Faktencheck

Interview mit Stefan Homburg von April 2020 kursiert erneut – seine Behauptungen darin sind falsch

In einem Interview erklärt der Finanzwissenschaftler Stefan Homburg, dass es keine Überlastung des Gesundheitssystems gebe und sich das Coronavirus in Deutschland weniger schlimm als eine Grippewelle auswirken werde. Das Video wird im Februar 2021 auf Facebook verbreitet, ohne den Hinweis, dass es bereits fast ein Jahr alt ist. Zudem stimmen die Behauptungen nicht.

von Steffen Kutzner

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Ausschnitt aus dem veralteten Interview mit Stefan Homburg (rechts) (Quelle: Youtube / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)
Behauptung
Es gebe aktuell keine Überlastung des Gesundheitswesens und die Pandemie sei „weitgehend herbeigeredet“.
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Fehlender Kontext
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Fehlender Kontext. Das Interview stammt aus dem Frühjahr 2020. Die Behauptungen stimmen nicht, Stefan Homburg argumentiert jedoch nach wie vor auf diese Weise.

„Corona ist eine Inszenierung und [der] Shutdown war unnötig“: Das steht unter einem Facebook-Video, das ein Interview mit dem Finanzwissenschaftler Stefan Homburg im Fernsehsender der Welt zeigt. In dem Interview behauptet Homburg, die Pandemie sei „weitgehend herbeigeredet“ und „Panikmache“. Ohne Nennung von Quellen erklärt Homburg dem Moderator Carsten Hädler weiter: „Die meisten Zahlen deuten darauf hin, dass diese Corona-Pandemie ungefähr so wie eine schwere Grippewelle verlaufen wird. In Deutschland aber erheblich leichter als eine Grippewelle.“ Für einen Lockdown bestehe „überhaupt kein Anlass“ und es gebe „keine Überlastung des Gesundheitswesens“ (ab Minute 1:00 im Video).

Veröffentlicht wurde der Facebook-Beitrag am 7. Februar, jedoch ohne einen Hinweis darauf, dass das Video veraltet ist. Auf der Video-Plattform Vimeo wurde es bereits am 24. April 2020 hochgeladen. Auf Youtube findet sich eine Version vom 28. April 2020. Ein Pressesprecher von Welt bestätigte uns gegenüber, dass die Aufnahme am 23. April 2020 ausgestrahlt wurde.

E-Mail des Pressesprechers von Welt (Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Stefan Homburg macht seit Beginn der Pandemie mit Äußerungen Schlagzeilen, in denen er die Pandemie verharmlost. Wir haben seine Behauptungen beispielsweise hier überprüft. Als er im April die Aussage traf, die Pandemie werde in Deutschland leichter als eine Grippewelle verlaufen, war der Höhepunkt der ersten Welle gerade vorbei. Die spätere Entwicklung der Fall- und Todeszahlen zeigte, dass Homburg mit seiner Prognose falsch lag.  

Doch auch später noch argumentierte er auf dieselbe Weise, etwa am 25. Oktober 2020, als die Infektionszahlen der beginnenden zweiten Welle den Tageshöchststand der ersten Welle bereits überschritten. An diesem Tag erklärte Homburg in der Corona-kritischen Talk-Runde Corona-Quartett: „Wissen wir denn nicht inzwischen, dass [das Coronavirus] von der Tendenz her so gefährlich ist wie Influenza? […] Das, was im März erzählt wurde und was dann zum Lockdown führte, festgemacht an dem bloßen Wort ‚Pandemie‘ […] das ist doch jetzt im Grunde glatt widerlegt“ (Minute 33:29). 

Die Coronavirus-Pandemie verläuft in Deutschland nicht wie eine leichte Grippewelle

Am 16. Dezember hatte sich der Gesundheitsausschuss mit der drohenden Überlastung des Gesundheitssystems befasst und hörte dazu eine Expertengruppe. Auch Ärzte und Pfleger arbeiteten Medienberichten zufolge im Dezember 2020 an der Belastungsgrenze. Es gab laut dem Divi-Intensivregister bis zum 1. März mehr als 76.000 Patienten mit Covid-19, die auf Intensivstationen behandelt wurden.

Im Influenza-Bericht 2017/2018 des Robert-Koch-Instituts findet sich eine Übersicht zu den Todesfällen durch Influenza seit 2001. Die Grippesaison 2017/2018 war demzufolge die schwerste seit vielen Jahren mit geschätzten 25.100 Toten (Seite 47).

Mit Stand 1. März 2021 verzeichnete das Robert-Koch-Institut mehr als 70.000 Menschen, die im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion verstorben sind. Vergleiche der Todesfälle durch Influenza und Covid-19 sind schwierig, da die Datengrundlage verschieden ist: Die Todesfälle durch Influenza werden jedes Jahr statistisch anhand der sogenannten Exzess-Mortalität geschätzt, die Corona-Zahlen geben dagegen tatsächlich laborbestätigte Fälle wieder. Eine Hochrechnung anhand der Übersterblichkeit gibt es für Covid-19 noch nicht. 

Laut Statistischem Bundesamt zeigen die vorläufigen wöchentlichen Sterbefallzahlen jedoch, dass es am Jahresende – während der zweiten Corona-Welle – zu einer starken Erhöhung der Sterbefälle im Vergleich zu den Vorjahren kam. 

Redigatur: Tania Röttger, Alice Echtermann