die Grippeimpfungen fort, da keine kausalen Verbindungen zu den Todesfällen nachweisbar seien.
Am 24. Oktober veröffentlichte die Korea Disease Control and Prevention Agency (KDCA) eine Meldung, nach der bis dato 45 Todesfälle im zeitlichen Verlauf nach einer Influenza-Impfung gemeldet worden seien.
Gesundheitsministerium in Singapur pausierte Grippeimpfungen im Oktober für knapp eine Woche
Das Gesundheitsministerium von Singapur veröffentlichte daraufhin am 25. Oktober eine Pressemitteilung zur Pausierung der Impfungen und kündigte eine Untersuchung an. Es sei eine Vorsichtsmaßnahme.
In einem Informationsblatt des Ministeriums zu den pausierten Impfungen heißt es am 27. Oktober: „Es gab noch nie Berichte über Todesfälle aufgrund von Influenza-Impfungen in Singapur.“ Grippeimpfungen würden wirksamen Schutz gegen die saisonale Grippe bieten und das Risiko von Komplikationen und Todesfällen stark senken – insbesondere für jüngere und ältere Menschen, schwangere Frauen und Menschen mit Vorerkrankungen.
Auch die US-amerikanische Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) reagierte am 27. Oktober auf die Meldungen aus Südkorea und schrieb, man beobachte den Vorgang. Die meisten Todesfälle würden Personen betreffen, die älter als 70 oder 80 Jahre seien. Südkorea setze seine Impfungen fort.
Impfungen in Singapur wurden bereits am 31. Oktober fortgesetzt
Am 31. Oktober gab das Gesundheitsministerium in Singapur dann Entwarnung mit einer zweiten Pressemitteilung: Die Impfungen könnten fortgesetzt werden; die Impfstoffe seien sicher und die Wahrscheinlichkeit eines kausalen Zusammenhangs zu den Todesfällen gering. „Südkoreas Untersuchungen ergaben, dass die Ursache bei 71 von 72 berichteten Todesfällen höchstwahrscheinlich auf Vorerkrankungen zurückzuführen waren, während in einem Fall das Ergebnis noch aussteht. Die südkoreanischen Behörden fanden auch heraus, dass es bei keinem Impfstoff von einem bestimmten Hersteller höhere Zahlen gemeldeter Todesfälle gab als bei anderen.“
Die Gesundheitsbehörde Health Sciences Authority (HSA) ist in Singapur für die Zulassung der Impfstoffe zuständig (hier und hier). Die HSA habe alle Testberichte aller Lieferungen der zwei betreffenden Impfstoffe in Singapur überprüft, und sie entsprächen den Qualitätsstandards, schreibt das Gesundheitsministerium. Es gebe derzeit keine Sicherheitsbedenken für einen der insgesamt vier in Singapur eingesetzten Grippeimpfstoffe für die Saison 2020/2021.
Am 19. November meldete die KDCA erneut, eine kausale Verbindung der (bis dato 107) gemeldeten Todesfälle in Südkorea zu den Impfungen sei laut Untersuchungen nicht nachgewiesen worden.
Fazit: Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Berichte auf Webseiten wie Uncut News oder DDB-News Ende November war bereits bekannt, dass Singapur die Impfstoffe als sicher bezeichnet hatte und die Impfungen fortsetzte. Diese relevante Information wird nicht erwähnt. Es gibt keine Belege, dass in Südkorea Menschen aufgrund von Grippeimpfungen gestorben sind.
Redigatur: Sarah Thust, Steffen Kutzner
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Artikel der South China Morning Post, 26. Oktober 2020 (Link)
- Pressemitteilungen des Gesundheitsministeriums von Singapur: 25. Oktober 2020 (Link) und 31. Oktober 2020 (Link)
- Informationsblatt des Gesundheitsministeriums von Singapur mit Fragen und Antworten, 27. Oktober 2020 (Link)
- Pressemitteilungen der Korea Disease Control and Prevention Agency (KDCA) vom 24. Oktober 2020 (Link) und 19. November 2020 (Link)