Faktencheck

Falsche und irreführende Behauptungen zu Impfstoffen gegen HIV, Grippe und Krebs im Umlauf

Auf Facebook kursiert die Behauptung, es gebe keine Impfstoffe gegen HIV oder Krebs und keine „wirksame Impfung“ gegen Grippe. Die Covid-19-Impfstoffentwicklung sei aber in kurzer Zeit möglich gewesen. Diese Behauptungen sind irreführend und teilweise falsch.

von Uschi Jonas

Auf Facebook kursieren falsche und irreführende Behauptungen zur Entwicklung von Impfstoffen gegen HIV, Krebs und Influenza. (Symbolbild: Unsplash / CDC)
Auf Facebook kursieren falsche und irreführende Behauptungen zur Entwicklung von Impfstoffen gegen HIV, Krebs und Influenza. (Symbolbild: Unsplash / CDC)
Behauptung
Es gebe keine Impfungen gegen HIV und Krebs und keine „wirksame Impfung“ gegen Grippe.
Bewertung
Teilweise falsch
Über diese Bewertung
Teilweise falsch. Es existieren Impfstoffe gegen Influenza und es gibt Impfstoffe, die das Risiko, an manchen Krebsformen zu erkranken, verringern. Die Entwicklung eines Impfstoffes gegen HIV ist sehr schwierig.

Nutzer verbreiten auf Facebook (zum Beispiel hier und hier) ein Bild mit Text, offenbar um Stimmung gegen die Covid-19-Impfung zu machen und Zweifel aufgrund der schnellen Entwicklung zu säen. Auf dem Bild ist zu lesen: „Es gibt keine Impfung gegen HIV nach 40 Jahren Forschung. Es gibt keine wirksame Impfung gegen Grippe. Es gibt keine Impfung gegen Krebs nach 100 Jahren Forschung. Nichts hilft. Und plötzlich erscheint auf mysteriöse Weise ein Virus und innerhalb eines Jahres gibt es einen Impfstoff, den die gesamte Bevölkerung nehmen soll. Nein Danke!“ 

Die aufgestellten Behauptungen zu Impfungen gegen die verschiedenen Erkrankungen und Viren sind größtenteils falsch oder lassen wichtigen Kontext aus. Wir haben sie im Einzelnen überprüft. Die Entwicklung von SARS-CoV-2-Impfstoffen lässt sich nicht so einfach mit der Impfstoff-Entwicklung gegen andere Viren vergleichen. 

Einer der auf Facebook verbreiten Beiträge zu Impfstoffentwicklungen (Quelle: Facebook / Screenshot und Schwärzung vom 24. Februar 2021: CORRECTIV.Faktencheck)
Einer der auf Facebook verbreiten Beiträge zu Impfstoffentwicklungen (Quelle: Facebook / Screenshot und Schwärzung vom 24. Februar 2021: CORRECTIV.Faktencheck)

1. Behauptung: Es gebe nach 40 Jahren Forschung keine Impfung gegen HIV

HIV, das Humane Immundefizienz-Virus ist ein Virus, das die körpereigenen Abwehrkräfte schwächt. Die Deutsche Aidshilfe erklärt: „Ohne Behandlung kann der Körper eindringende Krankheitserreger wie Bakterien, Pilze oder Viren nicht mehr bekämpfen. Im schlimmsten Fall treten dann bestimmte lebensbedrohliche Erkrankungen auf, zum Beispiel schwere Lungenentzündungen. Dann spricht man von Aids.“ 

Aids lässt sich jedoch mit einer HIV-Therapie medikamentös verhindern, so können Menschen mit HIV gut und lange leben. Weiter schreibt die Deutsche Aidshilfe: „Im Bereich HIV wird viel geforscht. Eine Heilung ist zwar noch nicht möglich, aber die Behandlungsmöglichkeiten werden immer besser.“ Dieser Kontext fehlt in dem auf Facebook verbreiteten Bild. 

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schreibt: „Impfstoffe gegen HIV werden entwickelt und befinden sich in verschiedenen Stadien der klinischen Erprobung, aber derzeit hat sich noch keiner als wirksam erwiesen.“

Die Impfstoffentwicklung ist schwierig, da sich HI-Viren ständig verändern

Es ist folglich korrekt, dass es bislang keinen HIV-Impfstoff gibt, allerdings ist die Entwicklung sehr kompliziert. Die Deutsche Aidshilfe erläutert, dass sich die Entwicklung einer wirksamen Impfung schwierig gestalte, weil HIV sich ständig verändert: „So entstehen unzählige Formen von HIV. Manche Antikörper zum Beispiel, die eine bestimmte Variante von HIV erfolgreich bekämpfen, helfen bei einer anderen überhaupt nicht.“

Virologe Hendrik Streeck erklärte in einem Interview 2018, dass es weltweit eine „große Bandbreite von HIV“ gebe. Die Viren unterschieden sich äußerlich stark, weshalb es schwierig sei, einen gemeinsamen Angriffspunkt zu finden. Als weitere Ursachen dafür, dass die Entwicklung schwierig ist, nennt Streeck die Tatsache, dass HIV im Vergleich zu anderen Viren nur wenige Oberflächenmoleküle habe. Auch deren hoher Zuckeranteil sei ein Problem, da der Mensch dagegen „nur schlecht eine langlebige Immunantwort bilden“ könne. Ein weiteres Problem sei, dass „virale Erbsubstanz nach der Infektion fester Bestandteil des menschlichen Genoms“ sei. 

Zudem erklärt Virologe Streeck in einem Interview mit dem Magazin Pharma Fakten ein weiteres, praktische Problem der HIV-Impfstoff-Forschung: „Wir müssen ja abwarten, ob sich Leute mit HIV infizieren oder nicht, wobei zugleich alles getan wird, um HIV-Infektionen zu verhindern. Daher dauert so ein Versuch mehrere Jahre, bis man überhaupt ein Ergebnis sehen kann. Anders verhält es sich bei anderen Impfstoffen – dort erhält eine Studiengruppe den Erreger, die andere nicht. Das verbietet sich bei HIV schon aus ethischen Gründen.“

Dennoch wird viel an Impfstoffen gegen HIV geforscht, wenn auch teils erfolglos: Vor rund einem Jahr beispielsweise sei eine Studie mit einem potenziellen Impfstoff laut Ärztezeitung abgebrochen worden, weil das Vakzin keine Schutzwirkung vor einer Infektion mit dem HI-Virus gezeigt habe. Die Nichtregierungsorganisation „International Aids Vaccine Initiative“ (IAVI) informiert regelmäßig über Entwicklungen im Bereich der HIV-Impfstoffentwicklung. Seit 1987 wurden mehr als 30 HIV-Impfstoffkandidaten in etwa 60 Phase-1/2-Studien getestet, an denen mehr als 10.000 gesunde Freiwillige teilnahmen, schreibt die WHO

2. Behauptung: Es gebe keine wirksame Impfung gegen Grippe

Das ist falsch. Es gibt „saisonale Impfstoffe” gegen Influenza, diese können sich in ihrer Wirksamkeit jedoch unterscheiden. 

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das deutsche Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, erklärt: „Es wird zwischen Impfstoffen gegen die saisonale Grippe, die jeden Winter auftritt, und präpandemischen und pandemischen Influenzaimpfstoffen unterschieden, die bei drohenden Grippe-Pandemien zum Einsatz kommen.“ 

Susanne Stöcker, Pressesprecherin des PEI schrieb auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck in einer E-Mail, dass das nicht bedeute, dass jede Saison ein neuer Impfstoff entwickelt werden müsse: „Die Zulassung für Grippeimpfstoffe erfolgt einmalig. Aber da die Influenzaviren sich ständig verändern (streng genommen durch Fehler bei der Vermehrung – so, wie auch die Mutationen bei SARS-CoV-2 entstehen), müssen die Antigene jedes Jahr angepasst werden.“ Der Impfstoff als solcher sei immer gleich, nur die wirksame Komponente – das Antigen (Hämagglutinin und Neuraminidase) –, müssten jedes Jahr an die aktuell zirkulierenden Virusstämme angepasst werden.

In Deutschland sind verschiedene Influenzaimpfstoffe zahlreicher Hersteller erhältlich, die alle die von der WHO festgelegten Antigene enthalten, schreibt das Robert-Koch-Institut (RKI). Antigene sind Stoffe, die vom Immunsystem als „fremd“ erkannt und daraufhin meistens bekämpft werden, zum Beispiel durch die Bildung spezifischer Antikörper.

Die Wirksamkeit einer Influenza-Impfung kann bis zu 80 Prozent betragen

Die Wirksamkeit beziehungsweise Schutzwirkung der Influenza-Impfung sei geringer als bei vielen anderen von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlenen Impfungen, schreibt das RKI. Die Impfeffektivität könne in den einzelnen Saisons sehr unterschiedlich sein und sich auch bei den einzelnen Virustypen unterscheiden. Das hänge von verschiedenen Faktoren ab, wenn sich zum Beispiel Virustypen verändern. 

Aber das RKI schreibt auch: „Bei einer sehr guten Übereinstimmung der zirkulierenden Influenza­viren mit dem Impfstoff wurde bei jungen Erwachsenen eine Schutzwirkung bis zu 80 Prozent beobachtet. Ältere Menschen haben oft eine reduzierte Immun­antwort, sodass die Impfung bei ihnen weniger zuverlässig wirkt. […] Dennoch können auch ältere Menschen ihr Risiko, an einer Influenza zu erkranken, im Mittel durch die Impfung in etwa halbieren. Dies bedeutet bei einer Wirksamkeit von 41 bis 63 Prozent bei älteren Erwachsenen.“

3. Behauptung: Es gebe keine Impfung gegen Krebs nach 100 Jahren Forschung

Diese Behauptung ist größtenteils falsch. Es existieren Schutzimpfungen gegen Erreger, die indirekt Krebs verhindern und so die Zahl der durch Infektionen ausgelösten Krebsarten senken können, schreibt das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ). Einen Impfstoff zu entwickeln ist vor allem dann möglich, wenn Infektionen bei der Entstehung von Krebs eine Rolle spielen, erklärt die Deutsche Krebsgesellschaft auf Ihrer Webseite. 

So gibt es beispielsweise seit 2008 die sogenannte HPV-Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs. Dazu schreibt die Deutsche Krebsgesellschaft: „Eine wichtige Ursache für die Entstehung dieses Krebses sind humane Papillomaviren (HPV), die beim Sex übertragen werden. Gegen diese Viren steht heute eine Impfung zur Verfügung.“ Mit der HPV-Impfung lasse sich die Rate von Krebsvorstufen am Gebärmutterhals nachweislich deutlich reduzieren.

Auch eine Impfung gegen das Hepatitis-B-Virus existiert. Eine schwere Erkrankung an Hepatitis B kann bei einem chronischen Verlauf Leberkrebs auslösen, schreibt das RKI. Daher empfiehlt die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut ebenso wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Impfung gegen Hepatitis B bereits bei Kindern durchzuführen.

Laut WHO sind 15 Prozent der Krebserkrankungen weltweit auf Infektionen zurückzuführen. In Deutschland waren es laut dem Deutschen Ärzteblatt im Jahr 2018 vier Prozent aller Krebsneuerkrankungen, die auf Infektionen zurückgingen.

In der Krebsforschung gibt es therapeutische Ansätze, die nach dem Prinzip einer Impfung funktionieren

Zudem gibt es „therapeutische Ansätze, die nach dem Prinzip einer Impfung funktionieren“, wie die Deutsche Krebsgesellschaft erläutert. Das sind Impfungen, die durchgeführt werden, wenn eine Person bereits an Krebs erkrankt ist. Sie sollen den Krankheitsprozess günstig beeinflussen, beziehungsweise in frühen Stadien vielleicht sogar zu einer Heilung führen können. „Mit verschiedenen Strategien versucht man, dem Immunsystem beizubringen, den Tumor selbst zu erkennen und zu bekämpfen“, schreibt das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ)

„Dazu gehören im weiteren Sinne auch die in Deutschland bereits zur Behandlung verschiedener Krebsarten des Blutes oder von Gewebetumoren zugelassenen sogenannten monoklonalen Antikörper“, schreibt die Deutsche Krebsgesellschaft

Grundsätzlich ist die Forschung an Therapien und Impfstoffen bei Krebs viel komplexer und schwieriger, als beispielsweise beim Coronavirus, weil sich Tumorzellen ständig weiterentwickeln. Auch können sie eine Ausweichstrategie gegen eine Immunantwort entwickeln, erläutert das DKFZ: „Zum Beispiel, indem sie sich ‘unsichtbar’ für das Immunsystem machen. Oder indem sie die Immunreaktion hemmen. So können sie der Immunabwehr entkommen.“ Krebs-Immuntherapien zielten deshalb darauf ab, die Ausweichstrategien der Krebszellen gezielt zu umgehen und die körpereigene Abwehr direkt auf die Krebszellen zu lenken.

Das Ziel zahlreicher in der Entwicklung befindlicher Tumorimpfungen ist es, das Immunsystem gegen veränderte Proteine der Krebszellen zu lenken, erläutert das DKFZ: „Jedoch können solche Impfungen nur dann wirken, wenn die Tumorzellen das krebstypisch veränderte Protein passend zurechtgeschnitten dem Immunsystem präsentieren.“ Dazu habe es bereits erste klinische Prüfungen gegeben, erklärt auch Susanne Stöcker vom PEI. Auch mit mRNA-Technik beschäftigt sich die Krebsforschung schon seit Jahren. Das Ziel auch hier: für jeden Krebspatienten eine individuell passende mRNA-Therapie zu entwickeln.

Warum konnte ein Impfstoff gegen Covid-19 innerhalb von Monaten entwickelt werden?

Die Beiträge in Sozialen Netzwerken suggerieren mit dem Vergleich mit anderen Erkrankungen, dass es zweifelhaft sei, warum gegen das Coronavirus innerhalb kurzer Zeit Impfstoffe entwickelt werden konnten. Es gibt dafür jedoch verschiedene Gründe.

Das PEI schreibt zur Beschleunigung des Verfahrens auf seiner Webseite, die Zusammenarbeit bei der Entwicklung der Impfstoffe sei enger gewesen, und man habe die Prozesse effizienter gestaltet, „ohne Abstriche bei der Sorgfalt zu machen“. „Dies hat auch zu deutlichen Optimierungen der Verfahrensabläufe und einem Zeitgewinn bei der Entwicklung geführt.“ So seien Daten bereits parallel zu den klinischen Studien von der EMA ausgewertet worden („Rolling-Review-Verfahren“). 

Phase-3-Studien wurden mit tausenden Menschen durchgeführt

Bei der Entwicklung von Impfstoffen gibt es stets drei Phasen von klinischen Studien, bei denen sie an Menschen erprobt werden. Bei den drei Corona-Impfstoffe, die aktuell in der EU zugelassen sind, wurden jeweils alle drei Phasen durchgeführt. Biontech hat die Ergebnisse der Phase-3-Studie Anfang Dezember im New England Journal of Medicine veröffentlicht. Anfang Dezember erschienen auch erste Ergebnisse der Phase-3-Studie zum Impfstoff von Astrazeneca im Journal The Lancet. Ende Dezember wurde auch die Phase-3-Studie von Moderna im New England Journal of Medicine veröffentlicht. 

Redigatur: Till Eckert, Sarah Thust

Die wichtigen, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Erläuterungen der Deutschen Krebsgesellschaft zum Thema Impfung: Link
  • Informationen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur HIV-Impfstoffentwicklung: Link (Englisch)
  • Informationen des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) zu saisonalen Influenza-Impfstoffen: Link
  • Informationen des Robert-Koch-Instituts zur Grippeschutzimpfung: Link