Faktencheck

Nein, Nancy Faeser hat die Überwachung jeder Art von Online-Kommunikation nicht abgesegnet

Die Bundesregierung hat sich zu den Plänen zur sogenannten Chatkontrolle der EU-Kommission positioniert. Bundesinnenministerin Nancy Faeser spielte dabei eine Schlüsselrolle. Online heißt es, sie habe die Überwachung von jeglicher Kommunikation im Internet abgesegnet – das stimmt nicht.

von Gabriele Scherndl

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Bundesinnenministerin Nancy Faeser bei einem öffentlichen Statement im April 2023 (Quelle: Monika Skolimowska / DPA / Picture Alliance)
Behauptung
Bundesinnenministerin Nancy Faeser habe abgesegnet, dass die gesamte private Kommunikation im Internet – Telefonate, Chats, Kurznachrichten und Videos – anlasslos vom Staat mitverfolgt werden dürfte.
Bewertung
Teilweise falsch
Über diese Bewertung
Teilweise falsch. Die Bundesregierung segnete keinen Beschluss ab, sondern gab ihre Position zu dem Entwurf einer EU-Verordnung ab. Darin konnte sich Innenministerin Faeser in vielen Punkten durchsetzen, in deutlich weniger Punkten die Koalitionspartner. Laut dem Positionspapier soll Audiokommunikation nicht durchsucht werden, auch Ende-zu-Ende verschlüsselte Kommunikation, etwa bei Messenger-Diensten wie Whatsapp oder Signal, müsse geschützt werden. Anders als noch im Koalitionsprogramm werden jedoch nicht alle Überwachungsmaßnahmen grundsätzlich abgelehnt. Was in der finalen EU-Verordnung stehen wird, ist noch unklar.

„Wir werden immer mehr von der eigenen Regierung überwacht und die Leute glauben es nicht“, heißt es in einem Kommentar unter einem Tiktok-Video. Im Video selbst steht nur ein Satz: „Folgendes wurde gestern von Innenministerin Faeser abgesegnet: Die gesamte ‚private Kommunikation‘ im Internet – Telefonate, Chats, Kurznachrichten und Videos – dürfen vom Staat mitverfolgt werden – ganz ohne Anlass“. 240.000 Personen haben den Beitrag gesehen.

Ähnlich ist die Stimmung auf Twitter. Dort veröffentlichte ein Nutzer einen Beitrag, in dem steht: „Faeser will die anlasslose Überwachung aller privaten Chats auf Computern und Handys. (…) Dieses Ausmaß der Überwachung gab es bisher in keinem Regime, zu keiner Zeit“. Das Portal Auf1, das schon mehrfach Desinformation verbreitete, schreibt auf Telegram und in einem Text, von einer „Totalüberwachung“, die dem Staat nun ermöglicht werde. 

Die Beiträge lassen relevanten Kontext weg: Weder Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) noch die Bundesregierung haben neue Überwachungsmaßnahmen beschlossen. Die Bundesregierung hat aber ihre Position zu einer EU-Verordnung abgegeben. Darin lehnt sie „Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation auf EU-Ebene nicht ab“, wie Netzpolitik.org berichtet. Aber: Das heißt nicht, dass die Regierung dafür ist, sämtliche Kommunikation zu überwachen. Audiokommunikation soll laut der Stellungnahme nicht durchsucht werden, auch Ende-zu-Ende verschlüsselte Kommunikation darf nicht umgangen werden. 

In einem Tiktok-Beitrag steht: Folgendes wurde gestern von Innenministerin Faeser abgesegnet: Die gesamte "private Kommunikation" im Internet - Telefonate, Chats, Kurznachrichten und Videos - dürfen vom Staat mitverfolgt werden - ganz ohne Anlass
Auf Tiktok wird fälschlicherweise behauptet, Bundesinnenministerin Faeser habe eine neue, umfassendere Art der Überwachung privater Kommunikation „abgesegnet“. Das stimmt so nicht. (Quelle: Tiktok, Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Deutschland positioniert sich zu EU-Vorschlag über Neuregelungen zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch

Worum geht es genau? Die EU-Kommission präsentiert in einem Vorschlag vom 11. Mai 2022 eine Verordnung „zur Festlegung von Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern“. Darin geht es unter anderem darum, „einheitliche Unionsvorschriften für die Aufdeckung, Meldung und Entfernung von sexuellem Kindesmissbrauch im Internet“ zu schaffen, „um bestehende Hindernisse für den digitalen Binnenmarkt zu beseitigen und deren Verbreitung zu verhindern“. So sollen etwa Anbieter von Hosting- oder interpersonellen Kommunikationsdiensten verpflichtet werden, „Material über sexuellen Kindesmissbrauch aufzudecken“. 

Kurz gesagt: Die EU-Kommission will im Kampf gegen Kindesmissbrauch die Kommunikation im Netz überwachen. Öffentlich läuft die Debatte dazu häufig unter dem Stichwort „Chatkontrolle“. 

Im April hat sich die Bundesregierung laut Netzpolitik.org nach einem knappen Jahr Verhandlungen auf eine gemeinsame Position zum Entwurf der EU-Kommission geeinigt und diese an den EU-Rat übermittelt. Diese Stellungnahme veröffentlichte die Nachrichtenseite am 17. April 2023. Darin, so ordnet Netzpolitik ein, lehne die Bundesregierung „Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation auf EU-Ebene“ nicht ab – ein Gegensatz zu jener Position, die die Ampel eigentlich in ihrem Koalitionsprogramm festgeschrieben hat. 

Bundesregierung lehnt den Entwurf der EU zur Chatkontrolle in einigen Punkten ab 

Aber die Bundesregierung sieht dennoch rote Linien im EU-Entwurf. So heißt es im Positionspapier etwa, „Audiokommunikation“ sei von den Maßnahmen auszunehmen. Dass eine „Totalüberwachung“ kommen solle, wie etwa Auf1 schreibt, stimmt also nicht – zumindest nicht, wenn man nach der Position der Bundesregierung geht. Im Positionspapier steht auch: Deutschland könne dem Verordnungsentwurf nicht zustimmen, wenn man nicht sicherstellen könne, dass private verschlüsselte Kommunikation ausgenommen werde. Das betrifft etwa Messenger-Dienste wie Whatsapp oder Signal. 

In diesem Punkt hätten sich, so schreibt die Frankfurter Rundschau, FDP und Grüne durchgesetzt. Wie Netzpolitik.org berichtet, trägt das Positionpapier ansonsten vor allem Nancy Faesers Handschrift. Die Nachrichtenseite hat die finale Position der Bundesregierung mit einem älteren Entwurf aus dem Innenministerium verglichen; sie seien zu drei Vierteln miteinander identisch. Einige Punkte will die Bundesregierung außerdem intern noch weiter prüfen – also eine Einigkeit finden: Etwa in der Frage, ob und in welchem Umfang Aufdeckungsmaßnahmen in unverschlüsselten Kommunikations- und Speicherdiensten zulässig seien.  

Über den Text der Verordnung muss die EU-Kommission noch mit Parlament und Rat verhandeln

An dem Entwurf der EU-Kommission gibt es von vielen Seiten Kritik. Der Wissenschaftliche Dienst des Europaparlaments kommt in einer 140-seitigen Untersuchung laut Spiegel etwa zu dem Schluss: „Die Gesamtwirksamkeit der vorgeschlagenen Rechtsvorschriften dürfte [hinsichtlich der Bekämpfung von Kindesmissbrauch, Anm. d. Red.] begrenzt sein“. Der EU-Datenschutzbeauftragte hatte bereits im Juli 2022 seine Skepsis geäußert. Er habe „ernsthafte Bedenken“ hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der geplanten Eingriffe in Privatsphäre und Datenschutz, hieß es darin. Im Digitalausschuss des deutschen Bundestags kritisierten Sachverständige die Pläne ebenfalls.

Fest steht: Mit der Positionierung der Bundesregierung sind noch keine Maßnahmen beschlossen. Zu einigen Punkten des EU-Entwurfes hat die Bundesregierung noch keine Stellungnahme bezogen, sondern sie werden noch geprüft, eine Überwachung von Audiokommunikation und verschlüsselter Kommunikation lehnt sie ab. Was in der finalen Verordnung der EU stehen wird, ist aktuell nicht klar. Sie befindet sich noch in der ersten Lesung. Die Kommission muss über den Entwurf und eventuelle Veränderungen mit dem EU-Rat und dem EU-Parlament verhandeln, ehe die Verordnung in Kraft tritt.

Redigatur: Viktor Marinov, Paulina Thom