Faktencheck

Falschbehauptungen nach Saskia Eskens AfD-Nazi-Vergleich im österreichischen Fernsehen

In der österreichischen Nachrichtensendung ZIB2 sagte SPD-Vorsitzende Saskia Esken, die AfD sei eine Nazi-Partei. Daraufhin hieß es online, Esken müsse deswegen ins Gefängnis. Das stimmt nicht, auch wenn Anzeigen eingegangen sind.

von Gabriele Scherndl

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Saskia Esken bei einem Pressetermin im März 2024. Im Mai verglich sie die AfD mit dem Nationalsozialismus. (Quelle: Frederic Kern / Geisler-Fotopress / Picture Alliance)
Behauptung
Nachdem SPD-Vorsitzende Saskia Esken im Fernsehen die AfD mit Goebbels verglichen habe, habe sie Hunderte von Anzeigen bekommen. Die Staatsanwaltschaft habe sofort die Ermittlungen aufgenommen und dafür wandere Esken ins Gefängnis.
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Größtenteils falsch. Saskia Esken hat in einer österreichischen Sendung über Goebbels gesprochen und in dem Zusammenhang die AfD als Nazi-Partei bezeichnet. Daraufhin wurde sie, soweit bekannt, zwei Mal angezeigt. Die Wiener und Berliner Staatsanwaltschaften prüfen, ob sich ein Anfangsverdacht für Ermittlungen ergibt – ein Ermittlungsverfahren laufe aktuell aber nicht. Esken muss dementsprechend auch nicht ins Gefängnis.

„Ja, das ist eine Nazi-Partei“, sagte SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken Anfang Mai in der österreichischen Nachrichtensendung ZIB2 über die AfD. Ein Vergleich, der für Aufsehen sorgte – und für Anzeigen. 

Der Youtube-Account Vermietertagebuch, hinter dem ein aus Deutschland ausgewanderter Mann namens Alexander Raue steckt,  schreibt zu einem Video sogar, Esken müsse ins Gefängnis – das stimmt nicht. Viele teilten das Video auch auf Tiktok, Facebook und Telegram. Es hat  über 170.000 Aufrufe.

Worum geht es dabei und welche Schritte haben Behörden unternommen?

Screenshot eines Tiktok-Beitrags, darin steht, die SPD-Chefin müsse ins Gefängnis.
Mehrere Behauptungen in diesem Beitrag sind falsch: Esken muss nicht ins Gefängnis und Stand Jetzt ermittelt (14. Mai 2024) die Staatsanwaltschaft auch nicht gegen sie (Quelle: Tiktok; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Saskia Esken spricht im Interview über die AfD und Joseph Goebbels

In dem Interview vom 1. Mai spricht Esken über die AfD und eine Rede von Joseph Goebbels, einem der bekanntesten NS-Verbrecher. Daraufhin fragt Moderator Armin Wolf Esken, ob sie Goebbels und die AfD vergleichen wolle, woraufhin sie antwortet: „Ja, die AfD ist eine Nazi-Partei“. 

Der österreichische Ex-Politiker Gerald Grosz und der Jurist Markus Haintz, der in Ulm zur vom Verfassungsschutz beobachteten Querdenken-Bewegung gehörte, gaben danach an, Esken angezeigt zu haben – Grosz in Wien, Haintz in Berlin. Beide waren der Ansicht, sie verharmlose damit Nazi-Verbrechen.

Am 6. Mai 2024, verbreitete Alexander Raue, alias „Vermietertagebuch“, die Behauptung, Esken müsse ins Gefängnis. Im Video sagt Raue, der immer wieder mit Falschmeldungen auffällt, gleich zu Beginn: „Sie [Esken] hat im Fernsehen die AfD mit Goebbels verglichen und daraufhin hunderte Anzeigen bekommen. Die Staatsanwaltschaft hat sofort Ermittlungen aufgenommen und dafür wandert diese Frau endlich ins Gefängnis.“ Später in dem gut sechs Minuten langen Video schwächt er ab und sagt: Die Landespolizeidirektion Wien habe an die Staatsanwaltschaft lediglich „berichtet“, diese prüfe nun die strafrechtliche Relevanz. Raue hoffe, Esken komme ins Gefängnis.

Im Vorschaubild seines Videos auf Youtube heißt es in Großbuchstaben: „Anzeige! SPD-Chefin muss ins Gefängnis!“ Dieses Vorschaubild kursiert in Sozialen Netzwerken, teilweise ohne jeglichen Kontext.

Landespolizeidirektion und Staatsanwaltschaft Wien: Aktuell keine Ermittlungen gegen Saskia Esken

Tatsächlich gibt es Stand jetzt (13. Mai) in Wien keine Ermittlungen gegen Esken. Die Landespolizeidirektion Wien, zu der das Landesamt für Staatsschutz und Extremismusbekämpfung Wien gehört, hat nach dem Interview in einem Zwischenbericht an die Staatsanwaltschaft um rechtliche Klärung gebeten, sagt Polizeisprecherin Barbara Gass auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck. 

Diese Vorgehen ist in der österreichischen Strafprozessordnung in Paragraf 100, Absatz 3a geregelt, dort heißt es: „Die Kriminalpolizei hat der Staatsanwaltschaft auch zu berichten, wenn aus ihrer Sicht kein Anfangsverdacht vorliegt, oder sie Zweifel hat, ob ein Anfangsverdacht vorliegt, zu dessen Aufklärung sie berechtigt und verpflichtet wäre, Ermittlungen zu führen“. 

Die Polizei habe aber kein Ermittlungsverfahren eröffnet, sagt Gass.

Straf- oder Untersuchungshaft gegen Esken aktuell rechtlich nicht möglich

Auch die Staatsanwaltschaft Wien hat kein Ermittlungsverfahren eröffnet, wie Sprecherin Nina Bussek am 13. Mai 2024 auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck sagt. Sie habe eine Anzeige einer Privatperson und den Bericht der Polizei erhalten und prüfe nun, ob es einen Anfangsverdacht einer strafbaren Handlung gebe. Das ist ein Schritt, der in Österreich, wie auch in Deutschland, dem eigentlichen Ermittlungsverfahren vorgelagert ist. 

Auf einer Seite des deutschen Justizministeriums heißt es dazu: „Es ist daher möglich, dass die Staatsanwaltschaft bereits nach der sorgfältigen Prüfung einer Anzeige entscheidet, keine Ermittlungen durchzuführen.“ Auch in Berlin prüft man erst, ob sich ein Anfangsverdacht ergibt, hieß es am 14. Mai  auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck von der Staatsanwaltschaft.

Nachdem es erst eine Prüfung des Anfangsverdachts und keine Ermittlungen – geschweige denn ein Urteil – zum Esken-Zitat gibt, steht aktuell auch keine Haft im Raum. Eine Strafhaft ist erst nach einem richterlichen Urteil möglich. Eine Untersuchungshaft ist nur denkbar, wenn es auch Ermittlungen gibt. Auch dazu sind die Bestimmungen in Österreich und Deutschland ähnlich. 

Keine Belege für „hunderte“ Anzeigen – vorerst zwei Anzeigen bekannt

Dass es hunderte Anzeigen gegen Esken gebe, wie Raue behauptet, ist nicht belegt. Auf eine Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck, woher er diese Information habe, antwortete Raue nicht. 

Die Staatsanwaltschaft Wien spricht von einer Anzeige einer Privatperson. Die Staatsanwaltschaft Berlin bestätigt die Anzeige von Haintz, weitere habe es Stand 14. Mai nicht gegeben. 

Redigatur: Viktor Marinov, Sophie Timmermann 

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Österreichische Strafprozessordnung (geltende Fassung): Link (archiviert)
  • Bundeskanzleramt Österreich: Allgemeines zur Strafhaft (abgerufen am 14. Mai 2024): Link (archiviert)
  • Deutsches Justizministerium: Das Ermittlungsverfahren (abgerufen am 14. Mai 2024): Link (archiviert) 
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