Doch, Medien berichteten über diese Missbrauchsfälle in Großbritannien
Im Netz verbreitet sich ein französisches Video, in dem es um Ermittlungen wegen zahlreicher Missbrauchsfälle in Großbritannien geht. Verschweigen Medien hierzulande die Vorfälle? Das wird zumindest online behauptet, doch das Video, das als Beleg angeführt wird, ist von 2015 – zu diesem Zeitpunkt berichteten auch deutsche Medien.
Deckten britische Behörden aktuell einen Missbrauchsskandal in Großbritannien auf und in Deutschland berichtet niemand? Das wird bei Telegram, Facebook und Twitter behauptet. Dort verbreitet sich ein Ausschnitt einer französischen TV-Sendung (hier oder hier), zu dem es heißt: „Riesiger Pädo-Ring zu Fall gebracht, darunter 76 Politiker, 43 Künstler und 35 Journalisten. 100.000 Kinder beteiligt.“ In „den MSM“, also den „Mainstream-Medien“ stehe darüber nichts, wird in einigen Beiträgen behauptet.
Der Ausschnitt der französischen TV-Sendung wurde in unterschiedlichen Sprachen verbreitet – jedoch handelt es sich um keine aktuelle Meldung. Das Video stammt aus dem Jahr 2015. Über die Ermittlungen im Rahmen der „Operation Hydrant“ berichteten damals Medien weltweit, auch in Deutschland.
Video von i-Télé erschien am 21. Mai 2015 – im Vordergrund standen alte Missbrauchsfälle
Durch eine Stichwortsuche auf Youtube finden wir heraus, dass das ursprüngliche Video vom 21. Mai 2015 stammt. Es ist auf dem Youtube-Kanal des französischen Senders CNEWS zu finden, der damals noch i-Télé hieß. Das Logo von i-Télé ist auch in den Clips im Netz in der oberen linken Bildecke zu erkennen.
Die Überschrift des Videos lautet: „Mehr als 1.400 Verdächtige in einem Pädophilie-Fall in Großbritannien.“ Weiter heißt es in der Videobeschreibung: „Die Ermittler haben 1.433 Verdächtige in einem Pädophilie-Fall identifiziert, in den zahlreiche britische Prominente und Politiker verwickelt sind. Tausende von Kindern sollen Opfer sein. Die Verbrechen sollen im Zeitraum von 1970 bis 1990 begangen worden sein.“ Um wen es sich bei den Verdächtigen konkret handelte, sagt die Journalistin im Clip nicht.
Im Video heißt es, es gebe 1.433 Verdächtige, rund 100.000 Kinder sollen missbraucht worden sein. 216 Verdächtige seien bereits gestorben, die Taten würden Jahrzehnte zurückliegen. Unter den Verdächtigen seien auch „76 Politiker, 43 Personen aus der Musikindustrie, 135 Personen aus der Fernseh-, Radio- und Filmindustrie und sieben aus der Sportwelt“. Die Zahlen stimmen mit den Beiträgen in Sozialen Netzwerken größtenteils überein.
„Operation Hydrant“: Deutsche, französische und britische Medien berichteten 2015 über Ermittlungen der Polizei
Im Jahr 2014 startete die sogenannte „Operation Hydrant“ als nationale Koordinierungsstelle für Ermittlungen der britischen Polizei zu den Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs von Kindern (PDF als Download). In den ersten Jahren beschäftigte sie sich vor allem mit alten Fällen, später aber auch mit aktuelleren. Sie wird heute unter dem Namen „Hydrant Programme“ geführt.
Die Ermittlungen, die dadurch ausgelöst wurden, erregten im Sommer 2015 weltweit Aufmerksamkeit: Medien wie der Guardian in Großbritannien, Le Parisien in Frankreich und der Spiegel in Deutschland berichteten darüber. „Britische Polizei ermittelt gegen 261 Prominente“, schrieb die Süddeutsche Zeitung. Anders als behauptet, gab es also damals eine breite mediale Berichterstattung.
Auch nach 2015 wurde weiter berichtet: So schrieben im Februar 2020 die britische Daily Mail und der Guardian, die „Operation Hydrant“ habe 4.024 Schuldsprüche gegen Missbrauchstäter bewirkt. Laut Guardian war der Tod des Verdächtigen der Grund, warum 36 Prozent der Anschuldigungen zu keinen weiteren Maßnahmen führten.
In Verschwörungskreisen wird häufiger angedeutet, Medien würden mächtige Personen oder Gruppen schützen oder kriminelles Verhalten vertuschen. Der aktuell geteilte TV-Bericht aus 2015 bedient genau dieses Narrativ. Das ist kein Einzelfall. 2021 kursierte die Behauptung, in Deutschland werde nicht berichtet, dass der „UNO-Chef für Kinderrechte“ wegen Kindesmissbrauchs verurteilt worden sei. Auch das stimmte so nicht – Medien berichteten über den Fall, der ebenfalls bereits Jahre her war.
Redigatur: Matthias Bau, Kimberly Nicolaus