Nein, Bill Gates und Boris Johnson werden nicht vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt
Eine Überschrift auf der Webseite Unser Mitteleuropa suggeriert, vor dem Internationalen Strafgerichtshof gebe es eine Anklage gegen Boris Johnson und Bill Gates wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das ist nicht der Fall. Eine britische Gruppe schickte dem Gericht lediglich Unterlagen zu und erhielt daraufhin eine Eingangsbestätigung.
„Corona-Impfung: Anklage vor Internationalem Strafgerichtshof wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit!“, titelt die für Desinformation bekannte Webseite Unser Mitteleuropa. Der Artikel vom 21. Dezember 2021 wurde laut dem Analyse-Tool Crowdtangle bereits mehr als 7.500 Mal auf Facebook geteilt. Doch die Überschrift führt in die Irre. Denn dem Gericht wurden zwar (wie es auch im Text heißt) von einer Gruppe Privatpersonen Unterlagen „eingereicht“, in denen unter anderem der britische Premierminister Boris Johnson und der Unternehmer Bill Gates beschuldigt werden. Das bedeutet aber nicht, dass ein Verfahren eröffnet wurde, oder dass es dazu kommen wird.
Auch auf Facebook und Telegram wurden ähnliche Behauptungen verbreitet. In den Beiträgen ist die Rede davon, dass Bill Gates und andere vor dem Internationalen Strafgerichtshof „verklagt“ oder „angeklagt“ worden seien. Auch das ist irreführend.
Es gibt keine Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof, nur eine Beschwerde
Eine „Anklage“ vor dem Internationalen Strafgerichtshof wird von der offiziellen Anklagebehörde (Office of the Prosecutor) erhoben. Und zwar dann, wenn der Fall geprüft und ermittelt wurde, dass tatsächlich ein Verbrechen begangen wurde, für das das Gericht zudem zuständig ist.
Eine Bestätigung des Gerichts darüber, dass die Unterlagen eingereicht wurden, findet sich auf der Webseite Tagesformat, die ebenfalls über den Fall berichtete. Darin macht das Gericht jedoch klar, dass diese „Eingangsbestätigung“ nicht bedeutet, dass ein Verfahren eröffnet sei oder werde. In den Unterlagen der Beschwerde werden unter anderem Boris Johnson und Bill Gates Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zusammenhang mit der Impfung gegen Covid-19 vorgeworfen.
Für einen ähnlichen Faktencheck im März 2021 hatte uns der Internationale Strafgerichtshof bereits erklärt, dass das Versenden einer „Eingangsbestätigung“ („acknowledgement of receipt“) ein routinemäßiges Verfahren bei allen Mitteilungen sei. Man prüfe anschließend die eingegangenen Informationen „unabhängig und unparteiisch“ und entscheide, ob das Gericht überhaupt zuständig sei.
Was ist der Internationale Strafgerichtshof?
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag (International Criminal Court, ICC) untersucht und verhandelt Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Völkermord und seit dem Jahr 2018 auch Verbrechen der Aggression (zum Beispiel Angriffskriege).
Geschaffen wurde das Gericht 1998 durch das sogenannte „Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs“, das 2002 in Kraft trat und aktuell von 123 Staaten ratifiziert wurde. Zu diesen 123 Staaten gehören zum Beispiel Großbritannien und auch Deutschland. Die Ratifizierung bedeutet, dass das Gericht auch tatsächlich in diesen Ländern tätig werden kann.
Wann wird der Internationale Strafgerichtshof tätig?
Immer dann, wenn das Gericht von Situationen erfährt, in denen Völkerrechte verletzt wurden, kann es prüfen, ob diese unter seine Zuständigkeit fallen. Meldungen über potenzielle Verbrechen können ihm von den Staaten, die das Gericht anerkennen, aber auch von jeder anderen Person oder Gruppe auf der Welt eingesendet werden. Das teilte uns das Pressebüro des Gerichts per E-Mail für unseren Faktencheck im März 2021 mit.
Es geht in diesem ersten Schritt also zunächst einmal darum, festzustellen, ob das Gericht überhaupt zuständig ist. Sollte dem so sein, kann die Anklagebehörde Ermittlungen aufnehmen, um den Sachverhalt genauer zu prüfen. Erst danach wird unter Umständen Anklage erhoben.
Die „Anklage“ gegen Bill Gates, Boris Johnson und die Chefs der Impfstoffhersteller Johnson und Johnson, Astrazeneca, Pfizer und Moderna, über die der Artikel von Unser Mitteleuropa berichtet, ist also nicht mehr als ein Hinweis an das Gericht, dass aus der Sicht der Gruppe Völkerrechtsverletzungen stattgefunden haben könnten.
Mitglied der Gruppe ist offenbar der ehemalige Pfizer-Mitarbeiter Mike Yeadon, der in der Vergangenheit mit irreführenden Aussagen zum Coronavirus aufgefallen ist und dessen Aussage in der Impfgegner-Szene weit verbreitet werden. So erklärte Yeadon in einem Interview im November 2020, die Pandemie sei in Großbritannien vorbei, die Herdenimmunität stehe kurz bevor und Viren träten nicht in Wellen auf.
Was mit den Informationen beim Internationalen Strafgerichtshof geschieht und vor allem, ob es zu einer Untersuchung der Vorwürfe und einer anschließenden Verhandlung kommt, ist völlig offen.
Auch im aktuellen Fall haben wir eine Presseanfrage an das Gericht geschickt, aber bisher keine Antwort erhalten.
Redigatur: Sophie Timmermann, Alice Echtermann
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Dokument der Vereinten Nationen: „Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs“: Link
- Artikel der Bundeszentrale für politische Bildung „Der Internationale Strafgerichtshof – Aufbau und Arbeitsweise“: Link