Faktencheck

Für einen angeblichen Anschlag auf Wladimir Putin gibt es keine Belege

Im Netz kursiert die Behauptung, im September habe es einen Anschlag auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin gegeben. Englischsprachige Medien griffen das Gerücht auf – ihre einzige Quelle: ein dubioser Telegram-Kanal, der schon häufiger unbelegte Behauptungen über Putin verbreitet hat.

von Paulina Thom

Wladimir Putin
Im Netz verbreitete sich die Meldung, es habe Mitte September einen Anschlag auf den Wagen des russischen Präsidenten Wladimir Putin gegeben. Wir konnten für diese Behauptung jedoch keine Belege finden. (Quelle: Picture Alliance / DPA / Valery Sharifulin)
Behauptung
Es habe kürzlich einen Anschlag auf die Limousine von Wladimir Putin gegeben.
Bewertung
Unbelegt. Der Kreml dementierte den angeblichen Anschlag auf Putin. Der Telegram-Kanal, auf den sich die Behauptung stützt, ist schon häufiger mit unbelegten Behauptungen über Putin aufgefallen. Belege für das angebliche Attentat konnten wir nicht finden.

„Vor wenigen Stunden wurde bekannt, dass es mitten in Moskau einen Anschlag auf die Limousine des russischen Präsidenten gegeben haben soll“, heißt es in deutschsprachigen Beiträgen vom 15. September auf Telegram und Facebook. Wladimir Putin habe den Vorfall unverletzt überstanden. Kurz darauf seien mehrere Leibwächter entlassen worden. Allein auf Telegram sahen mehr als 250.000 Menschen den Beitrag. 

Die Beiträge beziehen sich auf einen Artikel der britischen Daily Mail vom 14. September 2022. Laut einer Kreml-kritischen Quelle wurde Putins Limousine bei einem möglichen „Anschlag“ von einem „lauten Knall getroffen“, der russische Staatschef blieb unverletzt, heißt es darin. Es existieren weitere Medienberichte über das Gerücht, die kurz danach erschienen – zum Beispiel vom Daily Star, The Mirror und der in Spanien erscheinenden EuroWeekly News. „Attentat auf Putins Auto wegen der Invasion in der Ukraine“, twitterte das britische Boulevardblatt The Sun am selben Tag. 

Die Medienberichte zitieren ausnahmslos eine einzige Quelle: den Telegram-Kanal „General SVR”, der nach eigener Aussage über Insiderwissen aus dem Kreml verfügt. Wir haben recherchiert: Der Kanal verbreitete schon mehrfach unbelegte Behauptungen über Putin; unter anderem, dass er an Krebs, Parkinson und einer psychischen Krankheit leide. Für das angebliche Attentat konnten wir keine Belege finden. Der Kreml dementierte den Vorfall laut der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti

Keine Belege für das angebliche Attentat auf Wladimir Putin im September 2022

Am 14. September berichtete der russischsprachige Telegram-Kanal „General SVR“ über das angebliche Attentat, einige Stunden später erschien die Meldung im englischsprachigen Ableger des Kanals. Die Geschichte wird darin sehr detailliert geschildert, genaue Orts- und Zeitangaben fehlen aber: Laut des Beitrages wurde der erste Wagen einer Fahrzeugkolonne des Präsidenten von einem Krankenwagen blockiert. Beim Umfahren des Hindernisses sei es im dritten Wagen – in dem Putin angeblich saß – zu einem lauten Knall am linken Vorderrad und starker Rauchentwicklung gekommen. Bis auf den blockierten ersten Wagen habe die Kolonne die Fahrt fortsetzen können. 

Die Untersuchung des Attentats sei geheim, alle Informationen darüber unter Verschluss, wird weiter behauptet. Da nur die Sicherheitsbeamten des Präsidenten von der Fahrt wussten, seien mehrere von ihnen suspendiert und festgenommen worden. Die Personen, die im ersten Wagen der Kolonne saßen, seien verschwunden.

Screenshot des Telegram-Beitrages über das angebliche Attentat auf Putin
In dem Telegram-Beitrag von „General SVR“ über den angeblichen Anschlag fehlen genaue Orts- und Zeitangaben (Quelle: Telegram; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Wie die Nachrichtenagentur AFP in einem Faktencheck berichtet, verbreiteten sich in Myanmar zwar Fotos, die das angebliche Attentat belegen sollen. Der Kontext ist jedoch falsch: Es handelt sich um Aufnahmen, die die Zeitung The Sun bereits 2016 in einem Artikel über einen tödlichen Unfall in Moskau veröffentlicht hatte. 

Wir konnten keine belastbaren Quellen für ein aktuelles Attentat auf Putin finden. Wir haben mit einer Schlagwortsuche auf Russisch („Anschlag auf Putin“, „Attentat auf Putin“) bei Google und Yandex sowie den staatlichen russischen Nachrichtenagenturen RIA Novosti und Tass keine Medienberichte im September gefunden, die sich auf eine andere Quelle als den Telegram-Kanal „General SVR“ beziehen. Mit den Schlagworten finden sich auch keine Videoaufnahmen des angeblichen Vorfalls. 

Der Pressesprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, dementierte das angebliche Attentat gegenüber der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti am 15. September. Auch für die Behauptung, nach dem Attentat sei der Leiter des Föderalen Sicherheitsdienstes (FSO), Alexei Rubezhny, entlassen worden, konnten wir keine Belege finden.

Hinter dem Telegram-Kanal „General SVR“ stecken angeblich Mitglieder von Geheimdiensten – Belege dafür fehlen

Laut Daily Mail handelt es sich bei „General SVR“ um einen russischen Kanal, der regelmäßig angebliche Insiderinformationen über Putin und den Kreml veröffentliche. SVR ist die Abkürzung für den russischen Auslandsgeheimdienst, was jedoch kein Beleg für eine solche Verbindung ist.

„General SVR“ gibt es nicht nur auf Telegram. Wir fanden unter demselben Namen auch einen Youtube-Kanal mit 178.000 Abonnenten und einen Twitter-Account. Mit leicht verändertem Namen existieren auf Twitter noch zwei und auf Telegram drei weitere Kanäle. Sie haben alle ein ähnliches Profilbild. Die meisten der Kanäle veröffentlichen Beiträge in russischer Sprache; ob sie aus Russland stammen oder miteinander in Zusammenhang stehen, lässt sich nicht verifizieren.

In der Kanalinformation auf Youtube heißt es, die Berichte würden „von pensionierten und aktiven Mitgliedern der Nachrichtendienste und Geheimdienste mehrerer Länder“ verfasst. Laut einem Video soll sich darunter auch ein General des russischen Geheimdienstes befinden, der unter dem Pseudonym „Viktor Mikhailovich“ auftritt. Einem Bericht von Meduza von Februar 2022 zufolge gibt es die Theorie, dass es sich dabei in Wahrheit um einen ukrainischen Anwalt handelt. Dieser bestreitet das aber.

Olga Lautman, Forscherin am Center for European Policy Analysis, vermutete am 14. September auf Twitter, dass es sich um einen Kanal des russischen Geheimdienstes handelt. Lautman beschäftigt sich mit Geheimdienstoperationen und Desinformationskampagnen. Wir haben sie nach Belegen für ihre Vermutung gefragt, aber keine Antwort erhalten. Daneben gibt es unter anderem Spekulationen, der russische Politologe und Regierungskritiker Waleri Solowej oder der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU betreibe den Kanal „General SVR“. 

Telegram-Kanal wurde mehrfach von Medien als Quelle für unbelegte Behauptungen über Wladimir Putin zitiert

Eine Google-Suche nach dem Namen „Viktor Mikhailovich“ führt uns zu einem Artikel der Daily Mail von Mai 2022, in dem berichtet wird, Putin müsse sich wegen einer Krebserkrankung womöglich einer Operation unterziehen. Die Quelle: erneut der Kanal „General SVR“.

Screenshot eines Videos aus dem Youtube-Kanal General SVR
Auf dem Youtube-Kanal von „General SVR“ spricht regelmäßig eine Person unter dem Pseudonym „Viktor Mikhailovich”, die sich als General des russischen Geheimdienstes vorstellt. Ob das stimmt, ist unklar. (Quelle: Youtube; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Fest steht: Der Telegram-Kanal „General SVR“ hat in den vergangenen Jahren mehrfach unbelegte Behauptungen über Putin und Personen seines Umfelds veröffentlicht. Nach der ersten Nachricht über die angebliche Krebserkrankung Putins im November 2020 folgte die Meldung, der russische Präsident leide zusätzlich an Parkinson. Im Mai 2021 kam die Behauptung einer schizoaffektiven Störung dazu. Für all diese Erkrankungen Putins gibt es aber bis heute keine Belege, wie Medien berichten

Auch über angebliche Anschläge berichtet der Telegram-Kanal regelmäßig, ohne Belege zu liefern: Am 13. Juni 2022 hieß es, ein geplanter Anschlag auf Putin beim International Economic Forum in Sankt Petersburg habe vereitelt werden können. 

Etwa einen Monat später, am 18. Juli, meldete der Kanal, es habe einen Giftanschlag auf Nikolai Patrushev, den Sekretär des Sicherheitsrates der Russischen Föderation, gegeben. Auch diese Behauptung verbreitete sich ohne weitere Quellen als Gerücht in russisch- und englischsprachigen Medien.

Fazit: Das Gerücht über ein kürzliches Attentat auf Wladimir Putin beruht auf einer unzuverlässigen Quelle. Es gibt keine Belege für diesen Vorfall.

Redigatur: Steffen Kutzner, Alice Echtermann