Faktencheck

Nein, Außenministerin Baerbock hat keine 200 Milliarden an die Ukraine „verschenkt“

200 Milliarden Euro Steuergeld sollen über das Bundesaußenministerium von Annalena Baerbock an die Ukraine geflossen sein. Das wird auf Facebook und Telegram behauptet, stimmt aber nicht. Die tatsächliche finanzielle Unterstützung der Bundesregierung fällt deutlich geringer aus.

von Gabriele Scherndl

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Baerbock soll der Ukraine 200 Milliarden Steuergeld geschenkt haben. Das stimmt nicht. (Symbolfoto: Thomas Trutschel / Picture Alliance)
Behauptung
Außenministerin Annalena Baerbock habe bisher etwa 200 Milliarden Euro deutsches Steuergeld an die Ukraine „verschenkt“.
Bewertung
Falsch. Seit Februar 2022 hat Deutschland die Ukraine und Menschen aus der Ukraine bilateral mit Hilfen im Wert 12,51 Milliarden Euro unterstützt.

Hinweis 2. Januar 2023: Ende Dezember hat die Bundesregierung konkrete Zahlen veröffentlicht, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung unseres Faktenchecks Anfang November noch nicht vorlagen. Wir haben die Berechnungen im Text ergänzt und die Bewertung entsprechend angepasst. Unter Berücksichtigung weiterer Ausgaben belaufen sich die Hilfen demnach nicht auf 6,68 Milliarden Euro, sondern auf Gesamtausgaben von 12,51 Milliarden Euro.

Etwa 200 Milliarden Euro an deutschem Steuergeld habe Außenministerin Annalena Baerbock bisher an die Ukraine bisher „verschenkt“. Das wird momentan in zahlreichen Facebook-Beiträgen behauptet. Ähnlich kursiert die Behauptung auch auf Telegram – doch die angebliche Summe von 200 Milliarden Euro ist deutlich zu hoch gegriffen, wie sich an öffentlich zugänglichen Quellen nachvollziehen lässt. 

In zahlreichen Facebook-Beiträgen wird behauptet, Außenministerin Annalena Baerbock habe 200 Milliarden Euro an Steuergeldern der Ukraine „verschenkt“. Das ist falsch.
In zahlreichen Facebook-Beiträgen wird behauptet, Außenministerin Annalena Baerbock habe 200 Milliarden Euro an Steuergeldern der Ukraine „verschenkt“. Das ist falsch. (Quelle: Facebook; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Wie viel finanzielle Unterstützung seit 2014 an die Ukraine geflossen ist

Wie sich die angeblichen 200 Milliarden zusammensetzen und um welchen Zeitraum es gehen soll, steht in den Beiträgen nicht. Baerbock ist seit Dezember 2021 Außenministerin, doch die deutsche Bundesregierung unterstützte die Ukraine auch schon zuvor finanziell. 

Annalena Baerbock entscheidet außerdem nicht alleine über Unterstützungsgelder für die Ukraine. Das Auswärtige Amt verfügt zwar über Gelder, die für die „Sicherung von Frieden und Stabilität“ zum Beispiel als Mittel für humanitäre Hilfe und Krisenprävention vorgesehen sind. Bei Waffenlieferungen entscheidet aber das Verteidigungsministerium, ob das Material abgegeben werden kann. Erst danach stimmen Kanzleramt, Auswärtiges Amt und Wirtschaftsministerium darüber ab.

Bereits im Juni war die finanzielle Unterstützung der Ukraine Diskussionsthema in Sozialen Netzwerken. Damals war von angeblich 22 Milliarden Euro die Rede. Laut unseren Recherchen ist auch diese Summe falsch; die Gelder für die Ukraine lagen darunter. Damals schrieb uns ein Regierungssprecher, dass seit 2014, also dem Jahr, in dem Russland völkerrechtswidrig die ukrainische Halbinsel Krim annektierte, die Unterstützung Deutschlands für die Ukraine rund 1,83 Milliarden Euro betragen habe. In einer Videobotschaft sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am 9. April leicht abweichend davon, Deutschland habe die Ukraine seit 2014 mit mehr als zwei Milliarden Euro unterstützt. 

Wir fragten im Oktober erneut bei der Pressestelle der Bundesregierung an, wie viel finanzielle Hilfen von 2014 bis heute an die Ukraine geflossen sind. Dort hieß es: Aktuell könne man keinen Gesamtbetrag vorlegen. Ende Dezember veröffentlichte die Bundesregierung dann detaillierte Zahlen über bilaterale Unterstützung. Deutsche Leistungen, die die Ukraine über die EU oder EU-Programme unterstützen, sind in dieser Übersicht nicht erfasst. Demnach habe Deutschland die Ukraine und Menschen aus der Ukraine seit Kriegsbeginn im Februar bis Dezember 2022 mit 12,51 Milliarden Euro bilateral unterstützt. 

Schon zuvor gab es öffentlich zugängliche Quellen, an denen sich Unterstützungsleistungen nachvollziehen ließen. In einer Drucksache vom 16. Februar 2022 (Seite 33 im Dokument) bezifferte die Bundesregierung die bilaterale Deutsche Unterstützung seit 2014 mit 1,9 Milliarden Euro. In diese Zahl eingerechnet sind unter anderem Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe, aber auch die Unterstützung bei der Pandemiebekämpfung und kulturpolitische Maßnahmen.

Deutschland unterstützte die Ukraine seit Januar 2022 bislang mit etwa 6,68 Milliarden Euro

Öffentliche Quellen zeigen auch, dass nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 nur ein Bruchteil der angeblichen 200 Milliarden Euro geflossen ist. Der Ukraine Support Tracker des Instituts für Weltwirtschaft ​​Kiel, einem Forschungsinstitut für Globalisierungsfragen in Deutschland, etwa sammelt systematisch die finanziellen Unterstützungen von 40 westlichen Ländern für die Ukraine. Er erfasst dabei alle öffentlich bekannten militärischen, finanziellen und humanitären Hilfen, nicht aber private Spenden.

Demnach hat Deutschland vom 24. Januar 2022 bis zum 3. Oktober 2022 bilaterale Hilfsleistungen im Wert von 3,3 Milliarden Euro ausgezahlt. Das Institut gibt an, dass militärische Hilfen schwer zu beziffern seien, man rechne im Zweifelsfall mit dem Neupreis einer Ware. 

Zusätzlich beteiligt sich Deutschland an Hilfen, die über die EU abgewickelt werden. Laut dem Tagesspiegel sind das weitere 3,38 Milliarden Euro (Stand 3. Oktober 2022). Insgesamt waren also Stand Anfang November – soweit öffentlich bekannt – aus Deutschland seit Januar 2022 6,68 Milliarden Euro finanzielle Hilfsleistungen in unterschiedlichen Formen an die Ukraine geflossen. Unter 40 Ländern weltweit, die der Tagesspiegel analysiert hat, kam Deutschland damit auf Platz zwei bezüglich der Höhe der tatsächlich ausbezahlten oder zugesagten Beträge. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag Deutschland damit auf Platz 18 mit etwa 0,17 Prozent des BIP, das in die Ukraine fließt.

Dass diese Summe von 6,68 Milliarden Euro niedriger ist, als die Summe, die die Bundesregierung im Dezember veröffentlichte, liegt daran, dass unterschiedliche Ausgaben berücksichtigt wurden. In den aktuelleren Zahlen sind etwa zusätzlich auch Ausgaben für die Unterbringung von Geflüchteten in Deutschland und die Kosten für den Zugang zu den Mindestsicherungsleistungen für ukrainische Geflüchtete berücksichtigt.

Experte prognostiziert, dass Schaden für die deutsche Wirtschaft in den kommenden Jahren bis zu 200 Milliarden Euro erreichen könnte

Geflossen ist also nur ein kleiner Bruchteil von dem, was in den Beiträgen auf Facebook und Telegram behauptet wird. Selbst wenn man die Zeit vor dem russischen Angriff mit einberechnet – zu der unterschiedlichen Zahlen kursieren –, bleibt die Summe weit unter 200 Milliarden Euro. 

Doch woher kommt diese konkrete Zahl? Tatsächlich berichteten mehrere Medien Ende August (zum Beispiel hier, hier und hier) über eine Summe von 200 Milliarden Euro in Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg – aber in einem anderen Kontext. Es ging dabei um eine Prognose von Marcel Fratzscher, dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsordnung. Er sagte in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters, er rechne damit, dass durch den Krieg in der Ukraine das deutsche Bruttoinlandsprodukt 2022 weniger steigen wird, als bisher angenommen. Gehe dieser Trend weiter, könne das zu Einbußen der deutschen Wirtschaftsleistung in einer Höhe von 150 bis zu 200 Milliarden Euro führen. Mit den an die Ukraine geflossenen Hilfsgeldern hat das jedoch nichts zu tun. 

Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.

Redigatur: Kimberly Nicolaus, Uschi Jonas

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Ukraine Support Ticker des Instituts für Weltwirtschaft ​​Kiel: Link
  • Grafische Darstellung der Ukraine-Hilfen des Tagesspiegels: Link
  • Mitteilung der Bundesregierung vom 21. Dezember 2022 über Deutsche bilaterale Unterstützungsleistungen für die Ukraine und Menschen aus der Ukraine: Link