Nein, der Vulkan auf La Palma hat nicht so viel CO2 ausgestoßen wie deutsche Autos in hundert Jahren
Der Vulkan Cumbre Vieja auf der kanarischen Insel La Palma spuckt seit einem Monat Lava. Auf Facebook wurde behauptet, der Vulkan habe bereits mehr Schadstoffe und CO2 ausgestoßen als deutsche Autos in hundert Jahren. Das stimmt nicht. Die Treibhausgasemissionen des deutschen Verkehrs lagen allein im vergangenen Jahr bei 146 Millionen Tonnen CO2.
Seit dem 24. September kursiert auf Facebook ein Bild mit Text: Angeblich habe der Vulkan Cumbre Vieja auf der spanischen Insel La Palma seit Beginn seines Ausbruchs am 19. September mehr Schadstoffe und CO2 ausgestoßen als der deutsche Autoverkehr in hundert Jahren verursachen könne. Mehrere Beiträge mit derselben Behauptung wurden auf Facebook zusammen mehr als 3.700 Mal geteilt (hier, hier und hier).
Die Aussage stimmt nicht. Wie viel CO2 speziell bei dem Ausbruch des Cumbre Vieja ausgestoßen wurde, dazu gibt es bisher keine Daten (Stand: 20. Oktober 2021). Bei solchen Vulkanausbrüchen wird jedoch grundsätzlich wesentlich weniger CO2 freigesetzt als durch den Verkehr in Deutschland in den vergangenen hundert Jahren. Schadstoffe wie Schwefeldioxid gelangen durch einen Vulkanausbruch zwar verstärkt in die Luft, doch sie spielen laut Forschenden für die Betrachtung des menschengemachten Klimawandels kaum eine Rolle.
Mehr als 87 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland waren laut Umweltbundesamt Kohlendioxid-Emissionen (CO2).
Vulkanologe: „Es handelt sich um eine relativ kleine (wenn auch spektakuläre und sehr zerstörerische) Eruption“
Wir haben bei einem Experten nachgefragt: Boris Behncke ist Vulkanologe am Nationalen Institut für Geophysik und Vulkanologie (INGV) in Italien und erforscht aktuell den dortigen Vulkan Ätna. Behncke schreibt, dass die Behauptung auf dem Bild „Unfug“ sei.
„Es gibt momentan keinerlei Angaben zu den Mengen an CO2 während der laufenden Eruption, aber es ist sicher, dass diese völlig normal (d.h. ein winziger Bruchteil der menschlichen Produktion) sind, denn es handelt sich um eine relativ kleine (wenn auch spektakuläre und sehr zerstörerische) Eruption, eine von vielen Dutzend Eruptionen, die derzeit weltweit im Gang sind“, erklärt der Vulkanologe in einer E-Mail. Alle Vulkane der Welt würden insgesamt nur ein bis drei Prozent der menschgemachten CO2-Produktion ausstoßen, so Behncke.
Behncke erklärte uns schon für einen anderen Faktencheck 2019, dass CO2 nicht erst bei einem Ausbruch eines Vulkans produziert wird.
Aktive Vulkane können auch ohne Eruption Kohlendioxid ausstoßen. CO2-Messungen des vulkanologischen Instituts der Kanarischen Inseln (Involcan) aus dem Jahr 2017 ergaben zum Beispiel, dass der damals ruhige Vulkan Cumbre Vieja täglich etwa 800 Tonnen CO2 ausstieß – zusammengerechnet rund 290.000 Tonnen pro Jahr.
Genaue Daten zum CO2-Ausstoß des Vulkans auf La Palma liegen nicht vor
Wie viel CO2 und wie viele Schadstoffe der Vulkan auf La Palma genau ausstößt, lässt sich insgesamt schwer sagen. Der Vulkanologe Matthias Hort von der Universität Hamburg erklärte den Faktencheckern der Nachrichtenagentur AFP: Genaue CO2-Messungen in der Atmosphäre mit Bezug auf Vulkane seien grundsätzlich schwierig, weil dort bereits CO2 vorhanden sei und deshalb eine genaue Zuordnung der Gase zu bestimmten Emissionsquellen (wie in diesem Fall dem Cumbre Vieja) schwierig sei. Bei anderen Gasen wie Schwefeldioxid sei das hingegen einfacher, da diese praktisch nicht in der Atmosphäre vorkomme.
Selbst die größten Vulkanausbrüche der letzten Jahrzehnte hätten nur relativ wenig CO2-Emissionen verursacht, sagt Boris Behncke. 1991 habe die Eruption des Vulkans Pinatubo auf den Philippinen zum Beispiel 50 Millionen Tonnen CO2 produziert. „Um der jährlichen Menge (im Jahr 2010) von Menschen erzeugten CO2 zu entsprechen, bräuchte es 700 Pinatubo-Eruptionen“, schreibt der Vulkanologe. Der Vulkan in La Palma sei „um Größenordnungen kleiner als Pinatubo“.
2020 verursachte der Verkehr in Deutschland 146 Millionen Tonnen CO2
Wir haben uns zum Vergleich die Verkehrsemissionen in Deutschland angesehen. Angaben für die vergangenen hundert Jahre sind auf der Webseite des Umweltbundesamts nicht verfügbar – aber die Angaben für das vergangene Jahr zeigen, dass die Rechnung auf Facebook nicht aufgeht. Die CO2-Emissionen durch den Verkehr in Deutschland kämen pro Jahr in etwa zwei bis drei Pinatubo-Eruptionen gleich.
Das Umweltbundesamt teilte im März 2021 mit, dass die Treibhausgasemissionen des Verkehrs im Jahr 2020 bei 146 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten lagen. Sie seien im Vergleich zu 2019 um 11,4 Prozent gesunken. „Der Hauptteil dieser Minderung ist darauf zurückzuführen, dass während des ersten Lockdowns weniger Auto gefahren wurde, vor allem auf den langen Strecken.“ Dies würden die niedrigeren Absatzzahlen für Kraftstoffe und Daten von Zählstellen an Autobahnen und Bundesstraßen belegen.
Kohlendioxid macht laut Umweltbundesamt den Großteil des vom Menschen zusätzlich verursachten Treibhauseffektes, also des menschengemachten Klimawandels, aus.
Neben CO2 werden aber auch andere Schadstoffe wie Schwefeldioxid produziert. Im deutschen Verkehr wurden 2019 (Tabelle als Download) 2.200 Tonnen Schwefeldioxid ausgestoßen, seit 1990 waren es etwa 666.700 Tonnen. Die meisten Schwefeldioxid-Emissionen in Deutschland verursacht nicht der Verkehr, sondern vor allem Feuerungsanlagen der Kraft- und Fernheizwerke der Energiewirtschaft (etwa 237.600 Tonnen im Jahr 2019).
Der Vulkanausbruch auf La Palma stößt verglichen mit dem Verkehr tatsächlich mehr Schwefeldioxid aus: Laut Medienberichten sind es seit seinem Ausbruch am 19. September täglich zwischen 8.000 und 20.000 Tonnen.
Allerdings kommt es nur selten zu Vulkanausbrüchen – am Cumbra Vieja zuletzt 1949 und 1971. Der Vulkanologe Behncke betont: „Die Frage sollte nicht sein, was Vulkane da so anstellen – die machen das, was sie immer schon gemacht haben – sondern wie sich unsere zusätzliche Umweltverschmutzung auswirken wird.“
Wie das Umweltbundesamt schon 2019 schrieb, haben auch Vulkanausbrüche Einfluss auf das Klima – sie führen in der Tendenz zu einer Abkühlung der globalen Temperaturen, die jedoch beim Ausbruch einzelner Vulkane nur wenige Jahre andauert.
Warum ein Vulkan in einer Woche nicht so viel CO2 verursacht wie der deutsche Straßenverkehr in 100 Jahren
Am 20. Oktober 2021 ist noch unklar, wie viel CO2 und Schadstoffe der Cumbre Vieja in der ersten Woche nach seinem Ausbruch ausgestoßen hat. Der Ausstoß von CO2 durch einen einzelnen Vulkan liegt aber generell weit unter dem jährlichen CO2-Ausstoß des deutschen Straßenverkehrs.
Die Behauptung, Vulkane stießen mehr CO2 als Menschen aus, kursierte bereits 2019. Christian von Savigny, geschäftsführender Direktor und Professor am Institut für Physik der Ernst-Moritz-Arndt Universität in Greifswald, sagte uns damals: Der durchschnittliche weltweite CO2-Ausstoß von Vulkanen liege zwischen 200 und 300 Millionen Tonnen im Jahr.
Der Forscher sagte auch, dass der jährliche CO2-Ausstoß durch den Menschen weltweit zwischen 30 und 35 Milliarden Tonnen betrage und somit etwa hundertmal größer sei als die gesamten vulkanischen CO2-Emissionen pro Jahr. Deutschland allein hat laut einer Schätzung des Umweltbundesamts im Jahr 2020 insgesamt etwa 739 Millionen Tonnen Kohlendioxid produziert.
Ebenso ist im Fünften Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC) von 2013/14 zu lesen, dass die vulkanischen CO2-Emissionen mindestens hundertmal kleiner seien als die vom Menschen verursachten weltweiten Emissionen (Seite 56).
Update, 7. Oktober 2024: Wir haben an mehreren Stellen im Text präzisiert, dass es in diesem Faktencheck um einen Vergleich des CO2-Ausstoßes in der ersten Woche des Ausbruchs des Cumbre Vieja im Jahr 2021 mit hundert Jahren Verkehrsemissionen in Deutschland geht – und nicht um einen Vergleich mit den Emissionen von Vulkanen generell.
Redigatur: Matthias Bau, Alice Echtermann
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Umweltbundesamt über Treibhausgas-Emissionen in Deutschland (21. Juni 2021): Link
- Umweltbundesamt beantwortet die Frage „Ist der vulkanische CO2-Ausstoß nicht bedeutender als der des Menschen?“: Link
- Emissionen ausgewählter Luftschadstoffe nach Quellkategorien, Umweltbundesamt im Januar 2021: Link
- 2017 schätzte Involcan, dass die CO2-Emissionen des Cumbre Vieja damals 800 Tonnen pro Tag betrugen: Link
- Fünfter Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC) von 2013/14: Link