Faktencheck

mRNA-Impfstoffe basieren zwar auf Gentechnik, aber sind keine „Genmanipulation“

RNA-Impfstoffe gegen Covid-19 seien „genmanipuliert“, wird auf einem aktuell in Sozialen Netzwerken geteilten Foto behauptet. Es wird suggeriert, dies sei eine Gefahr. Doch Experten widersprechen. mRNA-Impfstoffe basieren zwar auf Gentechnik, das ist jedoch nicht gleichbedeutend mit „Genmanipulation“.

von Uschi Jonas

Es gibt keine Belege dafür, dass mRNA- oder andere Covid-19-Impfstoffe in das menschliche Erbgut eingreifen. (Symbolbild: Unsplash / Hakan Nural)
Es gibt keine Belege dafür, dass mRNA- oder andere Covid-19-Impfstoffe in das menschliche Erbgut eingreifen. (Symbolbild: Unsplash / Hakan Nural)
Behauptung
RNA-Impfstoffe seien „genmanipuliert“.
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Fehlender Kontext
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Fehlender Kontext. mRNA-Impfstoffe sind sogenannte genbasierte Impfstoffe, weil sie genetische Informationen des Virus enthalten. Durch sie geschieht jedoch keine Genmanipulation.

Auf Facebook (zum Beispiel hier oder hier) und Twitter verbreitet sich ein Foto von einem Zettel, der angeblich bei einem Hausarzt in der Praxis hing. Darauf ist zu lesen ist: „Seit 1990 wird weltweit an RNA-Impfstoffen getestet, doch kein einziger hat je eine Zulassung erhalten […] RNA-Impfstoffe sind genmanipuliert. Keiner will Gen-Saatgut und genveränderte Tiere, doch jetzt sollen sie in unseren Körper?“ Mit dieser Behauptung wird Stimmung gemacht gegen Covid-19-Impfstoffe – und suggeriert, die Impfstoffe seien eine Gefahr. 

Auf Facebook wurde das Foto am 18. Januar veröffentlicht und fast 1.000 Mal geteilt, wo genau das Flugblatt herstammt, ist nicht ersichtlich. Eine Google-Bildersuche führt lediglich zu weiteren Verbreitungen des Fotos in Sozialen Netzwerken (Stand: 22. Januar).

Bereits seit Monaten kursiert die Behauptung im Internet, mRNA-Impfstoffe könnten das menschliche Erbgut verändern. So schrieb zum Beispiel der umstrittene Arzt Wolfgang Wodarg auf seiner Webseite im Juni 2020, mit dem Impfstoff werde der Mensch „genetisch modifiziert“. Die Behauptung in dem Aushang könnte ebenfalls auf diese Weise missverstanden werden, weil ihr Kontext fehlt. 

Das in Sozialen Netzwerken verbreitete Foto des Aushangs (Quelle: Facebook / Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)
Das in Sozialen Netzwerken verbreitete Foto des Aushangs (Quelle: Facebook / Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Was ist Gentechnik und was hat das mit Impfstoffen zu tun?

Gentechnik ist ein Verfahren, mit dem Erbgut künstlich verändert werden kann. „Dabei kann zum Beispiel das Erbgut des Organismus neu kombiniert oder Teile des Erbguts des Organismus neu kombiniert oder Teile des Erbguts eines anderen Organismus übertragen werden“, schreibt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Solche Techniken können zum Beispiel bei der Züchtung von Pflanzen oder Tieren zum Einsatz kommen.

Auch bei der Impfstoffentwicklung spielt Gentechnik eine Rolle, aber auf eine ganz andere Weise. Bei Lebend- und Totimpfstoffen werden dem Körper abgeschwächte Erreger (zum Beispiel Viren) oder Erreger-Antigene zugeführt. Bei genbasierten Impfstoffen stellen die Körperzellen hingegen selbst ein Antigen her, nachdem das entsprechende Gen über einen Impfstoff zugeführt wurde. Diesem Prinzip folgen vektorbasierte, RNA- und DNA-Impfstoffe, wie der Verband Forschender Arzneimittelhersteller auf seiner Webseite erläutert.

RNA-Impfstoffe basieren folglich auf Gentechnik, denn sie enthalten genetische Informationen des Erregers. Auf diese Weise funktionieren zum Beispiel der bereits in der EU zugelassene mRNA-Impfstoff von Biontech und Pfizer und der mRNA-Impfstoff der Tübinger Firma CureVac, der sich seit Dezember in einer Phase-III-Studie befindet.

Tatsächlich ist zuvor noch nie ein mRNA-Impfstoff zugelassen worden. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Impfstoff unsicher ist. Es wird seit mehreren Jahren an solchen Impfstoffen geforscht. In einem Interview im Dezember 2020 sagte der Infektiologe Ulrich Seybold, es sei ein Vorteil von mRNA-Impfstoffen gewesen, „dass die Technologie fertig entwickelt war und spezifische Impfstoffe sehr schnell verfügbar gemacht werden konnten“. Zudem sagte er: „Als Hauptproblem der mRNA-Impfstoffe sehe ich, dass viele Leute etwas, das so ähnlich ist wie Gen, mit etwas Gefährlichem assoziieren.“

Können mRNA-Impfstoffe eine genetische Veränderung bewirken?

Dass die Impfstoffe auf Gentechnik basieren, bedeutet nicht, dass sie eine „Genmanipulation“ bewirken oder die menschliche DNA verändern, wie Experten betonen.

Im NDR-Podcast Coronavirus-Update vom 12. Januar 2021 erklärte Sandra Ciesek, Virologin am Universitätsklinikum Frankfurt: „Die Erbinformation von Menschen besteht aus DNA und die Erbinformation des Virus und auch der Impfstoff ist eine RNA. Deshalb ist das nicht kompatibel, sage ich jetzt mal so laienhaft, und extremst unwahrscheinlich und passiert einfach nicht. Das wäre sicherlich aufgefallen, wenn das der Fall wäre. Aber es macht biologisch einfach keinen Sinn.“ 

Was ist RNA oder mRNA?

RNA beziehungsweise Ribonukleinsäure ist laut Definition eine Nukleinsäure. Sie hat verschiedene Funktionen im menschlichen Körper. Zum einen kann RNA genetische Information übertragen. Eine weitere wesentliche Funktion ist die Umsetzung von genetischer Information in Proteine. 

DNA beziehungsweise Desoxyribonukleinsäure ist ebenfalls eine Nukleinsäure, allerdings chemisch etwas anders aufgebaut. Die DNA enthält die Erbinformationen von Lebewesen. Anders als RNA, die als Einzelstrang vorkommt, hat sie die Form eines Doppelstranges. Vereinfacht ausgedrückt: Die DNA ist beim Menschen das permanente Speichermedium für die genetische Information, die RNA dient als Zwischenspeicher und Überträger von Informationen. mRNA steht für „messenger RNA“ – also „Boten-RNA“.

Es gibt auch RNA-Viren. Diese nutzen RNA anstelle der DNA als permanentes Speichermedium ihrer Erbinformation. Zu diesen Viren zählen zum Beispiel Masern- oder Ebola-Viren und eben auch Coronaviren.

Wie funktioniert ein mRNA-Impfstoff?

Das Virus SARS-CoV-2 nutzt das sogenannte Spike-Protein, um an Zellen anzudocken und die Aufnahme des Virus in die Zelle zu vermitteln und sie somit zu befallen. Dieser Prozess wird beim Impfen genutzt: Die mRNA-Impfstoffe regen die menschlichen Zellen an, dieses Spike-Protein herzustellen. 

„In den Zellen wird die Erbinformation, die auf der mRNA kodiert ist, ausgelesen und in Protein übersetzt (translatiert)“, erläutert eine Sprecherin des Robert-Koch-Instituts (RKI) per E-Mail. Dieses ausgehend von der mRNA nach dem Impfen in Körperzellen gebildete Spike-Protein rege als Antigen das Immunsystem des Körpers dazu an, Antikörper gegen SARS-CoV-2 zu produzieren. 

Paul-Ehrlich-Institut: „Eine Integration von RNA in DNA ist unter anderem aufgrund der unterschiedlichen chemischen Struktur nicht möglich“

Susanne Stöcker vom PEI erklärte uns: „Selbst wenn die Impfstoff-RNA in das Genom integriert würde, dann wäre das Ergebnis, dass das Spike-Protein von der Zelle hergestellt und vom Immunsystem erkannt würde und dann die betroffene Zelle abgetötet würde.“ 

Auf der Webseite des PEI steht in einer Erklärung von Ende Juli, es bestehe keine Gefahr einer Integration von mRNA in das menschliche Genom, sprich die Erbinformationen. „Beim Menschen befindet sich das Genom in Form von DNA im Zellkern. Eine Integration von RNA in DNA ist unter anderem aufgrund der unterschiedlichen chemischen Struktur nicht möglich. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass die von den Körperzellen nach der Impfung aufgenommen mRNA in DNA umgeschrieben wird.“

Experte: „Eigentlich ist es nicht möglich, dass RNA in DNA umgeschrieben wird“

Auch Till Koch vom UKE erklärt uns gegenüber: „Eigentlich ist es nicht möglich, dass RNA in DNA umgeschrieben wird, weil man dazu ein spezielles Enzym braucht, die Reverse Transkriptase, die man zum Beispiel im HI-Virus findet.“ Es gebe im Körper immer bestimmte Viren, die diese Reverse Transkriptase besitzen. „Aber trotzdem ist es extrem unwahrscheinlich, dass RNA in DNA umgeschrieben wird. Unter anderem, weil nicht jede RNA gleich ist. Die mRNA ist speziell so präpariert, dass sie ihre Information nur in die eine Richtung, sprich Richtung Protein weitergeben kann.“ 

Weiter erklärt Koch: „Und man muss bedenken: Bei jeder Virusinfektion mit einem RNA-Virus auch bei SARS-CoV-2-Infektionen machen die Viren genau das. Sie bringen fremde RNA in die menschlichen Zellen ein. Nur eben viel stärker, als durch einen mRNA-Impfstoff. Denn sie vervielfältigen in der Zelle solange RNA und bauen damit neue Viruspartikel, bis die Zelle kaputt geht. Wohingegen bei Zellen, die den Impfstoff aufnehmen, ist irgendwann Schluss, die RNA wird dann abgebaut und ist nicht mehr da.“

Redigatur: Alice Echtermann, Sarah Thust

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Pressemitteilung des Paul-Ehrlich-Instituts vom April 2020 zur Impfstoffentwicklung: Link
  • Erläuterungen des Paul-Ehrlich-Instituts zu mRNA und dem menschlichen Erbgut: Link
  • NDR Info-Podcast Coronavirus-Update vom 12. Januar 2021: Link
  • „Gentechnik: Was genau ist das?“, Erläuterungen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft: Link
  • „Impfstoffe – Wie sie wirken und wovor sie schützen“, Mitteilung des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller vom 5. Januar 2021: Link
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