Faktencheck

Oliver Janich verbreitet haltlose Spekulationen über Wahlbetrug in Sachsen-Anhalt

In einem Video behauptet der rechte Youtuber Oliver Janich, bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt sei in großem Stil Wahlbetrug geschehen. Mehrere seiner Annahmen sind jedoch falsch, und die Hinweise, die er präsentiert, belegen seine Behauptungen nicht. 

von Alice Echtermann

Oliver Janich
Der Youtuber Oliver Janich glaubt, bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt sei betrogen worden. Beweise hat er dafür keine. (Quelle: Bitchute / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)
Behauptung
Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt habe es Wahlbetrug gegeben, das zeige sich an Statistiken zur Wahlbeteiligung, dem Wahlergebnis und der Briefwahl. 
Bewertung
Unbelegt. Keines von Janichs Argumenten enthält einen Beleg für Wahlbetrug. Mehrere seiner Annahmen sind falsch. 

Der Youtuber Oliver Janich wittert bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt den „gigantischsten, dilettantischsten Wahlbetrug aller Zeiten“ in Deutschland. In einem 30 Minuten langen Video erklärt er, er habe gemeinsam mit einem anderen Youtuber Hinweise darauf zusammengetragen. Janich verbreitet das Video unter anderem in seinem Telegram-Kanal mit mehr als 160.000 Abonnenten. Das Quellendokument für das Video, das als PDF ebenfalls auf Telegram geteilt wird, ist eine Sammlung von Statistiken, die von Janich im Video interpretiert werden. Benachteiligt wurde aus Sicht von Janich ausschließlich die AfD, die er auffordert, die Wahl anzufechten. 

Oliver Janich ist ein ehemaliger Journalist, der aktuell vor allem bekannt dafür ist, Verschwörungsmythen zu verbreiten. Er trat in der Vergangenheit zum Beispiel in Videos gemeinsam mit Xavier Naidoo oder der rechten Youtuberin Naomi Seibt auf. 

So viel vorweg: Janichs Ausführungen belegen keinen Wahlbetrug in Sachsen-Anhalt. Es handelt sich um Spekulationen; Janich betrachtet Zahlen und behauptet, diese könnten nicht auf rechtem Wege entstanden sein. Zum Beispiel hält er es offenbar für unplausibel, dass Menschen, die vorher Nichtwähler waren, die CDU gewählt haben. Diese Einschätzungen trifft Janich jedoch ohne Belege. Sie basieren mutmaßlich auf seiner persönlichen Meinung. 

Darauf, dass es bei der Landtagswahl am 6. Juni Unregelmäßigkeiten gab, gibt es auch mehr als eine Woche danach keine Hinweise, geschweige denn Belege. 

Wir haben uns Janichs Video angesehen und seine wichtigsten Behauptungen überprüft. 

1. Behauptung: Der starke Anstieg der Wahlbeteiligung zwischen 16 und 18 Uhr sei ein Hinweis auf Wahlbetrug

Diese Behauptung hat Janich aus einem Artikel auf dem Blog Reitschuster.de übernommen, in dem ebenfalls über Wahlbetrug spekuliert wurde. Es wird argumentiert, da die Wahlbeteiligung zwischen 16 und 18 Uhr von 41 auf 60,3 Prozent stark gestiegen sei, hätten sich lange Schlangen vor den Wahllokalen bilden müssen. Diese seien aber nirgends zu sehen gewesen. 

Dieses Argument ist falsch. Wie uns eine Sprecherin der Landeswahlleiterin Sachsen-Anhalts per E-Mail mitteilte, erhöhte sich die Wahlbeteiligung um 18 Uhr so stark aufgrund der Briefwahl. Bekanntlich durften Briefwahlstimmen am Wahltag noch bis 18 Uhr persönlich abgegeben werden. Sie werden erst ab diesem Zeitpunkt und nicht vorher in die Wahlbeteiligung eingerechnet. 

„Die Wahlbeteiligung um 18 Uhr beinhaltet alle Wahlbezirke (2.628)“, schreibt uns die Sprecherin zur Erklärung. Die Wahlbeteiligung für 12, 14 und 16 Uhr sei dagegen auf Basis einer Stichprobe zur repräsentativen Wahlstatistik von 78 Urnenwahlbezirken ermittelt worden. „Das heißt, zu diesen Zeitpunkten waren noch keine Briefwähler enthalten. Diese fließen erst um 18 Uhr in das Wahlbeteiligungsergebnis ein. Je höher der Briefwahlanteil, desto mehr Einfluss hat er auf die Wahlbeteiligung um 18 Uhr. Wie man aus den Angaben zum Landesergebnis im Internet nachvollziehen kann, läge die Wahlbeteiligung um 18 Uhr ohne Berücksichtigung der Briefwähler im Land bei 42,8 Prozent.“

2. Behauptung: Das Wahlergebnis weiche auffällig von den Umfrageergebnissen ab

Diese Aussage trifft Janich im Video etwa ab Minute 6:19. Tatsächlich wich das vorläufige Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt stark von der letzten Insa-Umfrage vor der Wahl ab – die CDU holte etwa zehn Prozentpunkte mehr, und die AfD bekam 5,3 Prozentpunkte weniger Stimmen. 

Weshalb das kein Beleg für Wahlbetrug ist, haben wir jedoch bereits in einem anderen Artikel erklärt: Wahlumfragen sind Stichproben, die ein Meinungsbild zum jeweiligen Zeitpunkt der Umfrage abbilden. Dieses kann sich bis zur Wahl noch ändern, und es gibt verschiedene Schwachpunkte, die die Aussagekraft von Wahlumfragen begrenzen. Bei der Wahl in Sachsen-Anhalt wird zum Beispiel vermutet, dass viele Menschen strategisch die CDU wählten, damit die AfD nicht stärkste Kraft werden konnte. Belegt ist das nicht. Es kommt jedoch häufiger vor, dass Wahlumfragen „daneben liegen“.  

3. Behauptung: Es sei verdächtig, dass die Briefwahl stark zunahm, aber die ungültigen Stimmen sich im Vergleich zu 2016 halbierten

Janichs Argumentation (im Video ab 8:45) liegt die Annahme zugrunde, dass Menschen, die das erste Mal an der Briefwahl teilnehmen, dabei Fehler machen. Deshalb müsse es mehr ungültige Stimmen geben. Diese Annahme wird durch die Statistik aber nicht gestützt.

Auf den ersten Blick wirkt Janichs Argument plausibel. In diesem Jahr hat sich der Anteil der Briefwahl in Sachsen-Anhalt fast verdoppelt. Bei der Landtagswahl 2016 wählten rund 13,7 Prozent der Wählerinnen per Brief (PDF, Seite 7) – 2021 waren es rund 29,1 Prozent. 

Gleichzeitig hat sich der Anteil ungültiger Stimmen 2021 im Vergleich zu 2016 fast halbiert. 2016 waren 3,1 Prozent aller Erststimmen ungültig, 2021 waren es (laut dem vorläufigen Wahlergebnis) 1,6 Prozent aller Erststimmen. Bei den Zweitstimmen waren es 2016 2,1 Prozent – und 2021 nur 1,4 Prozent. 

Das nimmt Janich als angeblichen Beweis dafür, dass heimlich mehr Wahlzettel produziert und unter die echten Stimmen gemischt worden seien. Die Zahlen belegen diese These aber nicht. 

Bei Briefwahl gibt es immer weniger ungültige Stimmen als an der Urne

Auf Anfrage schickte uns eine Sprecherin der Landeswahlleiterin Sachsen-Anhalt per E-Mail den Anteil der ungültigen Stimmen bei den vergangenen Landtagswahlen jeweils aufgeschlüsselt nach Urnen- und Briefwahl zu. Dabei fällt auf: Der Anteil ungültiger Stimmen lag bei den Briefwahl-Stimmen immer deutlich unter dem der Urnen-Stimmen. 

Offenbar machen Menschen bei der Briefwahl also grundsätzlich weniger falsch als an der Urne. Das ist auch plausibel – zu Hause hat man zum Beispiel mehr Zeit, die Unterlagen in Ruhe durchzulesen und auszufüllen. 

Ungültige Stimmen bei Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt
Der prozentuale Anteil ungültiger Stimmen jeweils an Brief- und Urnen-Stimmen bei Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt seit 1990. Die linke Spalte zeigt den Anteil ungültiger Erststimmen, die rechte die Zweistimmen. (Quelle: Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt / Landeswahlleiterin)

Das Muster setzte sich bei der Landtagswahl 2021 fort: Bei den Urnen-Stimmen seien rund 1,9 Prozent der Erststimmen und rund 1,7 Prozent der Zweitstimmen ungültig gewesen, teilte uns die Sprecherin am 16. Juni per E-Mail mit. Auch das ist weniger als in den Jahren davor. Von den Briefwahl-Stimmen waren 2021 rund 1,1 Prozent der Erststimmen und 0,8 Prozent der Zweitstimmen ungültig. 

Es gibt keinen Beweis, dass Briefwahl-Stimmen gefälscht wurden. Die genauen Gründe, weshalb es 2021 so wenig ungültige Stimmen gibt, sind unklar. Der Anstieg des Briefwahlanteils in diesem Jahr könnte aber eine mögliche Erklärung sein – weil Menschen bei der Briefwahl offenbar weniger Fehler machen als an der Urne. 

4. Behauptung: In allen Wahlkreisen mit hoher Wahlbeteiligung habe die CDU gewonnen, also seien dort Stimmen „draufgeschmissen“ worden

Auch diese Behauptung, der Janich im Video sehr viel Raum gibt (ab Minute 11:00), ist falsch. 

Janich behauptet: „Da, wo die CDU Direktmandate erworben hat, springt plötzlich die Wahlbeteiligung nach oben“ (Minute 17:30). Außerdem sagt er: „Überall da, wo die Wahlbeteiligung total abweicht von den umliegenden Wahlkreisen, da hat fast immer der CDU-Kandidat gewonnen“; das sei ein „ganz deutliches Muster“ (ab Minute 19:50). 

Schon ein einfacher Blick auf die Karte aller Wahlkreise in Sachsen-Anhalt zeigt, dass es auch Wahlkreise mit niedriger Wahlbeteiligung gibt, in denen die CDU gewonnen hat. 

Für Janichs Analyse des angeblichen „Musters“ wurden lediglich die Wahlkreise der Städte Halle (Saale), Magdeburg und Dessau-Rosslau näher untersucht. Das wird in seinem Video nicht deutlich, geht aber aus dem Quellendokument hervor, das er zitiert. 

Am meisten Raum gibt die Analyse der Stadt Halle (Saale), also haben wir uns die Ergebnisse dort ebenfalls näher angeschaut. Die Stadt ist in vier Wahlkreise aufgeteilt. Alle fielen an die CDU, sowohl bei Erststimmen (Direktkandidat) als auch Zweitstimmen. Und das, obwohl die Wahlbeteiligung unterschiedlich hoch war. 

Wahlergebnisse in Halle (Saale)
Die Mehrheit nach Erst- und Zweitstimmen in den vier Wahlkreisen der Stadt Halle, vorläufiges Wahlergebnis (Quelle: Stadt Halle (Saale) / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Das „Muster“, das Janich zu erkennen glaubt, ist auf der Wahlergebnis-Karte der Stadt also nicht vorhanden. Die niedrigste Wahlbeteiligung gab es in Halle I (Wahlkreis 35). In diesem Wahlkreis war die AfD bei der Wahl 2016 stärkste Kraft, jetzt ist sie es nicht mehr.

Auf der Ebene der Stadtteile im Wahlkreis 35 lässt sich das angebliche „Muster“ schon eher entdecken. In einigen Stadtteilen konnte die AfD noch die meisten Erst- und Zweitstimmen holen, und die Wahlbeteiligung war dort tatsächlich eher niedrig. Aber auch hier ist es nicht so, dass die AfD in allen Stadtteilen mit niedriger Wahlbeteiligung gesiegt hat. 

Wahlergebnisse im Wahlkreis Halle I
Die Mehrheit der Zweit- und Erststimmen nach den einzelnen Stadtteilen im Wahlkreis 35 (Halle I) vorläufiges Wahlergebnis (Quelle: Stadt Halle (Saale) / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Janich behauptet außerdem, überall dort, wo die CDU gewonnen habe, sei die Wahlbeteiligung stark gestiegen, weil Stimmen für die CDU „draufgeschmissen“ wurden. Das ergibt keinen Sinn: Die Wahlbeteiligung im Wahlkreis Halle I ist nicht gestiegen, sondern gesunken. Sie lag 2021 bei 52,4 Prozent. 2016, als die AfD diesen Wahlkreis für sich entschieden hat, lag die Wahlbeteiligung in Halle I bei 56,6 Prozent.

Dasselbe gilt für die Wahlkreise Halle II und Halle IV. Nur im Wahlkreis Halle III war die Wahlbeteiligung 2021 geringfügig höher als 2016 (2016: 72,4 Prozent / 2021: 72,6 Prozent) 

Das angeblich „deutliche Muster“ ist also in Halle nicht erkennbar. In der Stadt Magdeburg war die Wahlbeteiligung zwar 2021 in allen vier Wahlkreisen höher als 2016 – es ist aber nicht so, dass die CDU dort plötzlich viel besser abgeschnitten hätte. Die CDU war auch 2016 schon in allen vier Wahlkreisen in Magdeburg die stärkste Kraft. 

Fazit: Oliver Janichs Spekulationen über Wahlbetrug sind haltlos

Die angeblichen Hinweise, die der Youtuber Oliver Janich in den Daten zum vorläufigen Wahlergebnis der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 2021 entdeckt haben will, belegen keinen Wahlbetrug. Seine Schlussfolgerungen werden durch die Zahlen nicht gedeckt. Es gibt keine Belege für Wahlbetrug. 

Redigatur: Sarah Thust, Steffen Kutzner

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Vorläufiges Wahlergebnis der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 2021 (archiviert): Link
  • Sammlung von Statistiken und Grafiken zur Landtagswahl 2021 in Sachsen-Anhalt: Link
  • Sammlung von Statistiken und Grafiken zur Landtagswahl 2016 in Sachsen-Anhalt: Link1, Link2
  • Auswertung des Wahlergebnisses in Halle (Saale): Link
  • Auswertung des Wahlergebnisses in Magdeburg: Link