Doch, es gibt Hunderttausende Menschen mit Flüchtlingsschutz in Deutschland
In einem viralen Facebook-Beitrag wird behauptet, es gäbe „keinen einzigen Flüchtling in Deutschland“. Das stimmt nicht: In Deutschland leben aktuell mehr als 740.000 Menschen mit Flüchtlingsschutz nach dem Asylgesetz.
In einem Facebook-Beitrag wird unter anderem behauptet, es gäbe „keinen einzigen Flüchtling in Deutschland“. Dazu wird ein Videoausschnitt geteilt, in dem ein Mann diese Behauptung damit begründet, dass Menschen, die über sieben Ländergrenzen nach Deutschland gekommen seien, keinen Flüchtlingsstatus haben könnten. Der Beitrag wurde bisher mehr als 1.700 Mal geteilt.
Die Behauptung ist falsch: Es gibt in Deutschland Hunderttausende Menschen mit Flüchtlingsschutz nach Paragraf 3 des Asylgesetzes.
Beim Video handelt es sich um einen Ausschnitt aus einer RBB-Sendung
Bei dem Video im Facebook-Beitrag handelt es sich offenbar um einen Ausschnitt aus der RBB-Sendung „Cottbus Unerhört“ vom 11. Oktober 2018. Es ging darin um die Situation geflüchteter Menschen in der Stadt. Das Originalvideo ist in der ARD-Videothek nicht mehr aufrufbar. Dass es sich um einen Ausschnitt aus der Sendung handelt, konnten wir jedoch über eine Bildergalerie der Lausitzer Nachrichten zur Sendung verifizieren. Dort ist der Mann zu sehen, der im Video spricht – zu erkennen am weißen Hemd und der schwarzen Jacke mit markantem Kragen.
Der Mann im Videoausschnitt behauptet, wer über sieben Ländergrenzen nach Deutschland komme, könne keinen Flüchtlingsstatus haben. Womöglich bezieht er sich auf das sogenannte Dublin-Verfahren, das häufig missinterpretiert wird. Es bedeutet nicht, dass der Asylantrag lediglich in dem EU-Land gestellt werden darf, das eine geflüchtete Person zuerst betritt.
Ein Antrag kann grundsätzlich in jedem EU-Mitgliedstaat gestellt werden; es wird dann aber mittels einer festgelegten Prüfungsreihenfolge geprüft, welcher Staat für die Bearbeitung zuständig ist. Das muss nicht immer der erste Mitgliedstaat sein, in dem eine Person ankommt – bei unbegleiteten Kindern und Jugendlichen ist zum Beispiel oft das Land zuständig, in dem schon Familienangehörige leben.
Das Dublin-Verfahren regelt also, welcher europäische Staat für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz, sprich eines Asylantrags, zuständig ist. Eine Sprecherin des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) schreibt uns dazu per E-Mail: „Die Dublin-Verordnung regelt, dass jeder Asylantrag, der im Dublin-Raum gestellt wird, inhaltlich nur durch einen Staat geprüft wird.“
Das BAMF schreibt auf seiner Webseite außerdem: „Ergibt die Prüfung durch das Dublinzentrum, dass ein anderer Mitgliedstaat für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig sein könnte, wird ein sogenanntes Übernahmeersuchen an den betreffenden Mitgliedstaat gerichtet. Stimmt der Mitgliedstaat dem Übernahmeersuchen zu, stellt das Bundesamt die Unzulässigkeit des Asylantrages fest und ordnet die Abschiebung in den zuständigen Mitgliedstaat an.“ Das Ziel des Verfahrens ist laut BAMF, dass jeder Antrag auf internationalen Schutz nur einmal geprüft und „Sekundärwanderung innerhalb Europas“ begrenzt werde. (PDF, Seite 25).
Deutschland überstellt tatsächlich öfter Menschen an andere Mitgliedstaaten. Laut der Organisation Pro-Asyl gab es 2020 fast 3.000 solcher Fälle. In der Mehrheit der Fälle wird das Gesuch Deutschlands von dem anderen Staat aber abgelehnt.
Wer ist ein Flüchtling?
Wer schutzbedürftig ist, wird international durch die Genfer Flüchtlingskonvention definiert. Darüber informiert die Hohe Flüchtlingskommission der Vereinten Nationen (UNHCR) auf ihrer Webseite. Demnach wird als Flüchtling eine Person definiert, „die sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt oder in dem sie ihren ständigen Wohnsitz hat, und die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung hat und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht vor Verfolgung nicht dorthin zurückkehren kann.“
In Deutschland regelt den Flüchtlingsschutz das Asylgesetz, in dem unter Paragraf 3 die Definition der Genfer Konvention angewandt wird. Wer einen Asylantrag in Deutschland stellt, bei dem wird zunächst eine Asylberechtigung festgestellt und über einen Status beziehungsweise eine Schutzform entschieden.
Laut Bundesregierung leben derzeit mehr als 740.000 Flüchtlinge in Deutschland
Rechtlich gibt es einen Unterschied zwischen Asylberechtigten und Flüchtlingen. Laut Bundesregierung sind die Anforderungen für den Flüchtlingsschutz nach der Genfer Konvention etwas geringer als für Asyl. Während bei Asylberechtigten das Kriterium ist, dass sie politisch (vom Staat) verfolgt werden, kann die Bedrohung bei Flüchtlingen auch anderweitig sein (zum Beispiel in Syrien durch den sogenannten „Islamischen Staat“). Personen, bei welchen dieses Prozedere vollständig und positiv abgeschlossen ist, sind anerkannte Flüchtlinge nach der Genfer Konvention. Sie genießen den sogenannten Flüchtlingsschutz.
Nach Angaben der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken, lebten zum Stichtag 31. Dezember 2020 mehr als 740.000 Menschen mit einem solchen Flüchtlingsschutz in Deutschland (PDF, Seite 4).
Die Behauptung, dass es keinen einzigen Flüchtling in Deutschland gäbe, ist demnach falsch: Der Flüchtlingsschutz wird erst nach einem gesetzlich geregelten, mehrstufigen Verfahren erteilt; in Deutschland leben mehrere Hunderttausende Menschen mit diesem Status.
Redigatur: Uschi Jonas, Alice Echtermann