Irreführende Behauptungen über Foto aus der Schweiz: Ja, die Außengastronomie hat wieder geöffnet – aber es gibt Corona-Auflagen
Auf Facebook verbreitet sich ein Foto, das eine belebte Terrasse eines Restaurants in der Schweiz zeigt. Dort sei die Inzidenz so hoch wie in Deutschland, aber es werde niemand „geknechtet“, wird behauptet. Wir haben den Kontext des Fotos recherchiert: Es wird mit einer falschen Ortsangabe verbreitet. Zudem fehlt der Darstellung wichtiger Kontext.
Zahlreiche Menschen sitzen im Außenbereich eines Restaurants unter Sonnenschirmen: Ein Foto der Szene wird derzeit auf Facebook tausendfach verbreitet (hier und hier). Es soll den Angaben zufolge am 24. April 2021 in Basel in der Schweiz aufgenommen worden sein. Die Menschen, die das Bild verbreiten, behaupten, die Inzidenz sei in der Schweiz genauso hoch wie in Deutschland, aber dort würden die Menschen anders als hier nicht „geknechtet“ oder „hinters Licht geführt“. Die Botschaft soll offenbar sein: In der Schweiz gibt es ähnlich viele Fälle, aber keine Corona-Maßnahmen.
Das Foto stammt unseren Recherchen zufolge jedoch nicht aus Basel. Wir fanden einen Tweet einer Schweizer Autorin vom 25. April, die schrieb, das Foto sei von „gestern“ (24. April) von einer Bekannten aus Basel. Darunter kommentierte jedoch jemand, das Bild stamme aus der Stadt Thun und zeige den „Mühliplatz“.
Foto wurde in der Stadt Thun aufgenommen – wann, ist unklar
Tatsächlich gibt es in Thun auf dem Mühleplatz eine Stelle, an der offenbar zwei Lokale Sonnenschirme draußen aufstellen und die zu dem Bild auf Facebook passt. Wir fanden ein Foto im Netz, auf denen die Sonnenschirme mit Coca-Cola-Aufschrift, passende Stühle und Gehwegplatten zu sehen sind.
Wir fragten zudem bei der Redaktion der Lokalzeitung Thuner Tagblatt nach. Der stellvertretende Chefredaktor Michael Gurtner bestätigte uns, dass das Foto auf dem Mühleplatz aufgenommen wurde. Das Logo auf dem Schild im Foto passe zu einem asiatischen Restaurant dort.
Wir haben versucht, die Betreiber der zwei infrage kommenden Restaurants per E-Mail und Telefon zu kontaktieren, aber bisher keine Antwort erhalten. Daher können wir nicht verifizieren, ob das Foto aktuell ist oder schon älter.
Es ist möglich, dass das Foto vor Kurzem entstanden ist. Denn in der Schweiz dürfen Außengastronomien seit dem 19. April wieder öffnen. Allerdings gelten dort – anders als in den Facebook-Beiträgen suggeriert wird – weiterhin Einschränkungen.
Maskenpflicht in Außengastronomien in der Schweiz
Seit dem 19. April 2021 sind Außenbereiche von Gastronomien in der Schweiz wieder geöffnet. Es gelten allerdings Auflagen: So müssen die Betriebe nach 23 Uhr schließen, es dürfen nur vier Personen an einem Tisch sitzen, es gilt eine Sitzpflicht, die Tische müssen im Abstand von 1,5 Metern stehen und die Maske darf nur während des Konsums von Speisen oder Getränken abgelegt werden.
Diese Masken-Regel wurde mit einer Änderung der Corona-Verordnung in der Schweiz vom 14. April leicht verschärft (siehe Screenshot unten). Zuvor durfte man noch durchgehend ohne Maske am Tisch sitzen. Auch in der neuesten Version der Verordnung vom 27. April heißt es: „Gäste, die ihre Bestellung noch nicht erhalten haben, oder die nur noch für Gespräche oder zum Gesellschaftsspiel am Tisch sitzen und dabei nur punktuell z.B. ein Getränk konsumieren, sollen – um sich und andere zu schützen – die Gesichtsmaske tragen.“ (PDF zum Download unter „Erläuterungen der Covid-19-Verordnung besondere Lage“)
Die Masken-Regel wurde zum Beispiel vom Baseler Wirteverband auf Facebook scharf kritisiert; sie sei nicht umsetzbar, ohne sich bei den Gästen „lächerlich“ zu machen.
7-Tage-Inzidenz in der Schweiz ähnlich hoch wie in Deutschland
Die Stadt Thun liegt im Kanton Bern. Dort liegt die 7-Tage-Inzidenz aktuell laut einer Grafik auf der Webseite des Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) bei 117,4. In der gesamten Schweiz liegt sie demnach bei 165,5 und im Kanton Basel-Stadt bei 200 (Stand: 27. April 2021). Am 24. April, dem Tag, an dem das Foto entstanden sein soll, war sie in Basel bei 188,9.
Die 7-Tage-Inzidenzwerte sind also ähnlich hoch wie in vielen Bundesländern in Deutschland. Bundesweit liegt die Inzidenz aktuell laut Robert-Koch-Institut bei 169 (PDF, Stand: 26. April 2021).
Die Schweiz hat allerdings andere Richtlinien für Verschärfungen der Maßnahmen definiert. Als Parameter werden die 14-Tage-Inzidenz, die Intensivbetten-Belegung sowie der 7-Tage-Schnitt der Reproduktionszahl des Coronavirus und der Hospitalisierungen betrachtet. (Quelle: BAG, PDF unter „Richtwerte“ zum Download)
In einer Pressemitteilung des Bundesrats zu den Lockerungen hieß es am 14. April: „Die aktuelle epidemiologische Situation ist weiterhin fragil und hat sich in den letzten Wochen weiter verschlechtert. Vier von fünf Richtwerte für Öffnungsschritte sind derzeit nicht erfüllt. […] Der Bundesrat sieht die Voraussetzungen für einen moderaten Öffnungsschritt dennoch gegeben. Der Wiederanstieg der Hospitalisationen erfolgt im Vergleich zu den Fallzahlen relativ langsam und die Durchimpfung schreitet bei den Risikopersonen gut voran: fast 50 Prozent der über 80-Jährigen und rund 30 Prozent der 70- bis 79-jährigen Personen sind vollständig geimpft. Außerdem sind die Verhältnisse auf den Intensivstationen relativ stabil.“
Trotz der Lockerungen seit dem 19. April gelten in der Schweiz weiterhin Regeln wie eine Homeoffice-Pflicht, eine Maskenpflicht in Innenräumen bei der Arbeit, in öffentlichen Verkehrsmitteln, Geschäften und belebten Fußgängerzonen und ein Verbot von Menschenansammlungen im öffentlichen Raum mit mehr als 15 Personen.
Drei-Phasen-Modell in der Schweiz richtet sich nach Fortschritt der Impfungen
Die Schweiz hat im März ein Drei-Phasen-Modell beschlossen, nach denen „mit zunehmendem Impfstand der Bevölkerung“ die Corona-Maßnahmen gelockert werden können. Momentan befindet sich die Schweiz in Phase 1.
Diese Phase gelte, bis alle impfwilligen Personen aus Risikogruppen vollständig geimpft sind, schreibt das Bundesamt für Gesundheit (BAG). „Wie lange die einzelnen Phasen dauern, hängt von der Impfbereitschaft der jeweiligen Bevölkerungsgruppen und dem Verlauf der Impfkampagne ab. Je mehr Personen sich impfen lassen wollen, desto länger dauert die entsprechende Phase.“ (Quelle: BAG, PDF unter „Richtwerte“ zum Download)
Nach offiziellen Angaben wurden in der Schweiz bisher rund 2,3 Millionen Impfdosen verabreicht, 823.878 Personen sind vollständig geimpft (Stand 26. April 2021). Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) berichtete am 23. April, dass rund 60 Prozent aller Über-80-Jährigen geimpft seien.
Laut dem Datenportal „Our World in Data“ haben bis zum 21. April rund 17 Prozent aller Menschen in der Schweiz mindestens eine Impfdosis erhalten. Zum Vergleich: In Deutschland waren es zum selben Zeitpunkt 21 Prozent. Der Anteil der Bevölkerung, der bereits vollständig geimpft ist, also zwei Impfdosen erhalten hat, ist in der Schweiz mit 9,5 Prozent aber größer als in Deutschland (6,8 Prozent).
Redigatur: Matthias Bau, Sarah Thust
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Pressemitteilung des Bundesrats zum Öffnungsschritt in der Schweiz ab 19. April 2021: Link
- Daten und Inzidenzen in der Schweiz in Grafiken, SRF (archiviert mit Stand 27. April 2021): Link
- Bundesamt für Gesundheit: Coronavirus: Maßnahmen und Verordnungen: Link
- Covid-19-Dashboard des Bundesamts für Gesundheit: Link