Frei erfunden: Kanadischer Bürgermeister belehrte muslimische Eltern nicht über Schweinefleisch in Schulkantinen
Seit fast zehn Jahren geistert diese Falschmeldung in verschiedenen Versionen durch das Netz: Ein Bürgermeister aus Montreal habe an muslimische Eltern geschrieben, dass Schweinefleisch ein Teil der kanadischen Kultur sei und deswegen nicht vom Speiseplan der örtlichen Schulkantine genommen werde. Das Schreiben ist gefälscht und taucht immer wieder auf, auch mit Bezug auf Belgien oder Frankreich.
Auf Facebook und Whatsapp verbreitet sich eine alte Falschmeldung erneut: Angeblich habe sich der Bürgermeister des Montrealer Vororts Dorval in Kanada geweigert, Schweinefleisch aus den Schulkantinen zu entfernen, nachdem muslimische Eltern das gefordert hätten. In einem Schreiben habe er die Eltern zudem darüber belehrt, dass sie sich als Muslime den kanadischen Gewohnheiten und der kanadischen Kultur anpassen müssten. Sollten sie das nicht wollen, könnten sie in eines von „57 wunderschöne muslimische Länder auf der Welt“ auswandern. Dorval verweigere „zu Recht jegliche Zugeständnisse an den Islam und die Scharia“.
Der Fake verbreitet sich bereits seit fast zehn Jahren im Netz. Schon 2015 dementierte der Ort Dorval die Meldung: „Internetnutzer auf der ganzen Welt haben diese falsche Nachricht veröffentlicht (…) der Bürgermeister möchte den Sachverhalt klarstellen, dass weder er noch irgendein Vertreter der Stadt in irgendeiner Weise solche Kommentare abgegeben hat“, heißt es in einer Pressemitteilung.
Dort heißt es auch, eine ähnliche Falschmeldung sei erstmals 2013 in den USA über einen belgischen Bürgermeister aufgetaucht. Tatsächlich kursierte damals eine ähnliche Meldung über den Bürgermeister aus dem belgischen Ath. Auch dort wies der Bürgermeister die Behauptung als falsch zurück. Und es ging weiter: Die Falschmeldung verbreitete sich 2017 erneut – diesmal in Bezug auf die belgische Gemeinde Soignies.
Falschmeldung scheint Ursprung in Südfrankreich zu haben
Doch der tatsächliche Ursprung der Meldung scheint Frankreich zu sein. Die AFP verwies 2020 in einem Faktencheck zu dem Thema auf einen Artikel von Radio Canada, der die Behauptung auf ein Ereignis in der Gemeinde Antibes in Südfrankreich im Jahr 2013 zurückführt.
Demnach gab es dort eine Anfrage von Eltern, die Speisepläne einer Schulmensa zu ändern. Manche forderten mehr Schweinefleisch auf der Speisekarte, andere weniger oder gar keines. Auf diese Forderungen reagierte die stellvertretende Bürgermeisterin Francoise Thomel in einem Brief. Darin erklärt sie, die Speisepläne würden nicht geändert, weil der Antrag der Eltern auf religiösen oder persönlichen Überzeugungen beruhe, die dem Säkularismusprinzip Frankreichs widersprächen. Um welche religösen oder persönlichen Überzeugung es geht, schreibt sie nicht. Ein Bezug auf den Islam findet sich in dem Schreiben nicht.
Angebliches Bürgermeister-Schreiben kursiert seit fast zehn Jahren im Netz
Laut Radio Canada griffen anschließend verschiedene radikale rechte Blogs die Meldung auf. Einer dieser Blogs verfasste anschließend einen offenen Brief an den Bürgermeister von Antibes und dankte ihm dafür, dass er sich „gegen Muslime“ gestellt habe. Dieser offene Brief sei es, der sich nun seit fast zehn Jahren als angeblich echtes Schreiben eines Bürgermeisters verbreite – wie Le Monde berichtete, auch in anderen französischen Orten. Mit dem ursprünglichen Schreiben von Francoise Thomel hat er jedoch nichts zu tun.
Faktencheck-Redaktionen aus aller Welt berichteten seit Jahren über die Falschmeldung. Allein die Faktencheck-Webseite Mimikama schrieb drei Artikel: 2016, 2018 und 2022. Schon im Jahr 2014 berichtete Snopes, 2017 folgte Buzzfeed und 2021 Reuters und Politifact. Trotz der eindeutigen Dementis der Behörden ist die Behauptung offenbar nicht aus dem Netz zu bekommen.
Gegenüber Reuters sagte der Pressesprecher des kanadischen Dovans, Sébastien Gauthier, „das Narrativ taucht immer wieder für einige Wochen auf und verschwindet dann wieder – nur um später erneut aufzutauchen.“
Redigatur: Sophie Timmermann, Viktor Marinov