Faktencheck

Sinkender oder steigender Meeresspiegel? Video von Eiswürfel im Wasserbecher führt in die Irre

Auf Tiktok und Facebook wird ein Video geteilt, das veranschaulichen soll, wie die Eisschmelze in den Weltmeeren funktioniert. Es suggeriert, der Klimawandel führe nicht zu einem Anstieg des Meeresspiegels. Das ist aus mehreren Gründen falsch.

von Pascal Kornatz

Meeresspiegel Meereis Klimawandel Antarktis
Die Eisschilde in der Antarktis und in Grönland haben einen Einfluss auf den Meeresspiegel (Symbolbild: Matt Palmer / Unsplash)
Behauptung
Ein Experiment mit einem Eiswürfel in einem Wasserbecher zeige: Es sei unlogisch, dass durch das Abschmelzen des Eises in der Antarktis der Meeresspiegel steige, und sogar möglich, dass der Meeresspiegel dadurch sinke – denn umgekehrt platze eine Flasche Wasser, wenn sie einfriert, weil sich das Wasser ausdehne.
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Größtenteils falsch. Es stimmt, dass der Wasserstand gleich bleibt, wenn Eis schmilzt. Das Experiment im Video lässt sich aber nicht auf die Eisschmelze in der Antarktis übertragen – denn hier geht es um Landeis, das beim Schmelzen als zusätzliches Wasser ins Meer gelangt. Hinzu kommt, dass sich die Weltmeere seit Jahren erwärmen. Dadurch dehnt sich die Wassermenge zusätzlich aus und der Meeresspiegel steigt.

Ein großer Brocken Eis schwimmt in einem Messbecher. Was wird passieren, wenn das Eis abschmilzt? Schnitt. Der Eisblock ist zu einem großen Teil geschmolzen, am Wasserstand hat sich nichts verändert. Stattdessen wird die Frage in den Raum gestellt: Müsste der Wasserspiegel nicht sogar sinken, wenn Eis schmilzt? Immerhin dehnt sich gefrorenes Wasser aus – das wissen alle, denen schon mal eine Flasche im Eisfach geplatzt ist.

Diese Intuition nutzt ein Video auf TikTok und Facebook aus, um zu suggerieren, der Klimawandel und das Abschmelzen des Eises in der Antarktis (Südpol) könnten gar nicht zu einem steigenden Meeresspiegel führen. Auf den beiden Plattformen erzielt das Video über eine halbe Million Aufrufe.

Doch das Video führt in die Irre. Eis braucht zwar mehr Platz als Wasser, weil es eine niedrigere Dichte und ein höheres Volumen hat – deswegen platzen gefrorene Wasserflaschen. Doch wegen dieser geringeren Dichte ragt ein Eiswürfel aus dem Wasser heraus. Schmilzt er, nimmt er genauso viel Platz ein, wie er vorher verdrängt hat – der Wasserstand bleibt in diesem Fall also gleich.

Der Meeresspiegel steigt aber nicht durch das Schmelzen von schwimmendem Meereis an, sondern dadurch, dass Eis an Land schmilzt und so zusätzlich in die Ozeane kommt. Auch ein Anstieg der Meerestemperatur trägt zum Anstieg des Meeresspiegels bei, denn warmes Wasser hat ein größeres Volumen als kaltes Wasser, nimmt also mehr Platz ein.

Ein Video suggeriert, der Klimawandel habe nichts mit einem Anstieg des Meeresspiegels zu tun.
Ein Video suggeriert, der Klimawandel habe nichts mit einem Anstieg des Meeresspiegels zu tun. (Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck; Quelle: Facebook)

Schmelzendes Meereis hat keinen Einfluss auf den Meeresspiegel

Der Meeresspiegel steigt. Seit den 1970er Jahren ist der Einfluss des Menschen der Hauptfaktor für diesen Anstieg, schreibt der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC) 2019 in seinem Sonderbericht über den Ozean und die Kryosphäre. In dem Report heißt es, dass der Meeresspiegel in den nächsten Jahren weiter steigen und sich diese Entwicklung wahrscheinlich sogar noch beschleunigen werde.

Doch wenn es um die Ursachen dafür geht, ist es wichtig, zwischen Land- und Meereis zu unterscheiden. Denn das Meereis in der Antarktis ist gefrorenes Meerwasser – ähnlich wie bei der Versuchsanordnung im Video. Beim Schmelzen ändert sich der Meeresspiegel nicht, denn die Wassermenge bleibt immer gleich, egal ob gefroren oder nicht. Damit vergleichbar ist auch die sich immer wieder verändernde Küstenlinie aus Meereis, die im Winter durch die tiefen Temperaturen entsteht. Auch dieses Eis schwimmt auf dem Wasser und erhöht den Meeresspiegel nicht, wenn es schmilzt.

Schmilzt Landeis, steigt der Meeresspiegel

Ausschlaggebend ist stattdessen das sogenannte Landeis. In der Antarktis sind 70 Prozent der weltweiten Süßwasserreserven in Form von Eis gespeichert. Diese sind als Landeis seit Jahrtausenden gebunden, die Eismassen liegen also direkt auf dem Kontinent.

Schmelzen die Landeismassen der Antarktis, könnte der Meeresspiegel um bis zu 60 Metern steigen, schreiben das Umweltbundesamt und die Fachwebseite klimafakten.de. Denn: Dieses Wasser war vorher nicht in den Weltmeeren, es käme also zusätzlich hinzu.

Solches Landeis gibt es nicht nur in der Antarktis, sondern auch in Grönland und in den vielen Gletschern, die das Schmelzwasser über Flüsse in die Weltmeere transportieren. Dieses Schmelzwasser ist einer der größten Faktoren für den Anstieg des Meeresspiegels, schreibt der IPCC in seinem Sonderbericht.

Meereis schwimmt bereits auf dem Meer und erhöht den Meeresspiegel nicht, wenn es schmilzt. Anders sieht es aus, wenn Landeismassen schmelzen.
Meereis schwimmt bereits auf dem Meer und erhöht den Meeresspiegel nicht, wenn es schmilzt. Anders sieht es aus, wenn Landeismassen schmelzen. (Quelle: Meereisportal)

Die Weltmeere werden immer heißer – und dehnen sich aus 

Zusätzlich kommt hinzu, dass die Weltmeere immer wärmer werden, wie der IPCC schreibt. Denn Wasser dehnt sich nicht nur aus, wenn es gefriert, sondern auch, wenn es wärmer als vier Grad wird. Und die Weltmeere erwärmen sich seit Jahren immer stärker – 2022 war für die Weltmeere das heißeste Jahr.

Die Weltmeere werden seit Jahren immer wärmer
Die Weltmeere werden seit Jahren immer wärmer (Quelle: Statista)

Das Video auf Tiktok und Facebook berücksichtigt das Schmelzen der Landeismassen und den Temperaturanstieg der Weltmeere nicht und führt so in die Irre.

Redigatur: Matthias Bau, Gabriele Scherndl

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Klimafakten.de: Behauptung: „Aber am Südpol nimmt die Eismasse zu!“ (2021) Link
  • Umweltbundesamt: Geografie der Antarktis (2022) Link
  • Der Ozean und die Kryosphäre in einem sich wandelnden Klima: Ein Sonderbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) (2019) Link