Warum es kein Problem ist, wenn der Covid-19-Impfstoff von Biontech kurz ungekühlt in einer Plastikbox transportiert wird
In Sozialen Netzwerken kursieren Bilder der ersten Covid-19-Impfung in Polen. Bei dem Termin wurde der Impfstoff von Biontech und Pfizer in einer Plastikbox getragen. Facebook-Nutzer machen sich lustig, dass er darin nicht ausreichend gekühlt sein könne, weil er bei minus 70 Grad gelagert werden sollte. Tatsächlich muss der Impfstoff aber Raumtemperatur erreichen, bevor er gespritzt wird.
Auf Facebook kursieren Bilder von Menschen mit weißen Kitteln und Mundschutz, die Plastikboxen tragen – mutmaßlich mit Aufklebern der Baumarktkette Obi (hier und hier). Es wird behauptet, in den Boxen sei ein Impfstoff gegen Covid-19 transportiert worden, der eigentlich bei minus 70 Grad Celsius gekühlt werden müsse. Die Beiträge wurden zusammen mehr als 1.600 Mal geteilt.
Die Facebook-Nutzer versehen die Bilder mit ironischen Kommentaren wie: „So Freunde! Der Stoff ist endlich da und wird fachmännisch bei -70°C in der OBI Box geliefert. Jetzt kann ich mit gutem Gewissen in das Bett.“
Es wird also suggeriert, der Impfstoff sei nicht ordnungsgemäß transportiert und gekühlt worden. Hier fehlt jedoch wesentlicher Kontext: Der Impfstoff muss tatsächlich auftauen und Raumtemperatur erreicht haben, bevor er verabreicht wird.
Bilder stammen von der ersten Covid-19-Impfung in Polen
Eine Bilder-Rückwärtssuche bei Google führte uns zu zwei Faktenchecks auf polnischen Webseiten: FakeNews.pl und Geekweb.pl. Offenbar kursierten die Behauptungen über die Obi-Boxen zuerst dort in Sozialen Netzwerken und wurden dann in Deutschland übernommen. Dem Artikel von Geekweb ist zu entnehmen, dass die Bilder vom Termin der ersten verabreichten Impfung gegen Covid-19 in Warschau am 27. Dezember 2020 stammen.
Dieselben Personen und die Plastikboxen sind in einem Video der Nachrichtenseite Wirtualna Polska vom 27. Dezember auf Youtube zu sehen. Die Frau mit den braunen Haaren ist demnach eine Krankenschwester eines Krankenhauses in Warschau und erhielt als erste Person in Polen die Impfung, begleitet von der Presse. Ein Video des Youtube-Kanals „EU Debates“ vom selben Tag zeigt die gleiche Szene.
Den polnischen Medienberichten zufolge handelte es sich um den Impfstoff der Firmen Pfizer und Biontech („BNT162b2“ oder „Comirnaty“ genannt). Die ersten Lieferungen seien demnach am 25. Dezember in Polen eingetroffen.
Der Biontech-Impfstoff wurde im Dezember 2020 als erster von der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA geprüft und in der EU zugelassen. Er kommt auch in Deutschland schon zum Einsatz.
Impfstoff muss zwar bei minus 70 Grad gelagert werden – aber vor der Nutzung auf Raumtemperatur gebracht werden
Tatsächlich berichteten verschiedene Medien (hier und hier) in den vergangenen Wochen, dass der Impfstoff bei minus 70 Grad Celsius gekühlt gelagert werden müsse. In einem normalen Kühlschrank (bei zwei bis acht Grad) hält er sich fünf Tage – so steht es auch auf der Webseite des Pharmakonzerns Pfizer.
Wie die Faktenchecker aus Polen jedoch bereits recherchiert haben, kann der Impfstoff durchaus kurze Zeit bei höherer Temperatur lagern. Laut Informationen der US-Gesundheitsbehörde FDA müssen die Impfstoffe vor der Nutzung etwa 30 Minuten lang auftauen und Raumtemperatur erreichen, bevor sie verabreicht werden können. Ungeöffnet können sie maximal zwei Stunden bei bis zu 25 Grad Celsius gelagert werden (Seite 2 im Dokument).
Dieselben Informationen finden sich auch auf der Webseite des Arzneimittel-Verzeichnisses „Gelbe Liste“: Bis zu zwei Stunden darf der Impfstoff von Biontech und Pfizer bei Raumtemperatur aufbewahrt werden. Die maximale Umgebungstemperatur wird mit 25 oder 30 Grad angegeben.
Wie lange der Impfstoff in der Plastikbox aufbewahrt wurde, geht aus dem Video des Impftermins in Polen nicht hervor. Dass eine Plastikbox zum Transport benutzt wurde, ist an sich jedoch unproblematisch. Es bedeutet nicht, dass der Impfstoff zuvor nicht ausreichend gekühlt war.
Redigatur: Steffen Kutzner, Uschi Jonas
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck: