Putins Teilmobilisierung: Video beweist keinen Stau von 35 Kilometern am Grenzübergang zu Finnland
Am 21. September verkündete Wladimir Putin die Teilmobilisierung russischer Streitkräfte. Ein in Sozialen Netzwerken geteiltes Video soll zeigen, dass sich noch am selben Tag ein 35 Kilometer langer Stau an einem Grenzübergang zu Finnland bildete. Doch es entstand mehrere Wochen vor Putins Ankündigung.
Am 21. September verkündete Wladimir Putin die Teilmobilisierung der russischen Streitkräfte (hier). Demnach sollen alle russischen Reservisten mit Kampferfahrung ab sofort für den Krieg in der Ukraine mobilisiert werden.
Noch am selben Tag hieß es in einem Beitrag auf Twitter: „Der Stau an der Grenze zwischen Russland und Finnland hat eine Länge von 35 Kilometern nach der heutigen Ansprache von Putin und der Ankündigung der Teilmobilisierung.“ Als Beweis wird dazu ein Video geteilt, das angeblich den Stau am Grenzübergang zeigt. Der Beitrag wurde inzwischen gelöscht, doch er wurde zuvor rund 500 Mal geteilt. Die gleiche Behauptung kursiert in einem englischen Twitter-Beitrag eines Journalisten, der – bevor er ebenfalls gelöscht wurde – mehr als 10.000 Mal geteilt wurde. Deutsche Medien nutzten diesen Tweet als Quelle und berichteten am 21. September von dem 35 Kilometer langen Stau (hier und hier).
Das Video, auf das sich die Behauptung stützt, entstand jedoch mehrere Wochen vor der Ankündigung Putins. Die finnische Grenzschutzbehörde teilte auf Twitter mit, dass sich die Situation an der Grenze am selben Tag nicht auffällig verändert habe.
Video des Staus an der Grenze zwischen Russland und Finnland stammt vom 29. August
Ein Nutzer namens „Igor in Russia“ veröffentlichte das Originalvideo des Staus bereits am 19. September auf Youtube und TikTok. Nachträglich kommentierte er darunter auf Tiktok: „Das Video wurde vor der Ankündigung gefilmt, bitte reißt es nicht aus dem Kontext.“
Wir haben „Igor in Russia“ kontaktiert. Er bestätigte, dass er der Urheber des Videos ist und hat uns die Originalaufnahme geschickt. Die Metadaten belegen: Das Aufnahmedatum ist der 29. August 2022; der Aufnahmeort liegt am Grenzübergang Vaalimaa im Südosten Finnlands, einer von insgesamt elf Grenzübergängen zwischen Russland und Finnland.
Grenze zu Finnland: Kein erhöhtes Verkehrsaufkommen am Tag von Putins Verkündung der Teilmobilisierung
Am Grenzübergang Vaalimaa ist eine Webcam installiert. Die Aufnahmen vom 21. September zeigen eine Schlange mit nur wenigen Fahrzeugen. Aufnahmen am Abend des Tages zeigen jedoch eine längere Schlange.
Im ARD-Brennpunkt vom 21. September hieß es (ab Minute 2:42): „Diese Webcam an der finnischen Grenze zeigt seit einigen Tagen lange Staus.“ Die von der ARD gezeigte Aufnahme stammt vom 21. September um 16:48 Uhr, zu sehen ist der Übergang Vaalimaa. Ob die Fahrzeuge tatsächlich in einer 35 Kilometer langen Schlange stehen, lässt sich anhand der Bilder aber nicht erkennen.
Die finnische Grenzschutzbehörde dementierte zudem am 21. September auf Twitter, dass es sich bei dem in Sozialen Netzwerken verbreiteten Video um ein Abbild der Lage desselben Tages handele: „Die Situation an der finnischen Grenze hat sich durch die Ankündigung der russischen Mobilmachung nicht verändert. In Sozialen Netzwerken kursieren Videos, von denen zumindest einige bereits zuvor gefilmt und nun aus dem Zusammenhang gerissen wurden.“
Ville Cantell, Leiter der Abteilung nachhaltige Entwicklung und Handelskommunikation des finnischen Außenministeriums, schrieb am 21. September um 17:43 Uhr nachmittags in einem Twitter-Beitrag: „Die Schlange an der Grenze zwischen Russland und Finnland ist aktuell nur 250 Meter lang. Die Situation ist ruhig.“ Auf welchen Grenzübergang er sich genau bezieht, ist unklar.
Matti Pitkäniitty, Leiter für internationale Angelegenheiten des finnischen Grenzschutzes, schrieb am Morgen des 22. September auf Twitter, der Verkehr habe sich in der Nacht intensiviert. Am 21. September seien 4.824 Personen aus Russland über die Grenze eingereist. Am selben Tag der Vorwoche (Mittwoch) seien es 3.133 Personen gewesen. Die Zahl von 4.824 Personen sei niedriger als an einem normalen Wochenende.
Zahl der Ausreisen über Landesgrenzen und Preise für Flüge aus Russland steigen
Das Video wurde also in falschem Kontext verbreitet – tatsächlich gibt es aber zahlreiche Berichte (hier und hier) über vermehrte Ausreisen aus Russland, neben Finnland zum Beispiel nach Georgien, Armenien, Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan, in die Mongolei oder die Türkei. Dies bestätigte Russland laut Medienberichten vom 24. September auch selbst.
Preise für Flüge aus Russland seien gestiegen und Direktflüge in Nachbarländer, für die kein Visum benötigt werde, seien vorerst ausverkauft, berichtete das russische Nachrichtenportal RBC am 21. September auf Telegram. Laut einem Artikel der russischen Zeitung Novaya Gazeta vom 25. September hieß es aus Kreisen der Präsidialverwaltung, dass seit Ankündigung der Teilmobilisierung etwa 261.000 Männer Russland verlassen hätten.
Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.
Redigatur: Steffen Kutzner, Alice Echtermann
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck: