Warum die Behauptung, Deutschland habe die höchsten Strompreise weltweit, zu kurz greift
„Deutschland hat die höchsten Strompreise der Welt“, heißt es auf einer Facebook-Seite. Behauptungen wie diese kursieren immer wieder im Internet – sie basieren jedoch auf Daten mit teils unklarer oder alter Quelle, die zudem den Faktor Kaufkraft ignorieren. Insgesamt fehlt den Behauptungen wesentlicher Kontext.
Die Facebook-Seite „Heimatliebe ist kein Verbrechen“ teilte am 6. Juni ein Bild mit dem Satz: „Deutschland hat die höchsten Strompreise der Welt. Und wir sollen jetzt mit Strom fahren. Genialer Plan.“ Belege dafür, dass Deutschland wirklich die höchsten Strompreise der Welt hat, lieferte die Seite nicht, der Beitrag wurde dennoch 40.000 Mal geteilt (Stand: 17. Juni). Wir haben die Behauptung (hier und hier) bereits im März 2022 in einem Faktencheck überprüft.
Da Strompreise stark schwanken, kann ein internationaler Vergleich je nach Zeitpunkt der Datenerhebung zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Wichtig ist zudem die Kaufkraft zu berücksichtigen. Die Kaufkraft zeigt an, wie viel Geld eine Person in einem Land zur Verfügung hat. Bezieht man das in den Vergleich mit ein, lässt sich die Behauptung, Deutschland habe die höchsten Strompreise weltweit, nicht halten.
Aktuelle Daten zeigen: Nein, in Deutschland ist der Strom nicht am teuersten
Wir haben die Behauptung schon im März in einem Faktencheck überprüft. Mehrere Facebook-Beiträge bezogen sich damals auf Medienberichte, in denen es heißt, Deutschland habe die höchsten Strompreise der Welt. Bei der aktuellen Behauptung fehlen Verweise auf mögliche Quellen jedoch komplett. Wir haben uns daher angeschaut, ob sich an der Datenlage seit März etwas geändert hat.
Bei unserer vorherigen Recherche fanden wir eine weltweite Analyse des Strompreis-Vergleichsportals Verivox. Dort wird Deutschland als Land mit den höchsten Strompreisen aufgeführt – doch die Daten stammen vom zweiten Quartal 2021. „Ob Deutschland nach wie vor Spitzenreiter ist, ist mit unseren eigenen Daten nicht zu beantworten“, schrieb uns ein Sprecher des Unternehmens im März.
Auf Nachfrage bei Verivox erfuhren wir damals zudem, dass die Karibikinsel Bermuda nicht in der Auswertung berücksichtigt wurde, obwohl die Strompreise dort höher als in Deutschland waren. Das Land sei ein Sonderfall, schrieb uns der Sprecher auf Anfrage.
Inzwischen gibt es neuere Daten von Global Petrol Prices, die Statistik, auf die sich Verivox 2021 damals bezog. Aktuellere Daten von September 2021, die mittlerweile öffentlich zugänglich sind, zeigen, dass Deutschland auf Platz 4 liegt, hinter Bermuda, Dänemark und den Kaimaninseln. Auch laut der europäischen Statistikbehörde Eurostat lag Dänemark in der zweiten Jahreshälfte von 2021 im europäischen Vergleich vor Deutschland.
Aktuelle Strompreise in Deutschland liegen unter denen in Italien
Wie sieht die Situation heute aus? Die aktuellen Strompreise in Deutschland sind schwer zu ermitteln, offizielle Zahlen liegen nicht vor. Das Vergleichsportal Verivox schätzt nun, dass Strom im Juni 2022 für Haushalte, die im Jahr durchschnittlich 4.000 Kilowattstunden verbrauchen, 39,68 Cent pro Kilowattstunde kostet, im März waren es noch 37,02 Cent pro Kilowattstunde.
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft gibt auf seiner Webseite an, dass Haushalte, die durchschnittlich 3.500 Kilowattstunden Strom verbrauchen, im April einen Preis von 37,14 Cent pro Kilowattstunde bezahlen mussten.
Vergleicht man die Preise in Deutschland mit denen in Italien, zeigen sich deutliche Unterschiede. Im ersten Quartal 2022 zahlten Verbraucherinnen und Verbraucher bei einem Jahresverbrauch von 2.700 Kilowattstunde laut der italienischen Regulierungsbehörde für Energie, Netze und Umwelt (Arera) 46,03 Cent pro Kilowattstunde, also absolut gesehen mehr als in Deutschland. Im zweiten Quartal sank der Preis auf 41,34 Cent pro Kilowattstunde.
Bezieht man die Kaufkraft ein, liegt Deutschland im weltweiten Strompreisvergleich auf Platz 15
Neben der Aktualität der Daten ist für einen internationalen Vergleich auch die sogenannte Kaufkraft wichtig. Mit dem Begriff Kaufkraft wird angegeben, wie viele Güter mit einer bestimmten Menge Geld gekauft werden können. Wenn die Lebenshaltungskosten steigen, sinkt die Kaufkraft, das heißt der Wert des Geldes verringert sich, wie die Bundeszentrale für politische Bildung erklärt.
Weil die Menschen in unterschiedlichen Ländern nicht über die gleiche Kaufkraft verfügen, reicht es daher nicht aus, nur die absoluten Preise für Strom zu vergleichen.
Verivox hat seinen weltweiten Strompreisvergleich sowohl mit absoluten Preisen, als auch mit kaufkraftbereinigten Daten durchgeführt. Während Deutschland bei der ersten Methode auf Platz zwei hinter Bermuda landet, ändert die Berücksichtigung der Kaufkraft die Reihenfolge deutlich. „Unter Berücksichtigung der vergleichsweise hohen Kaufkraft lagen die Strompreise in Deutschland im weltweiten Vergleich auf Platz 15“, schrieb uns der Sprecher des Vergleichsportals im März. Insgesamt verglich Verivox 133 Länder. In Rumänien, Tschechien oder Guatemala zum Beispiel war Strom kaufkraftbereinigt teurer als in Deutschland.
Es gibt öffentlich keine aktuellen vergleichbaren Daten für alle Länder
Strompreise schwanken, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in den meisten Ländern. Ein internationaler Vergleich kann je nach Zeitpunkt der Datenerhebung zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Aktuelle vergleichbare Daten für alle Länder weltweit liegen zum jetzigen Zeitpunkt nicht öffentlich vor.
Redigatur: Matthias Bau, Sophie Timmermann
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Strompreisanalyse Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, 6. Mai 2022: Link
- Strompreise in Italien, italienische Regulierungsbehörde für Energie, Netze und Umwelt, zweites Quartal 2022: Link
- Verbraucher-Atlas: Weltweite Strompreise, Verivox, November 2021: Link
- Weltweite Energiepreise im September 2021, Global Petrol Prices: Link (archiviert)