Covid-19 in Israel: Nein, die Impfung erzeugt keine 40 Mal höhere Sterblichkeit
Eine angebliche Analyse von Daten des israelischen Gesundheitsministeriums belege, dass die Impfung das Risiko, an Covid-19 zu sterben, drastisch erhöhe – das behaupten verschiedene Blogs. Die Aussage ist falsch. Die Daten zeigen das genaue Gegenteil und die Berechnungen führen in die Irre.
In einem Artikel von Corona-Transition, den uns zahlreiche Leserinnen und Lesern zur Überprüfung schickten, werden Behauptungen über angebliche Todesfälle durch den Impfstoff von Biontech/Pfizer in Israel aufgestellt. Es heißt darin, eine Analyse anhand von Daten des israelischen Gesundheitsministeriums zeige, dass Geimpfte angeblich „eine 40 Mal höhere Mortalität als Ungeimpfte“ hätten. Der Artikel wurde am 3. März veröffentlicht und laut dem Analysetool Crowdtangle bisher mehr als 3.400 Mal auf Facebook geteilt.
Wir haben uns mithilfe des Übersetzers Yossi Bartal und der israelischen Journalistin Noa Barak von The Whistle die Berechnungen und weitere Studien aus Israel zur Wirksamkeit der Impfstoffe angeschaut. Die Behauptungen sind falsch. Unsere Recherche zeigt: Es wurden Daten falsch interpretiert und auf willkürliche Weise vermischt. Es zeigt sich keine erhöhte Sterblichkeit durch Impfungen, sondern das Gegenteil ist der Fall.
Das israelische Gesundheitsministerium hat am 4. März eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der steht, dass die Beiträge im Internet „falsch und voreingenommen“ seien. Die offiziellen Daten würden die Wirksamkeit des Covid-19-Impfstoffes eindeutig belegen. Zudem verweist das Ministerium auf einen Faktencheck der israelischen Organisation Midaat. In diesem wird die „Analyse“ ebenfalls als fehlerhaft und die Behauptung einer erhöhten Sterblichkeit durch die Impfungen als falsch bezeichnet.
Die Quelle der Behauptung ist ein Text von Haim Yativ, der am 15. Februar auf der Webseite Nakim.org auf Englisch und Hebräisch erschien. Haim Yativ ist einem Bericht von Israel National News zufolge Ingenieur, weitere Belege dafür konnten wir aber nicht finden.
Yativ hat den Text offenbar mit Hilfe von Hervé Seligmann geschrieben, der laut Corona-Transition „Senior Researcher“ an der medizinischen Fakultät der Universität Aix-Marseille ist. Tatsächlich wird Seligmann auf der Webseite der Universität mehrfach genannt. Unserer Recherche zufolge ist Seligmann Biologe.
Berechnung bezieht sich auf Personen, die sich trotz Impfung mit Covid-19 infiziert haben
Was im Text von Corona-Transition nicht deutlich wird: Die Berechnung bezieht sich nicht direkt auf Todesfälle durch Impfungen, sondern auf geimpfte Menschen, die sich trotz der Impfung mit Covid-19 infiziert haben. Yativ und Seligmann spekulieren nämlich, dass Geimpfte angeblich häufiger an Covid-19 sterben.
Sie stützen sich auf einen Artikel der israelischen Nachrichtenseite Ynet, der am 11. Februar veröffentlicht wurde und Daten des israelischen Gesundheitsministeriums enthält.
Yativ und Seligmann schreiben, sie hätten die Daten neu analysiert: „Wir schlussfolgern, dass der Pfizer-Impfstoff bei Älteren während der fünfwöchigen Impfzeit etwa 40 Mal mehr Menschen getötet hat, als die Krankheit selbst getötet hätte, und bei den jüngeren Altersgruppen ungefähr 260 Mal mehr Menschen.“
Um das zu belegen, stellen die Autoren komplizierte Berechnungen an, kommen jedoch zu falschen Schlussfolgerungen.
Schutzwirkung der Biontech-Impfung tritt erst etwa zwei Wochen nach der ersten Dosis ein
Die „Analyse“ von Yativ und Seligmann versucht, die Aussage des Artikels von Ynet ins Gegenteil zu verdrehen. Darin ging es um die Wirksamkeit des Covid-19-Impfstoffes von Biontech/Pfizer: Sie liege in allen Altersgruppen bei über 90 Prozent. „Den Daten zufolge beträgt die Wirksamkeit des Impfstoffs bezüglich der Verhinderung von schweren Krankheiten oder Todesfällen bei Personen ab 65 Jahren 94,3 Prozent“, schrieb Ynet.
Diese Angaben beziehen sich auf die vollständige Wirksamkeit nach der zweiten Impfdosis. Laut einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Immunologie von Anfang Januar 2021 hieß es zum Biontech-Impfstoff: „Der Impfschutz beginnt frühestens 14 Tage nach der ersten Impfung und die hohe Effizienz von 94 Prozent bzw. 95 Prozent wurde erst ab Tag 7 bzw. 14 nach der zweiten Impfung dokumentiert.“
Die Impfungen begannen in Israel am 19. Dezember mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer. Die Fallzahlen und Todesfälle in Israel sind Mitte Dezember stark gestiegen, doch ein kausaler Zusammenhang zur Impfung lässt sich hieraus nicht ableiten. Weil der Impfschutz erst etwa zwei Wochen nach der ersten Dosis zu wirken beginnt, hätten die Impfungen den Anstieg im Dezember nicht verhindern können.
Studie zeigt Effektivität der Impfungen in Israel
Am 5. Februar berichtete das Wissenschaftsmagazin Nature, die Daten würden einen Rückgang der Fallzahlen durch die Impfungen zeigen. Das israelische Gesundheitsministerium habe etwa eine halbe Million Covid-19-Infektionen untersucht. 90 Prozent der Über-60-Jährigen in Israel hätten bereits ihre erste Impfdosis erhalten, und die Infektionen in dieser Altersgruppe seien um 41 Prozent zurückgegangen. In der jüngeren Altersgruppe, von der bis zum 5. Februar nur 30 Prozent geimpft worden seien, sanken die Fallzahlen dagegen nur um 12 Prozent.
Eine am 24. Februar veröffentlichte Studie im New England Journal of Medicine verglich zudem Daten von rund 600.000 frisch geimpften Israelis mit einer ungeimpften Kontrollgruppe vom 20. Dezember bis 1. Februar. Es zeigte sich, dass zwei Dosen der Impfung die symptomatischen Covid-19-Fälle um 94 Prozent reduzierten, die Rate der Krankenhausaufenthalte um 87 Prozent und die Anzahl schwerer Covid-19-Fälle um 92 Prozent. Die geschätzte Effektivität, Todesfälle zu verhindern, lag der Studie zufolge bei 72 Prozent im Zeitraum zwischen 14 und 20 Tagen nach der ersten Impfdosis. Von Tag 21 bis 27 lag die Effektivität bei 84 Prozent.
Netanjahu: 97 Prozent der Covid-Todesfälle seit Anfang Januar traten bei Nicht-Geimpften auf
Die Tatsache, dass sich in Israel noch viele Menschen nach dem Start der Impfungen mit Covid-19 infiziert haben und gestorben sind, belegt keinen Zusammenhang zwischen Todesfällen und Impfungen. Wie wir bereits in einem anderen Faktencheck erklärt haben, kann der mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer selbst kein Covid-19 auslösen.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat laut einem Bericht von Reuters am 9. Februar, gesagt: Mehr als 97 Prozent der Corona-Todesfälle in dem vorherigen Monat in Israel (also seit Anfang Januar) seien Menschen gewesen, die noch nicht geimpft waren.
Yativ und Seligmann äußern dennoch die Theorie, dass Personen, die vor der Impfung asymptomatisch waren oder kurz nach der ersten Impfdosis infiziert wurden, schwerere Symptome entwickeln würden als jene, die gar nicht geimpft wurden. Sie deuten damit an, dass die erste Impfdosis anfälliger für Covid-19 machen könnte. Also haben wir uns ihre Berechnungen genauer angesehen. Vorweg: Sie belegen die These nicht.
Was sagen die Daten?
Wir haben mithilfe des Übersetzers Yossi Bartal die Tabellen im Artikel von Ynet übersetzt, da diese die Grundlage der Berechnungen bilden. Dieselben Daten wurden auch in einem anderen Bericht des israelischen Mediums Calcalist verwendet.
Demnach stammen die Daten vom Gesundheitsministerium und beziehen sich auf die Zahl der Geimpften in Israel, die bis zum 11. Februar trotz der Impfung mit Covid-19 infiziert wurden: Insgesamt 43.871 Personen.
Es ist plausibel, dass die Daten seit Beginn der Impfungen in Israel am 20. Dezember erhoben wurden. Im Artikel von Calcalist steht, 1,17 Prozent aller Geimpften in Israel hätten sich mit dem Virus infiziert. Laut dem offiziellen Corona-Dashboard der israelischen Regierung waren am 10. Februar insgesamt 3.712.334 Menschen mit der ersten Dosis geimpft. 1,17 Prozent davon sind rund 43.434 Personen. Das passt in etwa zu der Zahl in der Tabelle.
Die Tabelle zeigt, dass sich die überwiegende Mehrheit der betroffenen Menschen nach der ersten Impfdosis infiziert hat. Von den 43.871 Geimpften, die sich trotz der Impfung mit Corona infizierten, starben insgesamt 660 Personen – rund 1,5 Prozent. „35 Prozent aller geimpften Menschen, die infiziert waren, waren 60 Jahre und älter“, schreibt Calcalist. Bei den Todesfällen seien jedoch die allermeisten (96 Prozent) über 60 Jahre alt gewesen.
Von 15.396 Infizierten über 60 Jahren starben insgesamt 636 (4,13 Prozent). 546 starben nach der ersten Impfdosis, also mit unvollständigem Impfschutz. Nach der zweiten Dosis starben weitere 90 Personen, davon aber lediglich vier mehr als 14 Tage nach der zweiten Impfung.
Bei den Unter-60-Jährigen erkrankten 28.475 geimpfte Personen an Covid-19. Davon starben 24 (0,08 Prozent). 22 Personen starben nach der ersten Impfdosis und zwei weitere nach der zweiten Dosis (alle innerhalb von 13 Tagen).
Wie kommt die Behauptung einer angeblich 40 Mal höheren Sterblichkeit zustande?
Yativ und Seligmann setzten die Sterbezahlen aus der Tabelle bei Ynet ins Verhältnis zu den in Israel geimpften Menschen. Sie beziehen sich dabei aber aus unklaren Gründen nur auf die Impfzahlen ab dem 19. Januar. Der Zeitraum, den sie vergleichen, ist also kürzer.
Darauf basierend behaupten sie, nach der ersten Dosis seien 0,042 Prozent aller Geimpften gestorben und nach der zweiten Dosis 0,01 Prozent. Insgesamt seien also 0,05 Prozent nach der Impfung gestorben.
Die Autoren waren offenbar der Ansicht, dass seit dem 19. Januar vor allem jüngere Menschen geimpft wurden, also berechneten sie noch eine zusätzliche „Sterbequote“ für die Über-65-Jährigen. Sie zogen dafür Daten aus dem „Vaccine Adverse Events Reporting System“ (VAERS) aus den USA heran. Diese würden angeblich zeigen, dass es bei Über-65-Jährigen 4,42 Mal so viele Todesfälle gebe wie bei jüngeren Menschen. Also behaupten die Autoren, in dieser Altersgruppe müsse die Sterbequote bei rund 0,2 Prozent liegen.
VAERS-Daten sind unbestätigte Meldungen
Die Angaben aus der VAERS-Datenbank haben jedoch keine Aussagekraft für Israel – und sind generell kein Beleg für Todesfälle durch Impfungen. Die Datenbank umfasst nach eigenen Angaben „nicht verifizierte Berichte“ über unerwünschte Ereignisse nach Impfungen mit in den USA zugelassenen Impfstoffen. Berichte kann jeder Bürger elektronisch einreichen – die Angaben können also falsch und unvollständig sein. Zudem ist nicht klar, ob die gemeldeten Personen auch mit Covid-19 infiziert waren.
Die angeblichen Sterbequoten von 0,2 Prozent bei älteren (200 von 100.000) und 0,05 Prozent bei jüngeren Menschen (50 von 100.000) stellen die Autoren Yativ und Seligmann im Folgenden trotzdem als Fakt für Israel dar.
Sie vergleichen diese Zahlen mit anderen Daten aus dem Ynet-Artikel, denen zufolge bei den ungeimpften Über-65-Jährigen nur 4,91 von 100.000 gestorben seien. Bei den jüngeren Menschen seien es 0,19 von 100.000 gewesen. So kommen die Autoren auf ihre Aussage einer angeblich 40-fach beziehungsweise 260-fach erhöhten Sterblichkeit.
Das willkürliche Generieren und Vergleichen von Zahlen zeigt: Die Berechnung ist nicht valide, und die Behauptung somit falsch.
Die Sterberate ist bei geimpften Menschen nicht höher als bei ungeimpften, sondern niedriger
Im Grunde nimmt der Artikel von Ynet den beiden Autoren ihren Vergleich bereits ab. Die rote Grafik oben zeigt: Bei den Über-65-Jährigen gab es 4,91 Todesfälle auf 100.000 ungeimpfte Menschen. Im Gegensatz dazu gab es 0,279 Todesfälle auf 100.000 vollständig geimpfte Menschen – deutlich weniger also.
Das Gesundheitsministerium schickte uns zudem auf eine schriftliche Presseanfrage hin eine Tabelle mit den Covid-19-Fällen in Israel vom 20. Dezember bis 10. März. Auch daraus geht hervor, dass deutlich weniger geimpfte Menschen an Covid-19 starben als ungeimpfte. Nach der ersten Dosis starben 709, nach der zweiten Dosis insgesamt 189. Bei den Ungeimpften starben im selben Zeitraum 1.566 Menschen, also deutlich mehr.
Wie bereits erwähnt, zeigten die Daten des Gesundheitsministeriums im Artikel von Ynet, dass von den Geimpften, die sich bis zum 11. Februar trotz der Impfung mit Corona infizierten, rund 1,5 Prozent starben. 35 Prozent der Infizierten waren über 60 Jahre alt und 96 Prozent der Todesfälle waren Über-60-Jährige.
Diese Verteilung ist jedoch nicht auffällig, sondern sieht ganz ähnlich aus, wenn man sich die Daten für alle Covid-19-Todesfälle in Israel anschaut. Im offiziellen Dashboard der israelischen Regierung ist zu sehen, dass insgesamt 10,6 Prozent aller Infizierten 60 Jahre oder älter waren. Gleichzeitig waren aber 91,9 Prozent der Verstorbenen über 60 – unabhängig davon, ob sie geimpft waren oder nicht.
Es gibt also keine Anzeichen einer höheren Sterblichkeit unter den geimpften Menschen im Vergleich zu der „normalen“ Sterblichkeit durch Covid-19.
Fazit: Es stimmt nicht, dass die Impfung die Sterblichkeit erhöht – das Gegenteil ist der Fall. Es wurden in der „Analyse“ willkürlich Daten miteinander verglichen, die Schlussfolgerungen sind deshalb falsch. Studien und Datenauswertungen aus Israel zeigen, dass die Impfungen, insbesondere der volle Impfschutz nach zwei Impfdosen, die Zahl der Erkrankungen, Hospitalisierung und Todesfälle durch Covid-19 deutlich reduzieren.
Redigatur: Uschi Jonas, Sarah Thust
Übersetzungen und Hilfe bei der Recherche: Yossi Bartal, Noa Barak
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Artikel von Ynet: Link (Hebräisch)
- Artikel von Nature über sinkende Fallzahlen durch Impfungen in Israel: Link (Englisch)
- Offizielles Corona-Dashboard aus Israel: Link (Hebräisch)
- Studie im New England Journal of Medicine: „BNT162b2 mRNA Covid-19 Vaccine in a Nationwide Mass Vaccination Setting“: Link (Englisch)