Faktencheck

Was hinter dem Affenpocken-Übungsszenario der Nuclear Threat Initiative von 2021 steckt

Eine Übung der Münchener Sicherheitskonferenz und der Nuclear Threat Initiative erfand einen Affenpockenausbruch im Jahr 2022. Das sorgt für Spekulationen, der aktuelle Ausbruch der Krankheit sei geplant gewesen. Doch das fiktive Szenario und das tatsächliche Infektionsgeschehen haben nur sehr wenige Gemeinsamkeiten.

von Matthias Bau

Titelbild Affenpocken
Der aktuelle Ausbruch der Affenpocken sorgt im Netz für Spekulationen (Symbolbild: Picture Alliance / Chromorange / Christian Ohde)
Behauptung
Der Ausbruch der Affenpocken sei von der Münchener Sicherheitskonferenz und der Nuclear Threat Initiative „geplant“ worden, das belege ein Papier von 2021.
Bewertung
Falsch. Das Szenario, das im März 2021 von der Münchener Sicherheitskonferenz und der Nuclear Threat Initiative durchgespielt wurde, ist kein Plan, sondern eine Übung, wie man auf den Ausbruch eines ansteckenden Erregers reagieren sollte. Ähnliche Szenarien gab es bereits für Influenza und Lungenpest. Das Affenpocken-Szenario und der aktuelle Ausbruch unterscheiden sich in mehreren Punkten voneinander.

„So wurde die Affenpocken Pandemie geplant“, titelte die österreichische Webseite TKP am 22. Mai. Das „Affenpocken-Szenario“ sei bereits 2021 von der Münchener Sicherheitskonferenz und der Nuclear Threat Initiative (NIT) „entwickelt“ worden. 

In zahlreichen Beiträgen in Sozialen Netzwerken (hier, hier, hier und hier) wurde das Szenario ebenfalls erwähnt; es wird hier jedoch nicht als „Plan“ bezeichnet, sondern lediglich darauf hingewiesen, dass es sich um einen merkwürdigen Zufall handele. 

Tatsächlich existiert dieses Übungsszenario, in dem es um den Ausbruch von Affenpocken im Jahr 2022 geht. Die NIT hat sich auf ihrer Webseite aber schon ausführlich zu den Spekulationen geäußert und diese als unbegründet zurückgewiesen. Übungsszenarien wie dieses werden oft genutzt, um Maßnahmen in Notfällen wie Pandemien vorzubereiten. Zu Ausbrüchen von Affenpocken kam es in der Vergangenheit zudem bereits mehrfach.

Auf Facebook verbreitet sich die Behauptung, der Ausbruch der Affenpocken sei geplant gewesen
Auf Facebook verbreitet sich die Behauptung, der Ausbruch der Affenpocken sei geplant gewesen (Quelle: Facebook; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Was sind die Nuclear Threat Initiative und die Münchener Sicherheitskonferenz? 

Das Dokument, auf das sich die Nutzerinnen und Nutzer bei ihren Spekulationen beziehen, stammt aus dem November 2021. Es ist die Zusammenfassung einer Übung, die am 17. März 2021 von der Münchener Sicherheitskonferenz und der Nuclear Threat Initiative durchgeführt wurde. Solche Übungen gibt es immer wieder. Ziel der Übung war es, das Risiko zukünftiger Pandemien zu reduzieren und die internationale Zusammenarbeit zu verbessern, wie die NTI schreibt

Die NTI ist laut eigener Aussage eine Non-Profit-Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Bedrohung durch nukleare oder biologische Gefahren zu verringern. Die Münchener Sicherheitskonferenz wurde nach eigenen Angaben 1963 gegründet und versammelt in einer Hauptkonferenz jährlich unter anderem Militärs und Politikerinnen und Politiker, um über Fragen der globalen Sicherheit zu sprechen. 

NTI: Übung sollte zeigen, ob aus der Covid-Pandemie Lehren gezogen wurden

Wie die NTI auf ihrer Webseite schreibt, handelte es sich bei der Simulation um die dritte Übung dieser Art. Zwei andere waren bereits im Jahr 2019 und 2020 durchgeführt worden und drehten sich um Ausbrüche von Lungenpest und Influenza. Bei der Übung, die nun Aufsehen erregte, wurde ein Ausbruch von Affenpocken in dem ausgedachten Land Brinia simuliert. 

In der erfundenen Geschichte wurde angenommen, dass sich ein ansteckender und im Labor modifizierter Erreger von Affenpocken nach einem Terroranschlag weltweit verbreite und zu einer Pandemie auswachse. In dem Szenario grassiert die Krankheit 18 Monate, drei Milliarden Menschen erkranken und 270 Millionen sterben.

Dass man sich bei der Simulation für Affenpocken entschieden habe, sei reiner Zufall, schreibt die NTI. Gegenüber dem „Faktenfinder“ der Tagesschau sagte die Vize-Präsidentin der NTI, Jaime Yassif, man habe einen Erreger auswählen wollen, der sich plausibel in das fiktives Szenario einfügen könne. Die Übung habe das Ziel gehabt zu überprüfen, „ob wir aus der Covid-Pandemie etwas gelernt haben bzw. die bestehenden oder geschaffenen Prozesse auch einem leicht anderen Erregertyp und Pandemieverlauf gerecht“ würden.

Affenpocken-Simulation hat wenig mit aktuellem Ausbruch gemeinsam

Mit dem tatsächlichen Ausbruch der Affenpocken hat die Simulation der NTI und der Münchener Sicherheitskonferenz wenig gemeinsam. Laut der Simulation kam es in dem fiktiven Land Brinia, wo Affenpocken normalerweise nicht auftauchen, zwischen dem 15. Mai 2022 und dem 5. Juni 2022 zu 1.421 Fällen und vier Toten. 

Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden bis zum 8. Juni bei dem tatsächlichen Ausbruch 1.285 laborbestätigte Fälle in Ländern registriert, in denen Affenpocken nicht endemisch, also dauerhaft verbreitet, sind. In diesen Ländern gab es jedoch keine Todesfälle (Stand: WHO-Update vom 10. Juni). Erste Fälle wurden am 5. Mai in Großbritannien gemeldet. 

Es ist zudem nicht das erste Mal, dass sich Affenpocken verbreiten: Vereinzelte Ausbrüche gab es schon früher, so etwa 2003 in den USA

In Ländern in denen die Krankheit seit Jahrzehnten dauerhaft vorkommt – etwa Kamerun, Nigeria oder der Demokratischen Republik Kongo (DRK) – gab es zwischen Januar und Juni 2022 insgesamt 72 Todesfälle. Todesfälle gibt es dort aber immer wieder; so starben allein in der DRK von Januar bis September 2020 laut der WHO 171 Menschen an der Erkrankung. 

Anders als im Übungsszenario und von der Webseite TKP behauptet, handelt es sich zudem nach aktuellen Erkenntnissen nicht um einen „neuartigen Virus“. Allgemein werden zwei Affenpockenvarianten unterschieden: die zentralafrikanische (auch Kongobecken-Variante genannt) und die westafrikanische Variante. Die zentralafrikanische Variante ist laut WHO ansteckender und kann zu schwereren Krankheitsverläufen führen. Die WHO schrieb am 29. Mai, vorläufige Analysen bestätigten, dass die aktuellen Affenpocken-Fälle zu der westafrikanischen Variante gehörten. 

Nach bisherigen Erkenntnissen verbreitete sich die Krankheit vor allem unter Menschen, die sexuellen Kontakt hatten, schrieb die WHO am 10. Juni

Redigatur: Sophie Timmermann, Alice Echtermann 

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • FAQ der Nuclear Threat Initiative zu der Spekulation, der Affenpockenausbruch sei geplant gewesen: Link
  • Dokument der NTI von November 2021 mit dem Übungsszenario: Link (archiviert)