Nein, die USA haben die Existenz von Biowaffen-Laboren in der Ukraine nicht zugegeben
Seit Wochen kursieren in Sozialen Netzwerken Behauptungen darüber, dass in der Ukraine Biowaffen hergestellt oder in Laboren erforscht würden. Eine US-Diplomatin soll das Anfang März in einer öffentlichen Sitzung auch zugegeben haben. Sie sprach jedoch von der generellen Forschung an Krankheitserregern, welche in Laboren weltweit üblich ist.
„Das russische Militär hat in der Ukraine 30 Biolabore entdeckt, von denen angenommen wird, dass sie Biowaffen herstellen“, diese Behauptung verbreitete eine russische Webseite am 7. März. Angeblich arbeiteten sie im Auftrag der USA. Seitdem ist das Thema in Sozialen Netzwerken präsent.
Aufmerksamkeit bekam es zudem nach einer Sitzung im US-Kongress am 8.März, in der die US-Staatssekretärin Victoria Nuland zu dem Thema Stellung nahm. Auf die Frage, ob die Ukraine chemische und biologische Waffen habe, antwortete Nuland, die Ukraine habe biologische Forschungslabore. Die Webseite Report24 titelte daraufhin „USA geben Existenz von Bio-Forschungslabors in Ukraine zu“ und schrieb, es sei eine der „meistverbreiteten Lügen der letzten Tag“, dass es „keine Anhaltspunkte für westliche Biowaffen-Laboratorien in der Ukraine gäbe“.
Auch der für Falschmeldungen bekannte Kopp-Verlag verbreitete auf Facebook ein Video mit dem Titel „US-Regierung bestätigt ‚Verschwörungstheorie‘ von US-Biowaffen-Laboren in der Ukraine“. Das Video wurde bisher mehr als 130.000 mal aufgerufen.
Desinformation zu Biowaffen ist nicht neu. Schon vor einigen Jahren kursierten Falschmeldungen über angebliche Biowaffen in der Ukraine. Auch die aktuellen Behauptungen, die USA habe die Existenz von Biowaffen in der Ukraine zugegeben, ist falsch.
Russland und Ukraine sind Teil des Übereinkommens zum Verbot von Biowaffen
Laut den Vereinten Nationen (UN) gehören Biowaffen zur Gruppe der Massenvernichtungswaffen. Sie verbreiten krankheitserregende Organismen oder Gifte, um Menschen, Tiere oder Pflanzen zu schädigen oder zu töten. Biowaffen können laut der UN Teil von militärischen Strategien sein, für politische Attentate genutzt oder eingesetzt werden, um Nahrungsmittelknappheit zu erzeugen oder Umweltkatastrophen herbeizuführen.
Etwa 200 Viren oder Bakterien können laut der Bundeszentrale für politische Bildung als Biowaffen benutzt werden. Zu den gefährlichsten Erregern zählten Pocken, Pest und Milzbrand. Allerdings verbietet das 1975 in Kraft getretene Übereinkommen zum Verbot biologischer Waffen die Entwicklung, Produktion, Anreicherung und Lagerung biologischer Waffen. Sowohl Russland, die USA als auch die Ukraine und Deutschland haben das Abkommen ratifiziert.
US-Diplomatin sprach von biologischen Forschungslaboren – nicht Biowaffen
Anders als von Report24 und dem Kopp-Verlag behauptet, gab die US-Diplomatin Nuland im US-Kongress die Existenz von Biowaffen in der Ukraine nicht zu. Stattdessen zeigte sie sich besorgt, dass biologische Forschungslabore der Ukraine in die Hände russischer Streitkräfte gelangen könnte. Doch wovon genau sprach die US-Diplomatin?
In biologischen Forschungslaboren wird an gefährlichen Krankheitserregern, Bakterien oder Viren, wie zum Beispiel Sars-Cov-2, geforscht. Krankheitserreger, auch Pathogene genannt, sind in Deutschland in vier Risikogruppen eingeteilt, entsprechend werden auch die Labore, die mit diesen Erregern arbeiten, klassifiziert: von S1 (niedrigste Stufe) bis S4 (höchste Stufe). Sicherheitslabore mit der höchsten Stufe, etwa solche die an Ebola oder dem Marburg-Virus forschen, gibt es weltweit nur wenige. In Deutschland sind es nach Angaben des Robert-Koch-Instituts vier. Dafür, dass es in der Ukraine solche Labore gibt, fanden wir keine Belege.
Labore äquivalent zur Sicherheitsstufe 3 gibt es in der Ukraine, wie in fast allen Ländern der Welt. Labore mit dieser Sicherheitsstufe forschen zum Beispiel an Gelbfieber-Viren, HIV oder dem Coronavirus. Die Erforschung von Krankheitserregern hat also erst einmal nichts mit der Entwicklung von Biowaffen zu tun, sondern ist weltweit üblich und geschieht auch an vielen Universitäten und Forschungszentren in Deutschland.
Eine Liste mit Bakterien, die von Russland veröffentlicht wurde und die angeblich beweisen soll, dass in der Ukraine Biowaffenforschung betrieben wird, haben wir für einen Faktencheck Expertinnen und Experten der DSMZ vorgelegt. Die Forschenden schrieben uns, dass die Bakterien auf der Liste in vielen Laboren zu finden sind und Risikogruppen zuzuordnen sind, die für den Menschen größtenteils harmlos und gut zu behandeln seien. Statt um Biowaffen, handele es sich dabei größtenteils um sogenannte Referenzstämme, die in der Medizin zum Beispiel dafür eingesetzt werden, die Zuverlässigkeit von Tests zu überprüfen.
Warum riet die WHO der Ukraine, Krankheitserreger zu zerstören?
Weil die Krankheitserreger, an denen geforscht wird, bei Austritt dennoch gefährlich werden können, riet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) der Ukraine Mitte März, Pathogene in den öffentlichen Gesundheitslaboren zu zerstören. Denn, so die WHO, würden die Labore durch Kriegsangriffe zerstört, könnten sich die Erreger ungewollt verbreiten. Behauptungen auf Telegram (hier und hier), diese Aufforderung der WHO sei ein Beleg für die „Biowaffenforschung“, sind somit irreführend.
Wie hoch das Risiko von Krankheitsausbrüchen bei einem Angriff ist, ist umstritten. So schreibt die Virologin Isabella Eckerle auf Twitter: „Würde ein Angriff auf ein Labor zu Stromausfall und/oder Zertrümmerung der Gebäude führen, würde dies für die allermeisten Erreger sehr schnell zum Verlust ihrer Infektionsfähigkeit führen durch Auftauen/Austrocknen/Hitze.“ Erreger mit höherer Umweltstabilität müssten im engen Kontakt zwischen einem noch lebensfähigen Erreger und einem Wirt (Mensch, Tier) kommen, was im Fall eines zerbombten Gebäudes eher unwahrscheinlich sei.
Welche Gefahren die Zerstörung von Laboren birgt, hängt also erst einmal davon ab, welche Erreger dort vorhanden sind. HIV beispielsweise verbreitet sich nicht über die Luft und würde somit keine akute Gefahr darstellen.
Die USA arbeitet seit 2005 mit der Ukraine an der Eindämmung biologischer Bedrohungen
Eine weitere Behauptung im Video des Kopp-Verlags: Dass die USA seit 2005 mit der Ukraine zusammenarbeiten, um biologische Risiken einzudämmen und von der Sowjetunion zurückgelassene Biowaffen zu vernichten, sei unglaubwürdig. Suggeriert wird, es werde stattdessen an Biowaffen geforscht. Was ist an der Behauptung dran?
Es ist bekannt, dass sowohl die Sowjetunion, als auch die USA ein Biowaffenprogramm hatten. Nach Ende des Kalten Krieges begannen die USA, von der Sowjetunion in ehemaligen Landesteilen zurückgelassene Biowaffen, aber auch chemische Waffen im Einklang mit Waffenkontrollabkommen sicherzustellen und abzubauen. Dieses Programm nannten sie „Corporate Threat Reduction“.
Im Jahr 2005 entstand aus dieser Initiative das sogenannte „Biological Threat Reduction Program“ in der Ukraine. Auf der Webseite der US-amerikanischen Botschaft in der Ukraine heißt es dazu: Das Programm habe das Ziel, der Bedrohung durch (vorsätzliche, versehentliche oder natürliche) Ausbrüche der gefährlichsten Infektionskrankheiten der Welt entgegenzuwirken.
Laut dem Gesundheitsministerium der Ukraine haben alle Laboreinrichtungen des Landes die Funktion, Krankheitserreger zu identifizieren, die ein „erhebliches epidemisches Potenzial“ besitzen. Weiter würden die Labore Krankheitserreger identifizieren, die international bedeutsam seien und der Regulierung gemäß internationalen Gesundheitsvorschriften unterliegen.
USA haben keine Dokumente über Zusammenarbeit mit Ukraine von Webseite entfernt
Laut eines kürzlich veröffentlichten Faktenblatts des US Verteidigungsministeriums haben die USA bisher etwa 200 Millionen Dollar in der Ukraine investiert und 46 ukrainische Labore, Gesundheitseinrichtungen und Diagnosezentren unterstützt. Es seien zum Beispiel Labore aufgerüstet worden, um sicher an Pathogenen mit der Sicherheitsstufe 2 forschen zu können, so das Verteidigungsministerium. Auch andere internationale Organisationen, wie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, arbeiten mit der Ukraine zusammen, um den Umgang mit Pathogenen zu verbessern.
Bereits 2020 nahm die US-Botschaft Stellung zu den Behauptungen, das Programm fördere die Entwicklung von Biowaffen. In der Stellungnahme heißt es, dass das US-Verteidigungsministerium mit der ukrainischen Regierung zusammenarbeite, „um sicherheitsrelevante Krankheitserreger und Toxine in Einrichtungen der ukrainischen Regierung zu konsolidieren“ sowie eine „friedliche Forschung und Impfstoffentwicklung zu ermöglichen“.
Übrigens: Auf Twitter verbreitete sich die Behauptung, die USA hätten nach den aktuellen Anschuldigungen den Vertrag zur angeblichen „Biowaffenforschung“ von dessen Webseite entfernt. Dabei handelt es sich um die 2005 begonnene Zusammenarbeit zwischen der USA und der Ukraine. Wie der Faktenfinder der Tagesschau berichtet, sind die Dokumente unter der auf Twitter genannten Domain schon länger nicht mehr verfügbar, jedoch weiterhin über die Regierungsseite der USA zugänglich.
Auch Deutsches Institut von Biowaffen-Behauptungen betroffen
In einem Video nahm das russischen Verteidigungsministerium auch die Arbeit des Friedrich-Loeffler-Instituts aus Mecklenburg-Vorpommern als Aspekt angeblicher ukrainischer Biowaffenforschung ins Visier.
Worum aber ging es bei der Zusammenarbeit? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sammelten seit dem Jahr 2020 in Charkiw 140 Parasiten, die zur Untersuchung an das deutsche Institut geschickt wurden. Dabei habe es sich um eine ganz normale epidemiologische Studie gehandelt, so Forschungsdirektor Thomas Mettenleiter gegenüber dem Deutschlandfunk. Ziel sei es gewesen, die Parasiten, zum Beispiel Flöhe und Zecken, darauf zu untersuchen, ob sie für den Menschen gefährliche Erreger in sich tragen.
Fazit: Die Behauptungen, es gebe Biowaffen in der Ukraine sind irreführend und unbelegt. Seit 2005 gibt es eine Partnerschaft zwischen den USA und der Ukraine, die darauf ausgerichtet ist, biologische Risiken zu minimieren. Die Forschung in biologischen Laboren an Krankheitserregern ist weltweit üblich.
Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.
Redigatur: Matthias Bau, Tania Röttger