Faktencheck

US-Finanzierung von 46 Biolaboren in der Ukraine ist bekannt und hat nichts mit Biowaffen zu tun

Eine Webseite behauptet, das US-Verteidigungsministerium habe die Finanzierung von Laboren endlich „eingeräumt“ – eine scheinbar brisante Meldung, deren Inhalt jedoch weder neu ist, noch Aufschluss über ein Biowaffenprogramm gibt. Behauptungen zu der Finanzierung und der Arbeit in den Forschungslaboren fehlt wesentlicher Kontext.

von Sophie Timmermann

Symbolbild Biolabor
Seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine mehrt sich Desinformation zu angeblichen Biowaffenprogrammen in der Ukraine. Es gibt zudem wichtige Unterschiede zwischen Biowaffen und biologischen Forschungslaboren. (Symbolbild: Picture alliance / Photothek / Thomas Koehler)
Behauptung
Das US-Verteidigungsministerium habe eingeräumt, in der Ukraine 46 Biolabore finanziert zu haben.
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. Das US-Verteidigungsministerium hat die Finanzierung von 46 Biolaboren nicht „eingeräumt“, sie ist seit geraumer Zeit bekannt. Mit Biowaffen hat diese Finanzierung nichts zu tun. Die USA arbeiten seit 2005 mit der Ukraine zusammen, um Forschungslabore und Gesundheitszentren aufzurüsten und Krankheitsausbrüche zu vermeiden.

„Pentagon räumt Finanzierung von 46 Biolaboren in der Ukraine ein“, titelte der Anti-Spiegel am 11. Juni. Bisher seien laut der Webseite Meldungen über „US-Biowaffenprogramme“ als unwahr bezeichnet worden. Nun hätten die USA die Finanzierung der Labore aber „eingeräumt“. Auch auf Instagram und Facebook verbreitet sich die scheinbar brisante Enthüllung. 

Die Finanzierung dieser Biolabore in der Ukraine ist jedoch seit geraumer Zeit bekannt – mit Biowaffen hat sie nichts zu tun, wie wir bereits in mehreren Faktenchecks berichteten. Seit Februar kursieren international Falschmeldungen zu angeblichen Biowaffenlaboren in der Ukraine. Auch ein deutsches Forschungsinstitut wurde in diesem Zusammenhang fälschlich beschuldigt Teil der angeblichen Biowaffenforschung zu sein.

US-Verteidigungsministerium sprach schon im März in einem Faktenblatt von 46 Laboren

Der Anti-Spiegel spekulierte am 9. Juni über ein Faktenblatt des Pentagons, dass Fragen rund um die Finanzierung der Labore beantwortet: „Wenn alles ganz harmlos und dem guten Zweck dient, wozu dann die Geheimniskrämerei?“ In dem Faktenblatt erfahre man, dass die USA „sogar 46 Biolabore in der Ukraine finanziert hat, was bisher weitgehend bestritten wurde“. Das stimmt nicht.

Bereits 2020 nahm die US-Botschaft Stellung zu den Behauptungen, die sie in einer Stellungnahme als „Desinformation“ bezeichnete. Demnach arbeite das US-Verteidigungsministerium mit der ukrainischen Regierung zusammen, um unter anderem dafür zu sorgen, dass Krankheitsausbrüche frühzeitig erkannt und gemeldet werden. 

Am 11. März 2022 veröffentlichte das US-Verteidigungsministerium ein Faktenblatt, in dem es diese Arbeit genauer beschreibt: Bis dato hätten die USA etwa 200 Millionen Dollar in der Ukraine investiert und 46 ukrainische Labore, Gesundheitseinrichtungen und Diagnosezentren unterstützt. Auch andere internationale Organisationen, wie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, arbeiten mit der Ukraine zusammen, um einen sicheren Umgang mit Krankheitserregern zu gewährleisten. 

Faktenblatt der USA
Einige Fakten zu der Kooperation der USA mit der Ukraine, die im März veröffentlicht wurden (Quelle: US-Verteidigungsministerium; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

John Gilbert, Senior Science Fellow beim Zentrum für Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung von Waffen, erklärt uns auf Anfrage, die 46 Standorte in der Ukraine seien eine Kombination aus medizinischen Forschungslaboren und Diagnosestandorten des ukrainischen Gesundheitsministeriums für Menschen und des Landwirtschaftsministeriums für Tiergesundheit. „Keine dieser 46 Einrichtungen, darunter zwei auf der Krim, die 2014 von russischen Streitkräften erobert wurden, wurde jemals für Biowaffentests oder Produktionsarbeiten konzipiert oder genutzt.“

In dem Faktenblatt von Juni wiederholte das US-Verteidigungsministerium Informationen, die bereits im März veröffentlicht wurden, und schreibt: Die Ukraine habe keine nuklearen, chemischen oder biologischen Waffenprogramme. Die Vereinten Nationen bestätigten in einer Sitzung des Sicherheitsrats am 18. März, dass ihnen keine Biowaffenprogramme der Ukraine bekannt seien. 

Entfernte die USA Informationen zu der Zusammenarbeit von seiner Webseite? 

Weiter behauptet der Anti-Spiegel, dass „die Informationen über die Finanzierung vor Beginn der russischen Intervention auf der Seite des Pentagon zu finden waren“. Nach Beginn des Krieges seien sie jedoch gelöscht worden. Mit der Behauptung bezieht sich die Webseite auf Faktenblätter zu einzelnen ukrainischen Laboren, die von der Webseite der US-Botschaft in Kiew verschwunden sein sollen. 

Die Faktencheck-Redaktion von Politifact hat sich schon im März ausführlich mit der international kursierenden Behauptung befasst. Ein Pressesprecher der US-Regierung sagte gegenüber Politifact, die URLs zu den Faktenblättern seien durch ein Upgrade der Webseite in den Jahren 2015 und 2016 seit Mai 2021 defekt. Nachdem bekannte wurde, dass die URLs nicht funktionierten, habe man diese erneuert, der Inhalt der Faktenblätter änderte sich dadurch nicht. 

Wie Politifact berichtete, wurden die Faktenblätter weiterhin prominent in der rechten Leiste der Webseite angezeigt. Die ursprünglichen URLs waren immer noch vorhanden und sind über das Internetarchiv einsehbar.

Webseite der US-Botschaft in Kiew
Auf der Webseite der US-Botschaft in Kiew sind in der rechten Seitenleiste Faktenblätter zu ukrainischen Laboren aufgelistet. Die URLs waren laut US-Regierung aufgrund eines Webseiten-Updates defekt und wurden nach Bekanntwerden des Defekts erneuert. Am Inhalt der Faktenblätter änderte sich dadurch nichts. (Quelle: US-Botschaft in Kiew; Screenshot und Markierung: CORRECTIV.Faktencheck)

Ähnliche Behauptungen über angeblich gelöschte Dokumente zur Zusammenarbeit zwischen der USA und der Ukraine bei Biolaboren kursierten bereits im März. Wie der Faktenfinder der Tagesschau recherchierte, waren die Dokumente jedoch weiterhin über die Regierungsseite der USA zugänglich. 

Die USA arbeiten seit 2005 mit der Ukraine an der Eindämmung biologischer Gefahren

Die Zusammenarbeit zwischen den USA und der Ukraine geht ursprünglich auf ein Programm namens „Corporate Threat Reduction“ zurück, das nach dem Kalten Krieg entstand. Sowohl die Sowjetunion, als auch die USA verfügten über ein Biowaffenprogramm. Nach Ende des Krieges begannen die USA, von der Sowjetunion in ehemaligen Landesteilen zurückgelassene Biowaffen und chemische Waffen im Einklang mit Waffenkontrollabkommen abzubauen. 

„Das Programm sollte die Nachfolgestaaten der Sowjetunion finanziell und technologisch unterstützen und bei der Beseitigung oder Neuausrichtung von nuklearen, chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffenprogrammen helfen“, schreibt uns John Gilbert. Finanzielle und technische Unterstützung sei bereitgestellt worden, um sicherzustellen, dass das sowjetische Programm, das mehrere aktive Produktions- und Testeinrichtungen in Russland, Kasachstan und Usbekistan – aber nicht in der Ukraine – hatte, geschlossen wurden. Einrichtungen seien umfunktioniert und gegen Missbrauch gesichert worden. 

Im Jahr 2005 entstand aus dieser Initiative das sogenannte „Biological Threat Reduction Program“ in der Ukraine. Auf der Webseite der US-amerikanischen Botschaft in der Ukraine heißt es dazu, das Programm habe das Ziel, der Bedrohung durch (vorsätzliche, versehentliche oder natürliche) Ausbrüche der gefährlichsten Infektionskrankheiten der Welt entgegenzuwirken. Dazu zählt die Unterstützung von Laboren und Gesundheitszentren.

Anders als vom Anti-Spiegel behauptet, betreiben die USA diese Labore nicht, wie uns ein Pressesprecher der Defense Threat Reduction Agency  – die das Programm leiten – auf Anfrage bestätigte: Der ukrainischen Regierung gehörten die Labore und würden von ihr betrieben.

Forschung in Biolaboren weltweit üblich

Der Anti-Spiegel verwendet die Begriffe Biowaffenlabore und Biolabore synonym – doch es gibt wesentliche Unterschiede. 

Laut den Vereinten Nationen (UN) gehören Biowaffen zur Gruppe der Massenvernichtungswaffen. Sie verbreiten krankheitserregende Organismen oder Gifte, um Menschen, Tiere oder Pflanzen zu schädigen oder zu töten. Biowaffen können laut der UN Teil von militärischen Strategien sein, für politische Attentate genutzt oder eingesetzt werden, um Nahrungsmittelknappheit zu erzeugen oder Umweltkatastrophen herbeizuführen. 

In biologischen Forschungslaboren wird an Krankheitserregern, Bakterien oder Viren geforscht. Werden sie im Zuge eines Krieges zerstört, kann dies zur Gefahr für die Bevölkerung werden. Auch deshalb riet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) der Ukraine Mitte März, Pathogene in den öffentlichen Gesundheitslaboren zu zerstören. Denn, so die WHO, würden die Labore durch Kriegsangriffe zerstört, könnten sich die Erreger ungewollt verbreiten. 

Die Labore sind in vier Sicherheitsstufen eingeteilt, die mit diesen Erregern unterschiedlicher Risikogruppen arbeiten. Sicherheitslabore mit der höchsten Stufe (4), etwa solche die an Ebola oder dem Marburg-Virus forschen, gibt es weltweit nur wenige. In Deutschland sind es nach Angaben des Robert-Koch-Instituts vier. Dafür, dass es in der Ukraine solche Labore gibt, fanden wir keine Belege (Stand: 12. Juli 2022). Labore äquivalent zur Sicherheitsstufe 3 gibt es in der Ukraine, wie in fast allen Ländern der Welt. Sie forschen zum Beispiel an Gelbfieber-Viren, HIV oder dem Coronavirus. 

Ausschnitt einer Weltkarte
Ausschnitt einer Weltkarte mit Fokus auf Europa, die angibt, wo es Biolabore mit der Sicherheitsstufe 4 gibt (Quelle: Global Biolabs Project; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Die Erforschung von Krankheitserregern hat also erst einmal nichts mit der Entwicklung von Biowaffen zu tun, sondern ist weltweit üblich und geschieht auch an vielen Universitäten und Forschungszentren in Deutschland.

Alle Faktenchecks, die wir im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine veröffentlicht haben, finden Sie hier.

Redigatur: Sarah Thust, Matthias Bau

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Faktenblatt des US-Verteidigungsministerium vom 11. März: Link
  • Faktenblatt des US-Verteidigungsministerium vom 9. Juni: Link
  • Hochsicherheitslabor 4 – Antworten auf häufig gestellte Fragen, RKI: Link (archiviert)
  • Die Geschichte des Corporate Threat Reduction Program, Defense Threat Reduction Agency: Link