Bild von Annalena Baerbock und Olaf Scholz mit ausgestreckter Hand führt in die Irre
Ließ Außenministerin Annalena Baerbock den Bundeskanzler stehen? Das schließt die Bild-Zeitung aus einem Foto, das sich in Sozialen Medien stark verbreitet. Manche Nutzerinnen und Nutzer in Sozialen Netzwerken behaupten sogar, Baerbock habe ein Treffen mit dem Kanzler verlassen. Ein Foto derselben Situation mit größerem Bildausschnitt erzählt eine andere Geschichte.
Online sahen Millionen Menschen dieses Foto: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) streckt sich vergeblich nach Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen). Nutzerinnen und Nutzer behaupteten, die Außenministerin habe den Kanzler stehen lassen und sich geweigert, ein Foto mit ihm zu machen. Der Grund sei gewesen, dass Scholz ein Hilfspaket für die Ukraine blockiere. Auf X verbreiteten mehrere Profile das Foto und die Behauptung auf Englisch, Deutsch und Türkisch. Ein Nutzer schrieb auf Deutsch, Baerbock sei aus dem Saal „gestürmt“.
Die Bild-Zeitung titelte zur der Szene: „Mit Absicht? Baerbock lässt den Kanzler stehen.“ Die Außenministerin habe sich „offensichtlich beim Abgang“ nicht stoppen lassen. Das erst Mitte Januar gestartete österreichische Medium Exxtra24 sieht darin einen „Eklat“.
Doch das Bild vermittelt einen falschen Eindruck von der Gesamtsituation. Ein Blick auf ein fast identisches Foto desselben Treffens zeigt, wie die Wahl des Ausschnitts die Wahrnehmung einer Szene beeinflussen kann.
Ein größerer Bildausschnitt zeigt: Baerbock ist im Gespräch mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil
Zunächst suchten wir nach dem Ursprung des Fotos. Viele Beiträge in Sozialen Netzwerken beziehen sich auf die Bild-Zeitung, die am 16. Januar einen Artikel damit veröffentlichte. Demnach stammt das Foto vom 15. Januar und zeigt ein Treffen im Bundeskabinett. Diese Angaben lassen sich schnell bestätigen: Der Kabinettssaal mit identischen Möbeln und Wandmuster ist etwa auf der Webseite des Bundeskanzlers zu sehen. Die Sitzungstage, darunter der 15. Januar, sind auf der Seite der Bundesregierung vermerkt.
Bild gibt in der Bildunterschrift als Quelle AP an, die Abkürzung für die Bildagentur Associated Press. In ihrer Datenbank lässt sich das Foto finden. Eine andere Bildagentur, die Agence France-Presse (AFP), hat den Moment ebenfalls festgehalten. Dort finden wir aber einen größeren Bildausschnitt der Szene – darauf ist zu erkennen, dass sich Baerbock mit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) unterhält. In der AFP-Datenbank ist zu sehen, dass sich Scholz, Baerbock und Heil Momente danach miteinander unterhalten. Auch auf X wiesen Nutzerinnen und Nutzer auf das Bild der AFP hin:
Baerbock verließ also nicht den Saal und weigerte sich auch nicht, Fotos mit Scholz zu machen.
Baerbock: „Habe in dem Moment gar nicht mitbekommen, was hinter mir passiert“
Baerbock selbst äußerte sich zum Foto bei einem Interview für ZDF Heute (ab Minute 10:40) am 17. Januar. Auf die Frage, ob das Foto sinnbildlich für eine Außenministerin stehe, die sich von dem Bundeskanzler abgewandt habe, sagte Baerbock: „Nein, ganz und gar nicht. Es steht eher sinnbildlich dafür, in welcher Zeit wir leben.“ Über punktuelle Aufnahmen werde etwas suggeriert, das gar nicht stattfinde, sagte Baerbock. „In dem Moment (…) habe ich gar nicht mitbekommen, was hinter mir passiert“, erklärte sie.
Auf eine Anfrage von uns, ob das Foto bewusst zugeschnitten wurde, verwies die Bild-Zeitung auf die AP. Zur Fotoauswahl und der Interpretation, Baerbock habe den Kanzler stehen lassen, wollte sich Sprecher Christian Senft nicht äußern. Exxtra24 beantwortete unsere Anfrage nicht.
Was stimmt: Baerbock und Scholz streiten tatsächlich aktuell kurz vor der Bundestagswahl über Militärhilfen für die Ukraine. Beide sagen, sie wollten Geld für das Land bereitstellen, sind sich aber uneinig bei der Frage, wie das finanziert werden soll.
Zu dieser Behauptung haben Teilnehmende der Community des CORRECTIV.Faktenforums in einem Workshop recherchiert. Die Ergebnisse dienten als Grundlage für diesen Faktencheck.
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Redigatur: Matthias Bau, Uschi Jonas