Faktencheck

Deutsche U17-Fußballer zeigen auf einem Foto keinen „IS-Gruß“

Zwei Fußballspieler der U17-Nationalmannschaft sollen auf einem Foto angeblich einen „IS-Gruß“ zeigen. Damit ist offenbar der „Tauhid-Finger“ gemeint, eine Geste des islamischen Glaubensbekenntnisses. Auf dem Foto ist ein solches Zeichen aber nicht zu erkennen. Auch der DFB dementiert.

von Paulina Thom

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Empfang der U17-Fußballnationalmannschaft nach ihrem Titelgewinn der Weltmeisterschaft 2023 (Symbolbild: Florian Wiegand/ Eibner-Pressefoto/ Picture Alliance)
Behauptung
Fußballspieler der deutschen U17-Nationalmannschaft zeigten auf einem Foto den „IS-Gruß“.
Bewertung
Falscher Kontext
Über diese Bewertung
Falscher Kontext. Die Gesten der Spieler unterscheiden sich laut einem Islamwissenschaftler vom „Tauhid-Finger“, einer im Islam verbreiteten Geste, die sich der sogenannte „Islamische Staat“ (IS) als Symbol angeeignet hat. Beim „Tauhid-Finger“ ist die rechte Handinnenfläche erkennbar, der Zeigefinger zeigt nach oben und nicht – wie auf dem Foto der Spieler – zur Seite.

Vor jedem Spiel gebe es jetzt den „IS-Gruß“, kommentiert ein Nutzer auf X ein Foto von vier Fußballspielern der U17-Nationalmannschaft. Die DFB-Junioren veröffentlichten es nach dem Sieg im WM-Achtelfinale am 21. November 2023 in Sozialen Netzwerken. Ein anderer Nutzer fragt, ob der „IS-Gruß mittlerweile die Standardgeste“ der Nationalmannschaft sei. Mehr als eine Million Aufrufe hat der Beitrag auf X. Ähnliche Beiträge kursieren auch auf Facebook.

Der sogenannte „Islamische Staat“ (IS) ist eine dschihadistisch-salafistische Terrororganisation. Mit „IS-Gruß“ ist offenbar der „Tauhid-Finger“ gemeint, eine im Islam verbreitete Geste, die nicht per se extremistisch ist, sagen Experten. Laut dem Verfassungsschutz verwenden sie aber auch IS-Anhänger. Sinngemäß bedeute das Symbol: „Es gibt keinen Gott außer Allah.“

Doch die Gesten der U17-Nationalspieler unterscheiden sich laut Angaben eines Islamwissenschaftlers und den Beschreibungen des Verfassungsschutzes vom „Tauhid-Finger“. Der Deutsche Fußballbund (DFB) bezeichnet die Interpretation der Gesten als IS-Gruß als „Falschmeldung“. 

Screenshot eines Beitrages auf X mit der Behauptung
Nutzerinnen und Nutzer in Sozialen Netzwerken deuten eine Geste zweier U17-Nationalspieler (Mitte) fälschlicherweise als „IS-Gruß“ (Quelle: X; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

U17-Nationalspieler zeigen keinen „Tauhid-Finger“

Auf dem Foto sind vier Spieler der DFB-Junioren zu sehen. Die beiden Spieler in der Mitte haben ihre Zeigefinger jeweils seitlich gerichtet, offenbar auf ihren Teamkollegen. Beide zeigen dabei die Rückseite ihrer rechten Hand. 

Das ist beim „Tauhid-Finger“ anders: Die rechte Handinnenfläche ist sichtbar, der Zeigefinger zeigt nach oben, wie auf einem Foto des Verfassungsschutzes und in verschiedenen Medienberichten über IS-Kämpfer zu erkennen ist. Christoph Günther, Islamwissenschaftler an der Universität Erfurt, schreibt uns, dass er die Gesten der Nationalspieler nicht als „Tauhid-Finger“ interpretieren würde. Die Haltung der rechten Zeigefinger sei dafür zu ungewöhnlich. 

Ein Pressesprecher des DFB schreibt uns auf Anfrage: „Wir haben bereits nach den ersten Vorwürfen bei den jeweiligen Spielern nachgefragt; sie haben einfach aufeinander gezeigt, um sich gegenseitig Respekt für die tolle Leistung zu zollen. Das hatte mit dem IS-Gruß gar nichts zu tun und es hat sie erschreckt, dass das so aufgenommen wurde.“ Die noch minderjährigen Spieler würden durch solche Falschmeldungen in ein komplett falsches Licht gerückt. Der DFB hat die Kommentarfunktion bei dem Foto auf Facebook wegen rassistischer und diskriminierender Beiträge eingeschränkt. 

IS hat sich die im Islam verbreitete Geste des „Tauhid-Fingers“ angeeignet

Der „Tauhid-Finger“ sei eine im sunnitischen Islam verbreitete Geste zur Bezeugung der Einheit und Einzigartigkeit Gottes, schreibt uns Islamwissenschaftler Günther. „Diese Geste hat also per se mit dem IS nichts zu tun.“ Von ihr allein könne daher weder auf die Geisteshaltung noch auf die Beziehung zu militanten muslimischen Gruppen geschlossen werden. 

Ähnlich ordnet der niedersächsische Verfassungsschutz die Geste in einem Erklärvideo ein. Sie soll symbolisieren, dass neben Gott keine weitere anbetungswürdige Macht existiere. Der „Tauhid-Finger“ sei per se kein extremistisches Zeichen, heißt es im Video.

Video des Verfassungsschutzes Niedersachsen auf Facebook zum Tauhid-Finger
Der Verfassungsschutz Niedersachsen erklärt in einem Video, dass der „Tauhid-Finger“ nicht per se ein extremistisches Zeichen sei (Quelle: Facebook; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Auch Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie der Universität Münster, sagte in einem Interview mit der Welt (ab Sekunde 58): „Muslime strecken den Finger in jeder Gebetseinheit und sprechen dabei das islamische Glaubensbekenntnis.“ Man dürfe in eine solche Geste nicht zu viel hineininterpretieren. Khorchide hatte sich dazu 2022 im Zusammenhang mit Vorwürfen gegen Fußballspieler der marokkanischen Nationalmannschaft geäußert. 

Allerdings hätten die Anhänger des IS die Geste „im Kontext von Treuebekundungen gegenüber der Gruppe sowie zur Affirmation [Anm. d. Red.: Bestätigung] ihrer Ideologie“ genutzt, schreibt uns Günther. „Man kann also hier von einer Aneignung dieser weit verbreiteten Geste durch den IS und dessen Anhänger sprechen.“ Laut dem Verfassungsschutz verwenden auch Anhänger der türkischen rechtsextremistischen Organisation die „Grauen Wölfe“ die Geste. 

Redigatur: Viktor Marinov, Kimberly Nicolaus

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Information zum „Tauhid-Finger“ vom Verfassungsschutz, September 2023: Link (archiviert)
  • Mouhanad Khorchide im Interview mit der Welt, 13. Dezember 2022: Link (archiviert)
  • Video des niedersächsische Verfassungsschutz zum „Tauhid-Finger“, Link (archiviert)