Italien: Video von abgerissener EU-Flagge entstand 2013
In Sozialen Netzwerken kursiert ein Video von Protestierenden, die eine EU-Flagge von einem Gebäude entfernen. Es wird behauptet, das Video stehe im Zusammenhang mit der italienischen Parlamentswahl am 25. September 2022. Das Video zeigt aber einen neofaschistischen Protest vor neun Jahren.
„Italiens Wahltag ist die Geburtsstunde für Proteste auf der Straße. Die EU-Flagge wird kurzerhand vom Volk abgenommen und durch die italienische Flagge ersetzt“, heißt es auf Facebook begleitend zu einem Video. Der Beitrag stammt vom 25. September 2022, dem Tag der Parlamentswahlen in Italien. Auch auf Telegram und Twitter kursierte das Video mit der Behauptung, der Protest habe in Rom stattgefunden und sei eine Reaktion auf „Drohungen von Ursula von der Leyen“, der Präsidentin der Europäischen Kommission.
Unser Faktencheck zeigt: Das Video steht weder im Zusammenhang mit den Wahlen in Italien in diesem Jahr, noch mit Äußerungen Ursula von der Leyens. Es entstand 2013 bei einem neofaschistischen Protest.
Video zeigt Protest einer neofaschistischen Bewegung in Rom im Jahr 2013
In dem 48 Sekunden langen Video sind Demonstrierende mit italienischen Flaggen vor einem Gebäude zu sehen. Am Balkon des Gebäudes hängt die blaue Flagge der Europäischen Union und darunter lehnt eine Leiter. Eine Person klettert über die Leiter auf den Balkon und versucht die Flagge zu entfernen – ihr Gesicht ist von einer Maske in den Farben der italienischen Flagge bedeckt, um den Hals trägt sie einen Strick. Im Hintergrund sind laute Sprechchöre der Demonstrierenden zu hören. Etwa ab Sekunde 30 ist zu sehen, wie Einsatzkräfte der Polizei und Demonstrierende aneinandergeraten. Bei Sekunde 41 gibt es einen Schnitt: Nun ist wieder die Person auf dem Balkon im Bild, die die EU-Flagge in die Menge der Demonstrierenden wirft.
Wir haben mit Ausschnitten aus dem Video eine Bilderrückwärtssuche bei Google und TinEye durchgeführt und sind dabei auf Beiträge und Videos von Dezember 2013 gestoßen. So berichteten verschiedene Medien am 16. Dezember 2013 über den Vorfall. Demnach zeigt das Video Simone Di Stefano, den Vizepräsidenten von „Casapound“. „Casapound“ ist eine neofaschistische Bewegung, die bis 2019 auch als politische Partei in Italien aktiv war. Ihre Mitglieder bezeichnen sich selbst als „Faschisten für das dritte Jahrtausend“.
Videomaterial von 2013 belegt, dass es sich um denselben Protest handelt
Sucht man auf Youtube mit den Schlagworten „Casapound EU-Flagge Rom“ auf Italienisch findet sich zudem ein nachrichtliches Video, das am 15. Dezember 2013 veröffentlicht wurde. Der Titel des Videos lautet: „Casapound-Überfall auf das EU-Hauptquartier in Rom. Spannungen mit der Polizei, Vizepräsident Di Stefano verhaftet“. (Diesen Titel haben wir mit Deepl Translate ins Deutsche übersetzt.) In der Beschreibung des Videos steht, der Protest habe in der Via IV Novembre am Sitz der EU-Vertretung in Rom stattgefunden.
Der Ort lässt sich über Google-Streetview verifizieren. In dem Gebäude mit dem Balkon befinden sich ein Verbindungsbüro des Europäischen Parlaments und die Vertretung der Europäischen Kommission in Italien.
Auch auf dem Youtube-Kanal von „Casapound“ ist am 19. Dezember 2013 ein Video des Protestes veröffentlicht worden. Im Titel und der Beschreibung des Videos steht, der Protest habe am 14. Dezember 2013 stattgefunden. „Die Casapound-Aktivisten stehlen die EU-Flagge, um sich gegen die Brüsseler Wirtschafts- und Finanzpolitik und für die nationale und monetäre Souveränität einzusetzen“, heißt es weiter.
Das Video, das im September in Sozialen Netzwerken kursierte, ist offenbar ab Minute 2:23 aus diesem Video übernommen und zusammengeschnitten worden. Fest steht: Die Aufnahmen sind viele Jahre alt und stehen daher in keinem Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im September dieses Jahres.
Video zeigt nicht den Protest gegen Ursula von der Leyen im September 2022 in Italien
Was stimmt: Am 23. September 2022 gab es vor der Vertretung der EU-Kommission eine Demonstration gegen Ursula von der Leyen. Diese wurde laut der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera von der rechtspopulistischen Partei Lega organisiert. Aufnahmen von dieser Demonstration unterscheiden sich von denen, die im Netz kursieren.
Von der Leyen stand kurz vor den Parlamentswahlen in Italien in der Kritik: Wie Reuters berichtete, hatte sie bei einer Rede an der US-amerikanischen Princeton University am 22. September 2022 auf die Frage, ob es Bedenken wegen der Wahlen in Italien gebe, indirekt auf die Möglichkeit finanzieller Sanktionen verwiesen.
Ihr Ansatz sei, dass die EU mit jeder demokratischen Regierung zusammenarbeite, die dazu bereit sei, so von der Leyen. „Sollten sich die Dinge in eine schwierige Richtung entwickeln, haben wir Werkzeuge. Ich habe bereits über Polen und Ungarn gesprochen.“ Vier Tage zuvor hatte die EU-Kommission erstmals Sanktionen gegen Ungarn aufgrund rechtsstaatlicher Verstöße vorgeschlagen.
Fazit: Das Video hat nichts mit den kürzlich abgehaltenen Parlamentswahlen in Italien zu tun, denn es entstand bereits im Jahr 2013. Die Protest-Aktion damals bezog sich auch nicht auf Ursula von der Leyen, sondern wandte sich gegen „die Brüsseler Wirtschafts- und Finanzpolitik“. Von der Leyen ist erst seit 2019 Präsidentin der Europäischen Kommission.
Redigatur: Matthias Bau, Sarah Thust
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Artikel der italienischen Nachrichtenagentur Ansa über den Protest von „Casapound“, 16. Dezember 2013: Link
- Artikel der Nachrichtenagentur Reuters über den Protest von „Casapound“, 14. Dezember 2013: Link
- Video des Protests von „Casapound”,15. Dezember 2013: Link
- Artikel von der Nachrichtenagentur Reuters über die Reaktionen auf die Rede Ursula von der Leyens, 23. September 2022: Link
- Video der Rede Ursula von der Leyens, 22. September 2022: Link
- Bericht der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera über den Protest gegen Ursula von der Leyen, 23. September 2022: Link
- Video des Protestes gegen Ursula von der Leyen, 24. September 2022: Link