Doch, in der Mongolei wurde tatsächlich gegen mutmaßlichen Kohleschmuggel protestiert
Wurde in der Mongolei im Dezember 2022 eigentlich gegen Lithium-Abbau demonstriert – und nicht, wie in westlichen Medien behauptet, gegen mutmaßlichen Kohleschmuggel? So behauptet das ein reichweitenstarker Tiktok-Nutzer – er liefert dafür aber keinerlei Belege. Und: Das deutsche Unternehmen, das damit in Verbindung stehen soll, fördert kein Lithium in der Mongolei.
„Warum sehen wir das nicht in unseren deutschen Nachrichten?“, fragt ein Tiktok-Nutzer in einem Video. Er spricht über Proteste in der Mongolei im Dezember 2022: „In unserer Presse wird […] angegeben, dass die Bürger protestieren wegen illegalem Kohleschmuggel nach China. Das hat damit aber gar nicht wirklich was zu tun.“ Vielmehr gehe es darum, dass westliche Unternehmen mitbekommen hätten, dass in der Mongolei „Unmengen an Lithium“ zu finden seien. Das deutsche Unternehmen ION Energy sei in der Mongolei „schon fleißig am Herumbohren“, sagt er, und blendet eine Firmenadresse im bayerischen Grabenstätt ein.
Das Video verbreitete sich viral: Auf Tiktok wurde es bisher über 1,7 Millionen Mal Nutzerinnen und Nutzern angezeigt, mehr als 200.000 Konten drückten auf „Gefällt mir“. Manche verbreiteten es weiter oder teilten es auf Facebook.
Zahlreiche Medien berichteten im Dezember über Proteste in der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar, die sich gegen mutmaßlichen Kohleschmuggel nach China richteten. Für die Behauptung, die Proteste würden sich gegen Lithium-Abbau richten, fanden wir keine Belege. Auch Medien in der Mongolei berichteten nichts Derartiges. Und das bayerische Unternehmen, das involviert sein soll, fördert kein Lithium in der Mongolei – sondern ein gleichnamiges kanadisches Unternehmen.
Dezember 2022: Demonstrationen in Ulaanbaatar richteten sich gegen mutmaßlichen Kohleschmuggel und Inflation
Die Aufnahmen, die in dem Tiktok-Video eingeblendet werden, zeigen tatsächlich Proteste in der Mongolei, die zwischen Russland und der Volksrepublik China liegt. Die Nachrichtenagentur Reuters veröffentlichte diese Aufnahmen am 6. Dezember und schrieb dazu, tausende Menschen hätten bei Minusgraden unter anderem gegen „die angebliche Korruption der Regierung in der Kohleindustrie des Landes“ demonstriert.
Danach wird im Tiktok-Video ein Artikel eingeblendet, der am 8. Dezember in der Taz erschien. Darin heißt es, in der Hauptstadt Ulaanbaatar würden junge Menschen gegen „massiven Kohleschmuggel nach China“ protestieren. Dieselben Informationen finden sich auch in anderen deutschen Medienberichten.
Kohleexporte aus der Mongolei nach China sollen am Zoll vorbeigegangen sein, die Demonstrierenden forderten die Namen der Verantwortlichen. Laut Medienberichten war das staatseigene Unternehmen Erdenes Tavan Tolgoi JSC (ETT) in die mutmaßliche Korruption verwickelt – das Unternehmen besitzt einen großen Teil des Kohlevorkommens des Landes. Im Zuge der Ermittlungen sei auch der Ex-CEO von ETT festgenommen worden. In einer Pressemitteilung vom 24. Januar 2023 erwähnte die US-Botschaft in der Mongolei die „jüngsten Probleme des staatlichen Unternehmens Erdenes Tavan Tolgoi“.
Die Proteste drehten sich aber auch um die Inflation: Im Reuters-Video sagt ein Demonstrant, man spüre diese etwa an den Preisen für Brot. Er sagt auch: „Ich würde gerne einen Teil dieser Milliarden, die von den Abgeordneten des Parlaments erschwindelt wurden, in die Bekämpfung der Inflation oder in den Haushalt stecken“.
Keine Belege, dass diese Menschen gegen Lithium-Abbau in der Mongolei demonstrierten
Wir haben Mitte Januar 2023 auf mehreren Suchmaschinen und mit verschiedenen Schlagwörtern auf Mongolisch nach weiteren Informationen gesucht – um festzustellen, ob Medien vor Ort anders über die Proteste berichten, als Medien im Westen. Die Begriffe „Demonstrationen Lithium“ und „Demonstrationen ION“ auf Mongolisch lieferten keine Ergebnisse, die auf einen Zusammenhang mit den Protesten hindeuten.
Wir fanden aber zahlreiche Texte über die Proteste im Zusammenhang mit Kohle: Der mongolische Premierminister Luvsannamsrain Oyun-Erdene, dankte Mitte Dezember in einer Parlamentssitzung jenen, „die gegen Kohlediebstahl protestieren und für Gerechtigkeit marschieren“. Die Nachrichtenagentur News Agency Mongolia etwa schrieb am 5. Dezember 2022: „Die Volksdemonstration, die die umgehende Lösung des Kohlefalls mit Politikern und die Rechenschaftspflicht der Schuldigen fordert“ gehe nun den zweiten Tag weiter. Auch in den Folgetagen war die Rede von „Kohledieben“ und von einem „Kohlediebstahl“. Diese Wortwahl verwenden auch andere mongolische Medien.
Es gibt also keine Belege für die Behauptung, dass westliche Medien den wahren Grund der Demonstrationen verschweigen würden.
Die im Video genannte ION Energy mit Firmensitz in Deutschland baut kein Lithium in der Mongolei ab
Lithium ist ein begehrter, aber knapper Rohstoff, der auch für Batterien von Elektroautos benötigt wird. Es kommt auch in der Mongolei vor. Das Land gehört laut Angaben des Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (PDF) aus dem Jahr 2021 zu den zehn rohstoffreichsten Ländern der Welt.
Im Oktober 2022 berichtete unter anderem die Süddeutsche Zeitung, die Mongolei solle für Deutschland „Partner für viele Rohstoffe“ werden. Dies habe Bundeskanzler Olaf Scholz nach einem Gespräch mit dem mongolischen Ministerpräsidenten Luvsannamsrain Oyun-Erdene in Berlin gesagt. In dem Bericht ist die Rede von Kohle und von seltenen Erden, nicht aber direkt von Lithium.
Der Tiktok-Nutzer behauptet, „ION Energy mit Firmensitz in Deutschland“ würde in der Mongolei Lithium abbauen. Richtig ist: Es gibt ein Unternehmen namens ION Energy Ltd., das in der Mongolei Lithium abbaut – darüber gibt es Medienberichte und PR-Unterlagen. Die Firma sitzt aber in Kanada und hat laut LinkedIn keinen weiteren Firmensitz.
Eine Internetrecherche zeigt: Es gibt auch eine deutsche Firma mit dem Namen ION Energy mit Sitz in Grabenstätt, die vertreibt aber nach eigenen Angaben individuelle Stromspeicherlösungen. Das Wort Lithium kommt auf der gesamten Webseite nur einmal vor: in einem Datenblatt zu einem Energiespeicher.
Wir können in öffentlich verfügbaren Informationen auch keine Verbindungen zwischen der kanadischen und der deutschen ION Energy finden – eine solche steht weder im Handelsregister, noch im Unternehmensregister. Wir haben außerdem Daniel Mühlbacher, den Geschäftsführer der bayerischen ION Energy gefragt, ob das deutsche Unternehmen in den kanadischen Konzern investiere oder ob es dorthin Gewinne abführe. Seine Antwort: „Die ION Energy GmbH steht in keinerlei Verbindung mit der von Ihnen zitierten ION-Energy Ltd“. Die kanadische ION Energy reagierte nicht auf unsere Anfrage.
Fazit: In der Mongolei kam es im Dezember tatsächlich zu Protesten. Die richteten sich aber nicht, wie der Tiktok-Nutzer behauptet, gegen den Abbau von Lithium, sondern gegen einen mutmaßlichen Kohleschmuggel nach China. Das berichteten westliche wie auch mongolische Medien. Das Unternehmen, das der Mann im Video nennt, fördert nicht, wie behauptet, Lithium in der Mongolei – sondern ein kanadisches Unternehmen, mit demselben Namen.
Redigatur: Matthias Bau, Sarah Thust