Bundestag wies Petition über Ergänzung von „Pädophilie als sexuelle Identität“ im Grundgesetz ab
Angeblich, so heißt es in einem Blogartikel, befasse sich der Bundestag im Rahmen des Gleichstellungsgesetzes damit, ob Sex mit Kindern bald straffrei sein soll. Das stimmt nicht. Auslöser der Behauptung ist eine Petition, die der Bundestag nicht unterstützte.
Ein Beitrag der Webseite Anonymousnews verbreitet sich seit Anfang Oktober auf Telegram, X und Facebook. Angeblich, so heißt es in der Überschrift und dem Teaser des Beitrags, soll „Sex mit Kindern bald straffrei“ sein – damit befasse sich der Bundestag im Rahmen des Gleichstellungsgesetzes. Die Beiträge erreichten zehntausende Nutzerinnen und Nutzer. Über unseren Whatsapp-Chatbot wurde uns die Meldung dutzendfach zugeschickt mit der Bitte, sie zu prüfen.
Der Artikel erschien mit demselben Fließtext, aber anderer Überschrift und Teaser als erstes auf dem Blog Tichys Einblick. Hier heißt es einleitend, „eine Petition wollte gemeinsam mit der Verankerung von ‘Kinderrechten’ im Grundesetz Pädophilie als sexuelle Identität ins Grundgesetz schmuggeln“. Die Autorin ist Sylvia Pantel, ehemalige Bundestagsabgeordnete der CDU und mittlerweile Politikerin der Werteunion. Pantel schreibt uns auf Nachfrage, ihr Artikel sei ohne ihr Wissen und ihre Erlaubnis bei Anonymousnews erschienen und dass „der Beitrag einen komplett falschen Eindruck erweckt und das Selbstbestimmungsgesetz nichts mit Phädophilie zu tun hat“.
Worum es in der Petition geht und was der Bundestag dazu sagte, erklären wir in diesem Faktencheck.
Petition stammt von Dieter Gieseking
Hintergrund der Artikel ist die Petition „Kinderrechte und sexuelle Identität ins Grundgesetz“, die im Februar 2021 über die Webseite des Deutschen Bundestages eingereicht wurde. Urheber ist Dieter Gieseking, der wegen des Besitzes und Verkaufs von Kinderpornografie Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre bereits mehrfach inhaftiert war. Gieseking hatte zudem die pro-Pädophilie Gruppe „Krumme 13“ gegründet, die sich für die Entkriminalisierung von Sexualkontakten Erwachsener mit Kindern einsetzte und sich 2003 auflöste. Eine Webseite mit dem Namen betreibt Gieseking weiterhin.
Auf der Seite Openpetition, auf der laut Gieseking die Petition an den Bundestag im Wortlaut zu finden ist, steht als Forderung: „Die Kinderrechte gehören in Artikel 6 des Grundgesetzes. Die sexuelle Identität gehört in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes. Beide Grundgesetzänderungen sind auch mit der sexuellen Selbstbestimmung verbunden.“
In der Petition von Februar 2021 kommt der Begriff Pädophilie nicht vor. Auf Nachfrage schreibt uns Gieseking, er habe seine Petition mehrfach ergänzt. In der Rubrik Neuigkeiten auf der Webseite Openpetition schreibt er etwa im April 2024, dass seine Petition auch „die sexuelle Identität der Pädophilen“ miteinschließe. Auf unsere Frage, was der Zweck der Petition gewesen sei, antwortet Gieseking, dass zur Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz auch deren „sexuelle Selbstbestimmung“ gehöre und die „sexuelle Minderheit der Pädophilen“ im Grundgesetz vor Diskriminierung geschützt werden soll.
Koalitionsvertrag will Grundgesetz um Verbot von Diskriminierung wegen sexueller Identität erweitern – nicht aber Pädophilie
Mit dem Gleichstellungsgesetz – wie bei Anonymousnews behauptet – hat die Petition von Gieseking nichts zu tun. Das Gleichstellungsgesetz betrifft die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesverwaltung und in den Gerichten des Bundes. Giesekings Petition fordert im Hinblick auf die sexuelle Identität eine Änderung des Gleichheitssatzes im Grundgesetz. Darin heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung ist vorgesehen, den Gleichheitssatz in Artikel 3 des Grundgesetzes – von dem auch Gieseking spricht – um ein Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Identität zu ergänzen. Das Merkmal „sexuelle Identität“ ist seit 2006 bereits im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) enthalten, das Privatpersonen unter anderem vor Diskrimierung bei Alltagsgeschäften und im Arbeitsleben schützen soll. Zu den darin geschützten sexuellen Identitäten zählen laut Antidiskriminierungsstelle des Bundes Lesben, Schwule und bisexuelle Menschen. Trans- und intergeschlechtliche Personen seien im AGG rechtlich dagegen durch das Merkmal Geschlecht geschützt.
Wie uns Richard Lemke, Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung und Professor an der Hochschule Merseburg, am Telefon erklärt, ist die Pädophilie aus Sicht der Sexualwissenschaft keine gleichwertig anerkannte sexuelle Identität. Der zentrale Unterschied sei laut Lemke, dass bei der Pädophilie ein einwilligungsfähiges Sexualobjekt fehle. Sexualpsychologisch gesehen, sei die Pädophilie eine Störung der Sexualpräferenz, die auch entsprechend klassifiziert sei.
Kinder, also Minderjährige unter 14 Jahren, haben laut Gesetzgeber ihre Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung noch nicht entwickelt. Sexuelle Handlungen mit Kindern sind immer strafbar. Auch dann, wenn das Kind vermeintlich einverstanden ist oder die sexuelle Handlung sogar veranlasst. Geregelt ist das in Paragraph 176 des Strafgesetzbuches.
Es gibt keine Mindestanzahl an Unterzeichnern für Petitionen an den Bundestag
Im Artikel von Sylvia Pantel heißt es über die Petition von Gieseking: Normalerweise wäre sie mit 37 Stimmen abgelehnt worden. Die Mindestzahl zur Befassung von Petitionen im Bundestag liege bei 30.000 Unterzeichnern. Das stimmt nicht.
Auf Nachfrage schreibt uns Pantel, sie habe die Information mit der Mindestanzahl an Unterzeichnern aus einem Hinweis von der Webseite des Bundestags. Dort heißt es: „Petitionsausschuss senkt Quorum auf 30.000 Mitzeichnungen bei Petitionen“. Was bedeutet das? Hat eine Petition 30.000 Mitzeichner, können die Initiatoren einer Petition in öffentlichen Ausschusssitzungen regelmäßig angehört werden und ihre Petition kann einzeln aufgerufen werden. Sprich, nur dann gibt es eine öffentliche Beratung einer Petition.
Das bedeutet aber nicht, dass der Bundestag nicht über Petitionen mit weniger Unterzeichnern abstimmen muss. Das Petitionsrecht ist in Artikel 17 des Grundgesetzes geregelt. Dort steht: „Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.“ Dafür bestellt der Bundestag einen Petitionsausschuss.
Auf der Webseite des Ausschusses heißt es hierzu: „Die Anzahl der Unterstützungen wirkt sich grundsätzlich nicht auf die parlamentarische Prüfung einer Petition aus. [D]er Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages bearbeitet jede eingegangene Petition gleich – unabhängig davon, ob es sich um eine Einzelpetition oder eine öffentliche Petition mit tausenden von Unterstützern handelt.“ Der Petitionsausschuss gibt zu allen Petitionen eine Beschlussempfehlung in sogenannten Sammelübersichten ab, über die letztlich der Bundestag abstimmt.
Ausschuss ging auf Forderung zu „sexueller Selbstbestimmung“ von Kindern nicht ein
Über die Petition von Gieseking aus Februar 2021 wurde demnach nicht öffentlich beraten, sie wurde auch nicht auf der Seite des Petitionsausschusses veröffentlicht. Trotzdem stimmte der Bundestag über die Empfehlung des Ausschusses ab. Der Petitionsausschuss des Bundestages teilte Giesekings Petition auf und ordnete sie zwei bereits bestehenden Petitionen zu. Das ist nicht unüblich und nennt sich Mehrfachpetition. Dabei handelt es sich um Petitionen mit demselben Anliegen, die jedoch individuell abgefasst sind – sie werden einer sogenannten Leitpetition zugeordnet.
Die Forderung nach der Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz wurde der Leitpetition 95231 hinzugefügt. Anliegen der Leitpetition war es, „das Kindeswohl verfassungsrechtlich zu garantieren und Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz mit dem Zusatz „Das Wohl des Kindes steht im Vordergrund‘ zu ergänzen“. Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern, ist Teil des Koalitionsvertrages der Ampelregierung. Damit begründete auch der Petitionsausschuss seine Empfehlung zur Petition 95231.
Am 19. Oktober 2023 folgte der Bundestag der Empfehlung des Petitionsausschusses und beschloss, die Leitpetition der Bundesregierung als Material zu überweisen und den Fraktionen des Bundestages zur Kenntnis zu geben, wie uns eine Sprecher des Bundestags bestätigte – aber ohne Giesekings Forderung, die sexuelle Selbstbestimmung als Kinderrecht im Grundgesetz zu verankern. Gieseking schreibt uns hierzu: „In der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses wurde auf diese zusätzliche Forderung nicht eingegangen.“
Der Petitionsausschuss ordnete auch den zweiten Teil von Giesekings Petition – die sexuelle Identität gehöre in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes – einer bereits bestehenden Leitpetition zu, jener mit der Nummer 111658. Darin ging es nicht um Pädophilie, sondern um die sexuelle Identität von homo- und bisexuellen Menschen. Der Bundestag stimmte im März 2024 über die Petition ab – ohne Giesekings Forderung, Pädophilie als sexuelle Identität im Grundgesetz zu verankern. Die Leitpetition wurde der Bundesregierung als Material überwiesen und den Fraktionen des Deutschen Bundestages zur Kenntnis gegeben. Auch das begründete der Petitionsausschuss mit dem Koalitionsvertrag der Ampelregierung.
Bundestag wies Giesekings Petition zur sexuellen Identität pädophiler Menschen ab
Da es in der Leitpetition nicht um Pädophilie als sexuelle Identität gegangen sei, bat Gieseking laut eigener Aussage den Ausschuss darum, diesen Teil getrennt zu beraten. Der Bundestag widerspricht auf Anfrage und schreibt: „Die weitere Behandlung als Einzelpetition erfolgte nicht aufgrund der Bitte des Petenten, sondern wegen der in den Nachträgen des Petenten deutlich gewordenen, abweichenden Zielsetzung der Petition im Vergleich zu der zunächst zugeordneten Leitakte.“ Wie wir am Anfang des Faktenchecks erklärten, kam das Wort Pädophilie in Giesekings ursprünglicher Petititon nicht vor, er passte sie jedoch mehrfach an.
Am 26. September 2024 folgte der Bundestag schließlich der Empfehlung des Petitionsausschusses, dieses Anliegen von Giesekings Petition nicht zu unterstützen. Die Pressestelle des Bundestags schreibt uns hierzu: „Dem mit der Petition verfolgten Anliegen wurde nachdrücklich widersprochen und insofern beschlossen, die Petition abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden konnte.“
Die Webseite Anonymousnews, die in der Vergangenheit mehrfach mit Falschmeldungen aufgefallen ist, antwortete auf unsere Anfrage nicht.
Fazit: Anders als im Blogbeitrag bei Anonymousnews behauptet, soll „Sex mit Kindern“ im Rahmen des Gleichstellungsgesetzes nicht straffrei werden. Der Bundestag ist verpflichtet, über jede Petition – unabhängig von der Anzahl ihrer Mitzeichner – abzustimmen. Ende September 2024 wies der Bundestag eine Petition ab, die forderte, die „sexuelle Identität von Pädophilen“ im Grundgesetz zu verankern. Die Petition enthielt ursprünglich auch die Forderung, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern, inklusive ihrer „sexuellen Selbstbestimmung“. Während der Bundestag im Oktober 2023 zustimmte, die erste Forderung im Zuge einer Leitpetition als Material an die Bundesregierung zu überweisen, ging er auf die zweite Forderung der „sexuellen Selbstbestimmung“ von Kindern in seinem Beschluss nicht gesondert ein.
Redigatur: Viktor Marinov, Sophie Timmermann
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Petition von Dieter Gieseking „Kinderrechte und sexuelle Identität ins Grundgesetz (GG)“, Openpetition, 9. Februar 2021: Link (archiviert)
- Koalitionsvertrag der Ampelregierung, 7. Dezember 2021: Link (PDF, archiviert)
- Grundsätze des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestags: Link
- Leitpetition 95231 „Ergänzung von Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes“, 22. Mai 2019: Link (archiviert)
- Leitpetition 111658 „Erweiterung des Artikel 3 Grundgesetz um die sexuelle Identität“, 28. Mai 2020: Link (archiviert)