Nein, die Zahl der Krankenhäuser ist nicht so stark gesunken, wie es auf dieser Grafik scheint
Eine Grafik auf Facebook suggeriert eine dramatische Unterversorgung mit Krankenhäusern in Deutschland. Doch die Zahlen sind teilweise falsch – und die Darstellung ist manipulativ. Eine Statistikerin erklärt, woran sich das erkennen lässt.
In Deutschland gibt es laut Statistik immer weniger Krankenhäuser. Gleichzeitig nimmt die Zahl der älteren Menschen zu. Eine Grafik, die auf Facebook kursiert, stellt die Anzahl der Krankenhäuser im Jahresvergleich der Bevölkerung im Alter ab 80 Jahren gegenüber. Dazu heißt es nur: „Finde den Fehler“. Es wird der Eindruck erzeugt, es entstehe eine medizinische Unterversorgung durch den Rückgang von Krankenhäusern.
Im Faktencheck fanden wir heraus, dass die Daten, die für die Grafik verwendet wurden, teilweise falsch sind. Die Grundaussage der Grafik – die Abnahme der Krankenhäuser und die Zunahme alter Menschen – ist zwar nicht falsch. Doch die Zahlen werden stark verzerrt dargestellt, wie uns eine Statistikerin erklärt. Eine dramatische Unterversorgung der Bevölkerung, wie sie die Facebook-Grafik suggeriert, lasse sich anhand der verfügbaren Daten „in keinem Fall“ begründen.
Laut der Grafik sinkt seit dem Jahr 2000 die Zahl der Krankenhäuser und die Zahl der älteren Menschen steigt
Die Grafik zeigt die Anzahl der Krankenhäuser von 2000 bis 2018 (blaue Balken), das Statistische Bundesamt wird als Quelle genannt. Für 2019 und 2020 wurde die Anzahl der Kliniken nach eigenen Angaben „statistisch ermittelt“ (rote Balken). Außerdem wird die Bevölkerung ab 80 Jahren angezeigt (lachsfarbene Kurve), eine Quelle wird hierfür nicht genannt.
Auf den ersten Blick fällt auf: Die linke, vertikale Achse für die Zahl der Krankenhäuser beginnt nicht bei Null, sondern bei 1.700. Dadurch wirken die Balken am rechten Ende der Skala sehr kurz – es wird optisch ein Rückgang um mehr als die Hälfte suggeriert, obwohl tatsächlich eine Verringerung von 2.242 auf 1.890 (rund 15,7 Prozent) dargestellt wird.
Für die Daten der Jahre 2019 und 2020 gibt es keine Belege
Wir haben die Grafik dem Statistischen Bundesamt vorgelegt. Die blauen Balken für die Anzahl der Krankenhäuser von 2000 bis 2018 basieren demnach auf den Erhebungen des Statistischen Bundesamt für die „Grunddaten der Krankenhäuser“ und sind weitestgehend richtig. Die Zahl für 2015 weicht leicht ab: dargestellt sind 1.961 Krankenhäuser, es waren aber 1.956.
Die Zahlen des Bundesamtes liegen allerdings nur bis zum Jahr 2018 vor. Die Werte für 2019 und 2020, die mit roten Balken dargestellt sind, stammen also gar nicht von dort. Offenbar wurden hier von Jahr zu Jahr einfach 18 Krankenhäuser abgezogen. Es gibt jedoch keine Belege, dass das korrekt ist.
Laut einer Mitteilung des Statistischen Bundesamtes (Destatis) gab es im Jahr 2019 in Deutschland 1.914 Krankenhäuser, nicht 1.907. „Dabei sind die Angaben für Niedersachsen vorläufige Ergebnisse und die Angaben für Mecklenburg-Vorpommern entsprechen den Ergebnissen des Berichtsjahres 2018. Endgültige Ergebnisse liegen voraussichtlich im Laufe des Monats Februar 2021 vor“, schrieb uns eine Sprecherin. Daten für 2020 gebe es noch nicht.
Bevölkerungszahlen sind falschen Jahren zugeordnet
Die Angaben zur Bevölkerung im Alter über 80 Jahre sind stark verzerrt dargestellt. Sie sind in der Genesis-Datenbank von Destatis zu finden (Tabelle 12411-0005). Doch sie werden in der Grafik den Jahren falsch zugeordnet: Zum Beispiel steht über dem Jahr 2020 die Zahl 5.389.106, obwohl der Wert vom Stichtag 31. Dezember 2018 stammt. Der Wert 4.941.910, der über dem Jahr 2018 steht, stammt vom 31. Dezember 2016. Der Wert vom 31.12.1999 wird für 2000 dargestellt, und auch die anderen Zahlen werden nicht den richtigen Jahren zugeordnet.
Die Anzahl an Krankenhäusern sagt nichts über deren Kapazitäten aus
Auch der Vergleich ist insgesamt irreführend, weil daraus nicht hervorgeht, wie viele Patienten und Patientinnen in den Krankenhäusern versorgt werden können. Statistisch gesehen kann ein Krankenhaus mehrere Fachabteilungen oder Fachkliniken umfassen (Seite 90) und eine unterschiedlich große Anzahl zu Behandelnder aufnehmen. Die Sprecherin des Statistischen Bundesamtes schrieb dazu: „Die Anzahl der in der amtlichen Krankenhausstatistik nachgewiesenen Krankenhäuser nimmt infolge von Schließungen, aber auch durch die Fusion mehrerer ehemals eigenständiger Einrichtungen zu einem Krankenhaus ab.“
Das schrieb uns auch Katharina Schüller, Geschäftsführerin und Gründerin von Stat-Up, einem Spezialanbieter für Statistische Beratung und Data Science. Schüller ist Diplom-Statistikerin und Mitglied des „Unstatistik-Teams“ vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen, das regelmäßig eine „Unstatistik“ veröffentlicht. „Die Aktion will so dazu beitragen, mit Daten und Fakten vernünftig umzugehen, in Zahlen gefasste Abbilder der Wirklichkeit korrekt zu interpretieren und eine immer komplexere Welt und Umwelt sinnvoller zu beschreiben“, heißt es auf der Website des RWI.
Woran erkennt man eine manipulative Grafik?
Für CORRECTIV.Faktencheck hat sich Schüller die Facebook-Grafik angesehen und mit den korrekten Daten vom Statistischen Bundesamt eine unverzerrte Darstellung erstellt. Daraus ergibt sich ein anderer optischer Eindruck. Während es auf der Facebook-Grafik scheint, als sei die Zahl der Krankenhäuser um zwei Drittel gesunken, betrug der tatsächliche Rückgang von 2000 bis 2018 nur rund 14 Prozent.
Die Grafik ist laut der Statistikerin ein typisches Beispiel für eine manipulative Grafik. „Ob eine Grafik allein durch die Darstellung manipulativ ist, prüft man sehr leicht, indem man sich die Zahlen wegdenkt. Wenn die Aussage, die sich dann herauslesen lässt, nicht mit derjenigen übereinstimmt, die sich aus den Zahlen errechnet, liegt eine manipulative Grafik vor.“
Konkrete Hinweise sind laut Schüller in diesem Fall die Y-Achse für die Krankenhäuser, die erst bei 1.700 beginnt, sowie die zeitlich verschobenen Daten. Für die Jahre 2019 und 2020 wurde zudem unterstellt, dass sich die Zahl der Krankenhäuser jedes Jahr um einen gewissen Prozentsatz verringere. „Dafür gibt es aber kein vernünftiges Argument: Die Korrelation zwischen Zeit und Anzahl der Krankenhäuser ist eben keine Kausalität und erlaubt keine sachlogische Prognose.“
Welcher Eindruck entsteht, hängt von der grafischen Darstellung ab
Um zu verdeutlichen, dass die Frage „Reicht das Angebot an stationärer Versorgung aus?“ auf sehr unterschiedliche Weisen in Daten abgebildet werden kann, hat Schüller selbst mehrere Grafiken erstellt. Als Quellen für diese Berechnungen nutzte sie die Krankenhausstatistik des Bundes, drei Tabellen aus der Genesis-Datenbank (23111-0001, 23111-0002 und 12411-0005) und die Zahl der Intensivbetten laut Statistischem Bundesamt.
Das Angebot könne man zum Beispiel messen anhand der Anzahl von Krankenhäusern (wie in der Facebook-Grafik), der Zahl der Betten, Intensivbetten oder Ärztinnen und Ärzte. Den Bedarf könnte man messen anhand der Bevölkerung ab 80 (wie in der Facebook-Grafik) oder der Patienten unabhängig vom Alter. Wie unterschiedlich das Ergebnis dann ausfallen kann, hängt von der Darstellung ab. Das veranschaulicht zum Beispiel der Vergleich dieser vier Grafiken:
Schüllers Fazit lautet: Je nachdem, ob man nun Krankenhäuser, Betten, Intensivbetten oder Ärzte zusammen mit der Bevölkerung über 80 oder Patienten in einer Grafik abbildet, „kommt man zu sehr unterschiedlichen Ansichten. Die durch die Facebook-Grafik suggerierte dramatische Unterversorgung der Bevölkerung lässt sich aber in keinem Fall begründen.“
Redigatur: Uschi Jonas, Alice Echtermann
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck: